Sitzung vom 6. März 1912 Vorſtandes der „Eigenen Scholle“ bezog, und der offenbar die Tendenz hatte, die freie Selbſt⸗ beſtimmung dieſes Vorſtandes auszuſchließen oder einzuſchränken zugunſten bureaukratiſcher Beein⸗ fluſſung durch Kräfte, die in anderer Tendenz wirken möchten, als die „Eigene Scholle“ und ihre Organi⸗ ſatoren es tun würden. Dieſem Vorgehen iſt aller⸗ dings, wie ich glaube, in der Hauptſache ein Paroli geboten worden, indem der Antrag mit dieſer Ten⸗ denz zurückgezogen wurde und ein ſehr vermitteln⸗ der Antrag ſchließlich die Zuſtimmung des Provin⸗ ziallandtages fand. Meine Herren, ich kann Sie nur dringend bitten, die — wenn auch nur ſehr beſcheidene — Gabe, die Sie nach dem Antrage Erdmannsdörffer hier geben ſollen, heute bereits zu bewilligen, um Ihre Sympathie für das Unternehmen zu bekunden. Stadtv. Gebert: Meine Herren, geſtatten Sie mir nur ein paar kurze Ausführungen. Wenn Kollege Erdmannsdörffer den Antrag des Magiſtrats, aller⸗ dings in gemilderter Form, wieder aufnimmt, ſo ver⸗ ſtehe ich das. Aber glauben Sie denn, daß das, was man ſich bei dieſer Vereinigung „Eigene Scholle gedacht hat, wirklich in Erfüllung gehen kann? Ich halte das für ausgeſchloſſen, und zwar deshalb: es iſt nicht möglich, ſich mit dem dort erworbenen Stück Land eine geſicherte Exiſtenz zu ſchaffen. Der Regie⸗ rungspräſident von Schwerin hat in ſeiner Rede ange⸗ führt, daß beiſpielsweiſe die Stadt Frankfurt a. O. einen Vorteil haben könnte, weil die Beſitzer dieſes Landes leicht zu den Fabriken kommen könnten. Daraus ergibt ſich doch, daß das Proletariat nicht ver⸗ ringert, ſondern vermehrt wird, und daraus ergibt ſich ferner, daß die in Betracht kommenden Arbeiter — denn andere können es nicht ſein — gezwungen ſind, mit doppelter Kraft zu arbeiten, und zwar in⸗ ſofern, weil ſie einesteils am Tage in der Fabrik tätig ſind und am Abend dann eventuell noch ihr Land beſtellen müſſen. Wir ſehen es ja heute ſchon, daß dieſe kleinen Betriebe, die bei Aufteilung dieſer großen Güter in kleine Parzellen entſtehen, nicht mehr eriſtenzfähig ſind. So ſchön es auch klingen mag, daß die Städter ein gewaltiges Intereſſe daran haben, einen geſunden Menſchenſchlag zu ſich herein zu ziehen, ſo ſollte man auf der anderen Seite auch nicht verkennen, daß wir dieſen geſunden Menſchenſchlag auch heute ſchon haben könnten, wenn man nicht zu kurzſichtig wäre, den Landarbeitern das vorzuent⸗ halten, was ihnen ſeit Jahrhunderten vorenthalten wird, nämlich einmal das Koalitionsrecht, anderer⸗ ſeits die Aufhebung der Geſindeordnung. Darunter leiden die Leute am ſchwerſten. Den beſten Beweis dafür liefert ja die Statiſtik, die uns zeigt, daß allein im letzten Jahre vom Oſten nach dem Weſten Preußens, in das Induſtriegebiet, nicht weniger als 89 000 Perſonen gezogen ſind. Warum? Weil eben die Behandlung, die ihnen dort im Oſten zuteil wurde, nicht gut genug war, und weil ſie dort nicht erreichen konnten, was ſie ſich nun in dem Induſtrie⸗ gebiet ſuchen. Alſo ſo roſig, wie es hier geſchildert wird, kann ich doch die Gründung dieſer Vereinigung nicht anſehen. Wir ſollten dabei außerſt vorſichtig ſein und unſer Geld iſt nicht für ſolche Vereinigungen da. Es war mir ſehr intereſſant, vom Kollegen Stadthagen zu hören, daß wir bereits mit 170 000 % an dieſer