202 der Herr Stadtſchulrat uns mitgeteilt hat, die Schul⸗ leiterinnen haben ſich ſämtlich bereit erklärt, dieſe Bedingungen anzunehmen. Wenn nun nachträglich von uns erklärt wird: wir nehmen eure Schulen überhaupt davon aus, dann fällt für eine ſolche Schul⸗ leiterin der Zwang fort, an ihrer Schule beſtimmte Gehaltsſätze und beſtimmte Alterszulagen einzuhal⸗ ten. Sie treffen alſo die Schulleiterinnen nicht ein⸗ mal wirtſchaftlich, ſondern unter Umſtänden entlaſten Sie ſie ſogar. Und dann, meine Herren, in was für koloſſalen Uebertreibungen ergehen Sie ſich! Der Antiſemitis⸗ mus iſt ganz gewiß keine ſchöne und keine erfreuliche Erſcheinung. Aber, meine Herren, dieſe Orgien des Antiantiſemitismus ſind wahrhaftig auch nicht ſchön. Sehr richtig!) Wie kann man, wie der Herr Vorredner es tat, ſagen: der Antiſemitismus iſt die häßlichſte Erſcheinung in unſerem ganzen politiſchen Leben! So kann nur jemand ſprechen, der ſich deswegen durch dieſe Er⸗ ſcheinung ſo beſonders beleidigt fühlt, weil dieſe Be⸗ wegung nicht nur die unteren Schichten des Volkes trifft, ſondern auch ſehr wohlhabende Schichten. Sie haben hier eine Bewegung, die ſich auch gegen die Wähler der erſten Klaſſe zum großen Teil richtet, und darum empfinden Sie ſie nun ſo außerordent⸗ lich häßlich, daß Sie ſie übertreibend die allerhäß⸗ lichſte Erſcheinung in unſerm politiſchen Leben nen⸗ nen. Wir haben ganz andere und viel häßlichere Er⸗ ſcheinungen in unſerem politiſchen Leben zu verzeich⸗ nen. Ich möchte nur an den Terrorismus gewiſſer rechtsſtehender Parteien erinnern; (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) ich möchte vor allem an die außerordentlich häßliche Erſcheinung der Klaſſenjuſtiz erinnern, die gerade jetzt im Ruhrgebiet geradezu Orgien feiert. Das ſind Dinge, die ſich freilich nicht gegen die Wähler erſter Klaſſe richten und die deswegen vielleicht von man⸗ chem. Wähler erſter Klaſſe für eigentlich ganz in der Ordnung befunden werden oder doch vielleicht nur als ein Ausfluß des Uebereifers mancher Richter, die auch nur Menſchen ſind, entſchuldigt werden. Vorſteher Kaufmann (unterbrechend): Herr Dr Borchardt, Sie entfernen ſich von der Sache ganz bedeutend und kommen auf die Frage einer Klaſſen⸗ juſtig. Das iſt Ihre einſeitige Auffaſſung; (Sehr richtigl) im allgemeinen iſt im Volke noch Vertrauen zu den Richtern vorhanden. (Widerſpruch bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr Borchardt (fortfahrend): Nun, meine Herren, wenn dieſe Verſammlung nicht aus Klaſſenwahlen hervorgehen würde, ſo würde auch in dieſer Verſammlung das Urteil über das Beſtehen einer Klaſſenjuſtiz nur ganz einmütig ſein können. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Alſo, meine Herren, wir können eine Intoleranz, ein Unterſtützen einer Intoleranz darin nicht erblicken, Sitzung vom 8. Mai 1912 daß wir die armen Lehrerinnen, die an intoleranten Schulen unterrichten, in dieſes Syſtem ſozialer Für⸗ ſorge miteinbegreifen. Wir müſſen im Gegenteil gerade Ihren Standpunkt als intolerant gegen poli⸗ tiſch anders Denkende bezeichnen. Und, meine Herren, wir halten dieſen Punkt auch für ſo weſent⸗ lich, daß wir namentliche Abſtimmung darüber be⸗ antragen. (Stadtv. Neumann: Bravo!) Wenn trotzdem die Magiſtratsvorlage mit dieſem Zu⸗ ſatz des Ausſchuſſes oder mit dem noch ſchlimmeren Zuſatz, den Herr Dr Landsberger begründet hat, an⸗ genommen werden ſollte, ſo ſprechen wir die Hoffnung aus, daß der Magiſtrat in der von ihm zu erwartenden Vorlage ſich an dieſen Zuſatz nicht halten wird. (Stadtv. Erdmannsdörffer: Hört! hört!) Meine Herren, es kann vielleicht Verwunderung bei Ihnen erwecken, daß ich als Demokrat — denn Sozialdemokraten ſind ja doch auch Demokraten — daß ich als Demokrat an die Verwaltungsbehörde das Erſuchen richte, unter Umſtänden dem Mehrheits⸗ beſchluß der Vertretung der Bürgerſchaft entgegen⸗ zutreten. (Stadtv. Erdmannsdörffer: Der reine Hee⸗ ringen!) Aber, meine Herren, wir müſſen dabei doch be⸗ denken, wie eine ſolche Vertretung der Bürgerſchaft zuſammengeſetzt iſt. Dieſe Vertretung der Bürger⸗ ſchaft iſt ja nur zu einem Drittel Vertretung der großen Maſſe der Bürgerſchaft, (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) und deswegen können wir es nicht für undemokratiſch finden, wenn die Verwaltungsbehörde ſich Beſchlüſſen, die lediglich der Tendenz einer geringen Schicht der Bevölkerung, keineswegs aber dem Empfinden der großen Maſſe der Bevölkerung entſprechen, in einem ſolchen Falle alſo Beſchlüſſen dieſer Vertretung der geringen Maſſe der Bevölkerung, die nach unſerem Klaſſenwahlrecht hier freilich die Mehrheit hat, ent⸗ gegentritt. Wir hoffen alſo, daß der Magiſtrat, ſelbſt wenn Sie, was ich immer noch nicht annehmen kann, was wir erſt durch die namentliche Abſtimmung feſtſtellen wollen, Ihren unduldſamen Antrag hier zur Annahme durchdrücken werden — ſelbſt dann hoffen wir, daß der Magiſtrat in der von ihm zu erwartenden Vorlage dieſe Unduldſamkeit nicht mit⸗ machen wird, und wenn dann die Vorlage kommt, dann hoffen wir, daß Ihre Gemüter ſich ſo weit be⸗ ruhigt haben werden, daß ſie nun auch nicht mehr ex ira urteilen, ſondern nach ruhiger Ueberlegung die Vorlage des Magiſtrats annehmen werden. (Bravo!) Bürgermeiſter Matting: Meine 0 nante Herren! Wenn ich mir noch einmal das Wort erbitte, ſo tue ich es nicht, um irgendwie neue Argumente ſhier noch vorzutragen, auch nicht, um die Erregung. die hier Platz gegriffen zu haben ſcheint, in irgend⸗ einer Weiſe noch zu ſteigern, vielleicht — zu meinem Bedauern, muß ich ſagen — auch nicht in der Ueber⸗ zeugung, daß meine Worte den Antrag, der hier ge⸗