Sitzung vom 8. Mai 1912 dritten hin bis zur Polizeiwache — und auf der gan⸗ zen Reiſe gar kein Poliziſt und kein Polizeimenſch zu finden, zu hören und zu ſehen. Schließlich kommen ſie zu dem Wachtlokal — und in dem Augenblick empfiehlt ſich der Einbrecher; die beiden ſtehen da, und der dritte iſt weg. (Heiterkeit.) So kann es gehen, wenn nicht genügend Polizei⸗ perſonal vorhanden iſt. Ich nahm darauf Rückſprache mit dem Revierleutnant, und der beſtätigte mir das. Er ſagte: ja, mir iſt die Sache äußerſt ungemütlich, ich habe aber kein Perſonal. Darauf haben wir als Kommunalverein eine Petition an die Polizeidirek⸗ tion und nach Berlin gerichtet, und darauf iſt uns der Beſcheid geworden: man bedauere das, die Ver⸗ hältniſſe geſtatten ihnen aber nicht, eine größere An⸗ zahl von Perſonal für Weſtend zur Verfügung zu ſtellen. So ſind wir nach wie vor mit unſeren 30 000 Einwohnern wahrſcheinlich auch jetzt noch auf einen Schutzmann angewieſen. (Stadtv. Erdmannsdörffer: Und mit dem vielen Gelde, das wir dafür bezahlen.) Stadtv. Zietſch: Meine Freunde ſind weſentlich anderer Anſicht als die beiden Herren, die eben ge⸗ ſprochen haben. Wir haben bisher noch über keinen Mangel an Poliziſten in Charlottenburg zu klagen gehabt. Meine Freunde und ich haben aber des⸗ wegen auch kein Verlangen, die Polizeikoſten in Char⸗ lottenburg erhöht zu ſehen. Wenn Herr Kollege Bergmann glaubt, daß eine große Anzahl von Poli⸗ ziſten dafür garantieren könnte, daß ihm die Treppen⸗ läufer nicht geſtohlen werden, ſo iſt er auf dem falſchen Wege. Die Poliziſten erwiſchen nachweis⸗ lich die wenigſten Spitzbuben; wenn dieſelben nicht anderweitig gefangen werden, würde es noch ſchlimmer ausſehen. Ich meine, die Klagen, die heut vorgebracht ſind, erſchöpfen ſich nur in den äußeren Merkmalen der verſchiedenen Mißſtände im Polizeiweſen, ohne daß die Redner tiefer auf die eigentlichen Gründe dafür eingegangen ſind. Wenn hier über den mangelnden Schutz des Privateigentums und der bürgerlichen Rechte durch die Polizei geklagt wird, ſo liegt das vor allen Dingen daran, daß die Organiſation der preu⸗ ßiſchen Polizei meiner Anſicht nach grundverkehrt iſt. Die Polizei in Preußen hat ſich heute mit unglaub⸗ lich vielen Dingen zu beſchäftigen, die eigentlich die Sicherheit und den Schutz des Eigentums an ſich gar nicht berühren. Wenn man eine lange Reihe von unnötigen Aufgaben der Polizei ſtreichen würde, würde man nicht nur Zeit, ſondern auch genügend Perſonal in der Polizei zur Verfügung haben, um ſich um die Abſtellung der auch heut wieder hervor⸗ gehobenen Mißſtände kümmern zu können. Das Meldeweſen und all das übrige Zeug, um das ſich die Polizei in Preußen zu kümmern hat, um den preußiſchen Staatsbürger von der Wiege bis zur Bahre getreulich durchs Leben zu geleiten, iſt über⸗ flüſſig und hat mit den eigentlichen Aufgaben der Polizei meiner Anſicht nach nichts zu tun. Aber wenn Herr Kollege Bergmann über Poliziſtenmangel klagt und Herr Kollege Becker ihn darin namentlich auch mit einem Hinweis auf Weſtend unterſtützt, dann liegt das eben daran, daß in Weſtend keine ſozial⸗ demokratiſchen Verſammlungslokale zu haben ſind. