Sitzung vom Meine Herren, ich möchte Ihnen, weil Sie aus den Angaben des Herrn Vorredners ſonſt falſche Schlüſſe ziehen könnten, einiges darüber mitteilen. Es iſt den Lehrern, die Nachhilfeunterricht erteilen, zur Pflicht gemacht worden, auf etwa vorkommende körperliche Schwäche beſonders Rückſicht zu nehmen; ſie ſollen in ſolchen Fällen die einzelnen Kinder ent⸗ weder bloß in einem Fache herannehmen oder nur zu einer Stunde in der Woche kommen laſſen oder ſie gar nur einmal oder zweimal eine halbe oder eine Viertelſtunde lang vornehmen. Es iſt ihnen geſagt worden, ſie ſollen ſolche Kinder, wenn ſie ſie eine Zeitlang herangenommen haben, hinunter auf den Schulhof ſchicken, damit ſie ſich dort ergehen können; und ſie ſollen auch prüfen, ob ſonſt noch etwas für ſie getan werden kann; ſie ſollen bei größerer Schwäch⸗ lichkeit ſich auch nicht damit begnügen, daß der Nach⸗ hilfeunterricht allein ausgeſetzt wird, ſondern ebenſo gut prüfen, ob nicht auch von dem übrigen Unterricht ein minder wichtiges Fach, wie z. B. Handarbeits⸗ unterricht, Schreibunterricht, turſoriſches Leſen, Tur⸗ nen, oder was nun in dem beſonderen Falle beſonders geeignet erſcheint, ganz oder teilweiſe auf eine be⸗ ſtimmte Anzahl von Wochen ausfallen ſoll. Die Königliche Regierung iſt uns dabei auf unſere An⸗ träge hin immer mit großer Bereiwilligkeit entgegen⸗ gekommen; ſie hat zugeſtimmt denn ohne die Zu⸗ ſtimmung der Königlichen Regierung können wir es ja nicht machen —, daß ſowohl diejenigen Kinder, die wegen Krankheit die Schule verſäumt haben und noch einer gewiſſen Schonung bedürfen, drei oder vier Wochen lang von gewiſſen weniger wichtigen Stunden dispenſiert werden dürfen, als auch die ſchwächlichen und kränklichen Kinder, die nicht un⸗ mittelbar vorher an ſchwerer Krankheit gelitten haben, eine Entlaſtung erhalten können. Wir haben nun eine Erhebung darüber veran⸗ ſtaltet, inwieweit von dieſen beiden Vorſichtsmaß⸗ regeln Gebrauch gemacht worden iſt. Meine Herren, das iſt nicht oft geſchehen. Es iſt in dem einen Fall bei den Tauſenden von Schulkindern nur gegen 20mal von dem Dispenſationsrecht Gebrauch gemacht wor⸗ den, in dem anderen etwas mehr — ich habe die Zahl im Augenblick nicht im Kopf. Nur in einer ganz verſchwindenden Anzahl von Fällen iſt alſo ein ſchwächliches oder ein nach überſtandener Krankheit noch etwas erholungsbedürftiges Kind, das der Nach⸗ hilfe bedurfte, von einigen anderen Stunden dispen⸗ ſiert worden, und daraus können Sie entnehmen, daß nach dem Urteil unſerer Rektoren und Lehrer doch kein großer Bedarf an Entlaſtung vorgelegen hat. Wir ſtehen ganz auf demſelben Standpunkt, daß, wo eine Entlaſtung aus körperlichen Gründen nötig iſt, ſie auch eintreten muß. Und wenn hier der Satz ausgeſprochen worden iſt: Ueberanſtrengungen ſind zu mißbilligen, wenn ſie allein deshalb eintreten, um das Sitzenbleiben zu verhindern — meine Herren, dann können wir alle zuſtimmen. Aber auf der an⸗ deren Seite iſt doch zu bedenken: nicht bloß die Eltern, ſondern auch die Gemeinde und der Staat wünſchen ſehr lebhaft, daß jedes Kind nach Maßgabe ſeiner Kräfte in der Schule kräftig herangezogen wird. Es ſoll etwas lernen. Die Kinder ſollen doch ſpäter einmal ihre Stellung im Leben ausfüllen, und gerade die kränklichen Kinder der B⸗Klaſſen werden ſpäter nicht als Laſtenträger gehen können oder als Erd⸗ arbeiter, gerade ſie werden in hervorragendem Maße darauf angewieſen ſein, bei der Erwerbung ihres Lebensunterhalts ſich auch geiſtiger Kräfte zu be⸗ dienen. Es wäre