Neugründung beteiligt ſind; ich meine, das müßte doch ſchon genügen. Meine Freunde ſind der 121 Meinung, daß wir auf dieſem Gebiete doch recht vor⸗ ſichtig ſein ſollten, um ſo mehr, als ja die Geſellſchaft erſt im Entſtehen begriffen iſt und bis jetzt noch nichts geleiſtet hat. Ich bitte Sie, den Antrag des Kollegen Erdmannsdörffer abzulehnen und es bei dem Be⸗ ſchluſſe des Etatsausſchuſſes bewenden zu laſſen. Bürgermeiſter Matting: Meine Herren, ich wollte nur noch ergänzend hinzufügen, daß die Dar⸗ ſtellung des Herrn Stadto. Stadthagen, als ob wir von den 2 Millionen, die die Provinz gibt, ſchon 170 000 ℳ durch unſere Provinzialſteuern beigetra⸗ gen haben, irrtümlich iſt. Dieſe 2 Millionen werden aus Anleihemitteln genommen, (Zuſtimmung) und dieſe Anleihe verzinſen wir nicht, ſondern die ſoll bekanntlich von der „Eigenen Scholle“ verzinſt werden. Alſo von den zwei Millionen bringen wir gar nichts auf es mußte denn ſein, daß die „Eigene Scholle“ die Verzinſung nicht leiſten wird; dann würden wir allerdings an dem Ausfall anteilig mit entſprechender Steuerquote beteiligt werden. Aber dieſer Fall wird wohl nicht eintreten; die Verzinſung wird gewiß aufgebracht werden, zumal der Staat ſeine 3 Millionen ℳ zinsfrei hergibt, eine Belaſtung der „Eigenen Scholle“ inſoweit alſo von vornherein nicht ſtattfindet. Stadtv. Zander: Meine Herren! Als ich den Kollegen Gebert ſprechen hörte, da ſagte ich mir: wo mag der wohl die Zuſtände auf dem Lande kennen gelernt haben! Es ſcheint ſo, als wenn er die Zu⸗ ſtände auf dem Lande überhaupt nicht kennt. Ich bitte Sie, dem Antrage Erdmannsdörffer zuzuſtim⸗ men. Wer auf dem Lande groß geworden iſt und heute noch die Verhältniſſe dort kennt, der wird dieſe Vorlage mit Freuden begrüßen. Als ich die Schrift des Herrn von Schwerin geleſen hatte, da ſagte ich mir, daß ſie ſo recht dasjenige träfe, was heute für unſere Landbevölkerung not täte. Erwägen wir einmal, wie es auf dem Lande zu⸗ geht! Ein Knecht, der ſich einige hundert Mark geſpart hat, möchte gern heiraten; aber er will nun nicht länger in abhängiger Stellung ſein. Was bleibt ihm da übrig? Er muß in die große Stadt gehen, und auf dieſe Weiſe hilft er das Proletariat dort vergrößern. Aber er kommt nicht allein nach Berlin, ſondern in kurzer Zeit zieht er ſeinen Bruder nach ſich, ſeine Schweſter und viel⸗ leicht auch ſeinen alten Vater, der ſonſt ganz ruhig auf dem Lande geblieben wäre und ſein Amt als Schäfer dort weiter verwaltet hätte. Alle dieſe Leute kommen in die Großſtadt und ſorgen dafür, daß die Armenlaſten dort bedeutend vergrößert werden. Meine Herren, wenn man dieſem Manne, der ſich dort auf dem Lande etwas geſchafft hat, die Möglichkeit gibt, ſich ſelbſtändig zu machen, ſo wird er auf dem Lande bleiben. Ich kenne gerade aus dem Bezirke Frank⸗ furt a. Oder ſoundſoviele kleinere Stellen, wo die Leute 5, 6 und 8 Morgen haben und ſich nicht allein dabei gut ernähren, ſondern auch noch Geld auf die Sparkaſſe tragen. Dieſes Abwandern der Leute vom Lande hat doch zur Folge, daß nun im Sommer Polen und Ruſſen zu den Erntearbeiten herange⸗ zogen werden müſſen. Die Polen und Ruſſen ſind aber ebenſo wie die Italiener gewöhnt, bei uns ab⸗ ſolut nichts auszugeben; ſie ſind mit einem Stück trockenen Brotes und vielleicht einem Stückchen Speck