86 Beginn der Sitzung 6 Uhr 20 Min. Vorſteher Kaufmann: Ich eröffne die Sitzung. Für die heute und unter Umſtänden noch morgen ſtattfindende Sitzung ſind als Vertreter des Magi⸗ ſtrats abgeordnet die Herren Stadträte Boll, Dr. Schmitt, Dr Jaffé, Seydel, Stadtbaurat Bredt⸗ ſchneider, Stadtſchulrat Dr Neufert, Stadtſyndikus Dr Maier, Kämmerer Scholtz und zu Nr. 6 der Tages⸗ ordnung die betreffenden Dezernenten. Als Beiſitzer bitte ich die Herren Kollegen Dunck und Ruß zu walten. Herr Kollege Ruß führt die Rednerliſte. Entſchuldigt ſind die Stadtverordneten Herren Bergmann, Bollmann, IDr Borchardt, Dr. Flatau, Dr Frank, Guttmann, Haack, Dr Hubatſch, Dr Lands⸗ berger, Dr Liepmann, Litten, Ur. Mommſen, Rack⸗ witz, Dr Rothholz, Wolffenſtein, Wöllmer. Ausgelegt werden vier Einbürgerungsgeſuche, ferner Gedentblätter zur Feier des 50jährigen Be⸗ ſtehens der Charlottenburger Lehrer⸗Witwen⸗ und ⸗Waiſenkaſſe. Meine Herren! Unſer bisheriger Kollege, Herr Geheimrat Prof. Dr von Liszt hat infolge Ueberbür⸗ dung ſein Mandat in der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung niedergelegt. Mit tiefem Bedauern gebe ich der Verſammlung davon Kenntnis. Durch das Aus⸗ ſcheiden des Kollegen Liszt iſt eine Lücke in unſere Reihen geriſſen worden, die ſich ſchwer wieder füllen wird. Wenn ſich ein Mann von der Bedeutung des Herrn von Liszt in die Stadtverordnetenverſammlung wählen läßt, ſo gibt er damit dem Amte des Stadi⸗ verordneten ein gehobenes Anſehen. Viele Leute werden durch den Eintritt eines Mannes, der in der Oeffentlichkeit einen derartigen Namen hat, veran⸗ laßt, ſich auch dem Gemeindedienſte zu weihen. Wenn wir auch an einen Vertreter von der Bedeutung des Herrn von Liszt in bezug auf Zeitopfer nicht ſo hohe Anforderungen ſtellen konnten, wie ich es von jeden Stadtverordneten vorausſetze, ſo ſind wir doch in der Lage, zu konſtatieren, daß ſich unſer früherer Kollege an allen Beratungen, denen er beigewohnt, mit lebhaftem Intereſſe beteiligt hat, daß wir die Schärfe ſeines Urteils, gepaart mit der eloquenten Form, ſtets bewundern konnten, und daß er in den zehn Jahren, die er dieſer Verſammlung angehörte, ſich als feſter Charakter bewieſen hat. Zehn Jahre ſind in unſerer ſchnell dahinfließenden Zeit nur eine kurze Friſt; in zehn Jahren pflegen ſich die Dinge nicht zu ändern, leider aber ſehr oft die Perſonen. Von dem aus⸗ ſcheidenden Kollegen Liszt darf ich hier hervorheben, daß er ſich zu jeder Zeit getreu ſeinem Programm der Förderung der Schulen, des Ausbaus unſerer ſozialen Einrichtungen mit ganzer Hingabe gewidmet hat. Ich ſpreche von dieſer Stelle dem ſcheidenden Kollegen den tiefempfundenen Dank für ſeine Mit⸗ arbeit aus, und ich nehme Ihr Einverſtändnis an, daß ich ihm namens der Verſammlung ein Dank⸗ ſchreiben zugehen laſſe. (Bravo!) Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein. Punkt 1: Vorlage betr. Beitrag für den Verein Ingendheim. Druckſache 56. (Die Beratung wird eröffnet und geſchloſſen. Die Verſammlung beſchließt nach dem Antrage des Magiſtrats, wie folgt: Sitzung vom 6. März 1912 Dem Verein Jugendheim wird — neben dem allgemeinen Betrage von 4500 %% — zu den Unterhaltungskoſten der von ihm in ſtädtiſchen Schulen eingerichteten Tagesheimſtätten für 1911 eine Erhöhung um 4000 ℳ bewilligt. Der Betrag iſt dem Dispoſitionsfonds zu entnehmen.) Punkt 2 der Tagesordnung: Vorlage betr. Bewilligung von Beiträgen für die Jugendpflege. — Druckſache 57. (Die Beratung wird eröffnet.) Stadtv. Gredy: Meine Herren! Ich möchte im Namen meiner Freunde bitten, dieſe Vorlage einem Ausſchuſſe zuzuweiſen. Meine Freunde ſtehen dem Geiſte der Vorlage ganz ſympathiſch gegenüber. Sie enthält aber viele neue Fragen, über die bei der Kürze der Zeit niemand in der Lage geweſen iſt ſich zu in⸗ formieren — auch iſt die Sache nicht in einer Depu⸗ tation geprüft worden —, ſo daß es beſſer ſcheint, zumal es ſich um eine hoffentlich dauernde Einrich⸗ tung handelt, daß die Vorlage den Mitgliedern der Stadtverordnetenverſammlung im engeren Kreiſe er⸗ läutert wird. Ich beantrage einen Ausſchuß von elf Mitgliedern. Stadtv. Richter: Meine Herren! Der Magiſtrat ſagt in ſeiner Vorlage, er bringe ſie mit Rückſicht darauf, daß die Stadtgemeinde ein erhebliches Inter⸗ eſſe an der Jugendpflege hat, ein. Meine Freunde ſind der Meinung, daß der Jugendpflege mit der An⸗ nahme dieſer Vorlage ſehr wenig gedient iſt, vor allen Dingen dadurch, daß die Auswahl des ſogen. Jugend⸗ pflegers der Beſtätigung des Herrn Regierungspräſi⸗ denten unterliegen ſoll. Meine Freunde glauben, mit dieſer Anſicht nicht allein zu ſtehen; die Mehrheit der Charlottenburger Bürger hat ja bekundet, daß ſie hinter meinen Freunden ſteht. In welcher Weiſe bisher von der Regierung oder den ihr nachgeordneten Organen die Jugendpflege betrieben worden iſt, da⸗ für haben wir die allerverſchiedenſten Beiſpiele. Auch in dieſem Hauſe ſind ja Beiſpiele dieſer Art erörtert worden. Ich will nur an die Abtreibung der Turn⸗ hallen erinnern, ferner an das Verbot von wiſſen⸗ ſchaftlichen Vorträgen, die der Jugend gehalten werden ſollten, an die Auflöſung der Jugendvereine, an Polizeiſchikanen aller Art, an Beſpitzelungen, die hier in Preußen alles Dageweſene übertroffen haben. Die Polizei iſt ja in bezug auf die Jugendfürſorge außer⸗ ordentlich vorſichtig und namentlich mißtrauiſch: ſie hat ſogar vermutet, daß die freie Jugendorganiſation neuerdings, um das Augenmerk der Polizei von ſich abzulenken, ihre Zuſammenkünfte in den von der ſozialdemokratiſchen Partei geſperrten Lokalen ver⸗ anſtaltet. Ich habe in dieſer Beziehung auch perſön⸗ liche Erfahrungen; bei mir hat ein Beamter der Kri⸗ minalpolizei verſucht, diesbezügliche Erkundigungen einzuziehen. 4 Meine Freunde halten alſo den Regierungspräſi⸗ denten nicht für geeignet, ein Beſtätigungsrecht aus⸗ zuüben. Wohin in erſter Linie der Einfluß auf die Iugendbewegung gehen ſoll, das hat ſich auch deutlich in einem Erlaſſe des früheren Regierungspräſidenten von Hegel in Gumbinnen, jetzt Oberpräſidenten von Sachſen, gezeigt, worin es folgendermaßen heißt: Zu den gewöhnlichen Verſuchungen des Lebens tritt heutzutage noch hinzu die umſtürz⸗