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) 195 Wenn das der Fall wäre, dann würde Herr Kollege Becker nicht ſo weit zu laufen brauchen, um mal einen Schutzmann zu ſehen. (Heiterkeit. — Stadtp. Becker: Berufen Sie doch eine Verſammlung dort ein!) Denn wo wir Verſammlungen haben — Sie müſſen nur einmal in die Roſinenſtraße kommen, wo unſer Verſammlungslokal iſt —, da haben wir einen großen Ueberfluß an Poliziſten; da ſtehen, wenn wir Ver⸗ ſammlung haben, draußen vor der Tür und auf der Straße jedesmal mehrere Polizeioffiziere und ſo und ſo viele Schutzleute mit umgeſchnallten Browning⸗ piſtolen, — und dieſe ganz überflüſſigen Polizeiauf⸗ gebote machen dann eigentlich erſt die Gegend rebelliſch, während inzwiſchen in Weſtend und an anderen Orten die Spitzbuben ein Leben in dulci jubilo führen können. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Bergmann: Meine Herren! Die Aus⸗ führungen des Herrn Stadtrats Seydel haben mich nicht befriedigt. Würden die Verhältniſſe nur einiger⸗ maßen günſtig ſein, dann hätte unſer Herr Ober⸗ bürgermeiſter nicht ſchon vor längerer Zeit im Herren⸗ hauſe ganz energiſch gegen die Schäden, die hier vor⸗ handen ſind, Stellung genommen. Ich gebe zu, es mag in Ordnung ſein, was Herr Stadtrat Seydel ſagt, daß in anderen größeren Städten nicht mehr Polizeimannſchaften zur Verfügung ſtehen; aber, meine Herren, wie können wir einen Vorort von Berlin mit den anderen Städten vergleichen, einen Vorort, wo ſich naturgemäß das Geſindel anſammelt, welches in Berlin befürchten muß, erkannt und zur Rechenſchaft gezogen zu werden! Ich gebe auch weiter zu, daß ſich Herr Stadtrat Seydel darum be⸗ müht hat, daß zwei neue Reviere geſchaffen werden; aber, meine Herren, das kann keinesfalls genügen. Denn wenn in Berlin 16 000 bis 18 000 Einwohner auf ein Revier kommen, warum ſollte das hier anders ſein? Würde das einigermaßen richtige Verhältnis eingehalten ſein, ſo müßten wir eine Vermehrung um fünf Reviere beantragen, ſelbſtverſtändlich auch unter Vergrößerung des Beamtenperſonals. Denn Sie haben von Herrn Kollegen Becker gehört — ich will auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Zietſch, die ſich ja auf einem anderen Gebiete bewegt haben, nicht weiter eingehen —, daß er das beſtätigt, was ich geſagt habe, daß in vielen Fällen nur ein Schutzmann zur Verfügung iſt und in den weitaus meiſten Fällen überhaupt niemand zu haben iſt. Deshalb bleibe ich dabei, daß es die Aufgabe unſeres Magiſtrats ſein muß, energiſch dafür einzutreten, daß unbedingt hier Wandel geſchaffen wird. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Ich gebe dem Herrn Vorredner zu, daß der öffentliche Sicherheits⸗ dienſt bei uns nicht in genügendem Maße gewähr⸗ leiſtet iſt. Trotzdem liegt die Tatſache vor, daß wir mehr Poliziſten haben als andere große Städte. Es mag ſein, daß dies damit zuſammenhängt — daß Herr Stadtverordneter Zietſch alſo recht hat —, daß zu viel Arbeit und Kraft auf Bureautätigkeit ver⸗ wendet wird und zu wenig Perſonen für den öffent⸗ lichen Sicherheitsdienſt übrig bleiben. Die Tatſachen, die Herr Bergmann erwähnte, ſind richtig. Ich habe damals, als wir das alte Polizeikoſtengeſetz noch