nach meiner Ueberzeugung ein 6. März 1912 107 ſchreiendes Unrecht, wenn wir uns nicht redlich be⸗ mühen wollten, dieſe Kinder in der Schule ſo weit zu fördern, als es eben möglich iſt. Es iſt zwar ſchwer, hier den richtigen Maßſtab zu finden; aber ich habe die Hoffnung, ja die Ueberzeugung, daß es ſich erreichen laſſen wird, daß es ſich durch Zuſammen⸗ wirken von Arzt, Lehrer, Rekror und Verwaltung er⸗ reichen laſſen wird, und wir wollen gern weiter daran arbeiten. Und weil wir doch auch die Kinder der B⸗Klaſſen nach Möglichkeit körperlich und geiſtig fördern wollen, müſſen wir auch bei dieſen den Nachhilfeunterricht beibehalten. Gerade deshalb, weil dieſe Kinder häu⸗ figer einmal fehlen, entſtehen bei ihnen leichter Lücken, und wenn dieſe Lücken durch ein paar Stunden Nach⸗ hilfeunterricht ausgefüllt werden können, dann wer⸗ den die Kinder es viel leichter haben, mit ihrer Klaſſe fortzukommen, und ſie werden dadurch erheblich in der Schule entlaſtet. Sie haben es dann doch viel leichter, als wenn ſie nach ihrer Rückkehr wochenlang da ſitzen müſſen mit dem peinigenden Bewußtſein: ich verſtehe das Durchgenommene nicht. Selbſt wenn ſie ſich zu Hauſe an die Mutter wenden wollten mit der Bitte: erkläre mir das, ſo würde dieſe oft gar nicht in der Lage ſein, ſolche Erklärungen zu geben. Verurſacht es aber nicht für die Kinder eine viel größere Anſtrengung, wenn ſie bei Ausfüllung entſtandener Lücken auf ſich ſelbſt angewieſen ſind oder nur die Hilfe derer haben, die beim beſten Willen dieſe Hilfe nicht ausreichend leiſten können? Iſt da nicht der Klaſſenlehrer der gegebene Helfer, er, der es am beſten weiß, was geübt werden ſoll und wie? Er weiß auch am beſten, wann der geeignete Zeit⸗ punkt gekommen iſt, an dem die Kinder aus dem Nachhilfeunterricht wieder ausſcheiden können. Die Lehrer ſind auch angewieſen, ſobald die Kinder ohne Nachhilfeunterricht mit fortkommen können, es damit zu verſuchen. Ich glaube nicht, daß eine Veranlaſſung vorliegt, die Beſtimmungen über den Nachhilfe⸗ unterricht hier einer ſcharfen Kritik zu unterziehen. Es iſt ferner von den Herren Vorrednern auf die Notwendigkeit hingewieſen worden, orthopädiſchen Unterricht zu geben, weil bei uns ſo viel Rückgrat⸗ verkrümmungen vorkommen. Meine Herren, nicht bloß in Charlottenburg kommen viele Rückgratver⸗ krümmungen vor; ſie kommen überall vor. Und nicht die Schule iſt die Urſache davon, nicht die Schulbänke allein verſchulden es. Meine Herren, ich glaube, den Satz aufſtellen zu können, daß die Schulbänke der Charlottenburger Gemeindeſchulen unbedenklich mit den Schulbänken aller benachbarten Städte verglichen werden können. Ich fordere den Herrn Stadtverord⸗ neten auf, mir nur eine Stadt zu nennen, die in dieſer Beziehung beſſer daran iſt; er wird keine nennen können. Er hat nun das Leiden damit in Zuſammenhang gebracht, daß noch mehrfach Schulbänke mit Plus⸗ diſtanz vorhanden ſind. Ich halte es ja auch für mög⸗ lich, daß durch Schulbänke mit größerer Plusdiſtanz eine Anlage zur Schwäche des Rückgrats noch ge⸗ ſteigert werden kann. Aus dieſem Grunde ſind wir aber ſeit Jahren eifrig bemüht — und ich darf ſagen: Magiſtrat und Stadtverordnete haben ſich mit großer Energie darum bemüht —,die alten Schulbänke durch neue, huygieniſch zweckmäßigere zu erſetzen. Sie haben ganz namhafte Summen dafür in den Etat ein⸗ geſetzt, und ich möchte wieder ſagen: ſuchen Sie eine Stadt, in der man mit größerem Opfermut an der Vervollkommnung der Schulbänke gearbeitet hat als in Charlottenburg! 4.