208 daß die Mitglieder der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung, die dem Preußiſchen Abgeordnetenhauſe ange⸗ hören, Gelegenheit nehmen werden, den Standpunkt der Stadtverordnetenverſammlung dort zur Geltung zu bringen. Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Meine Freunde ſind von der Antwort des Magiſtrats in keiner Weiſe befriedigt. Zunächſt behauptet der Magiſtrat, daß die Nachbargemeinden nicht bereit ſeien, mit uns zu⸗ ſammen zu petitionieren. Ich weiß nicht, worauf ſich die Kenntnis des Magiſtrats ſtützt, ob er ſich an die Vertretungen der Nachbargemeinden gewandt hat oder ob er von vornherein angenommen hat, daß die übrigen Gemeinden von einer gemeinſamen Petition nichts wiſſen wollen. Ich habe mich vergebens be⸗ müht, aus den Akten darüber etwas zu erfahren. Aber ſelbſt wenn ein gemeinſames Vorgehen der Ge⸗ meinden von Groß⸗Berlin nicht zu erwarten iſt, ſelbſt dann ſollte ja nach unſerem Beſchluſſe Char⸗ lottenburg ſelbſtändig vorgehen, der Magiſtrat zu⸗ ſammen mit der Stadtverordnetenverſammlung. A uch davon ſieht der Magiſtrat ab. Er führt eine Reihe ſachlicher Bedenken an. Zu⸗ nächſt weiſt er darauf hin, daß eine Heraufſetzung des eintommenſteuerfreien Exiſtenzminimums auf 1209% für den Staat und die Stadt Charlottenburg einen erheblichen Einnahmeausfall bedeuten würde. Ja, meine Herren, das wußten wir von vornherein. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß, wenn die Steuerzahler mit einem Einkommen von 900 bis 1200 %ℳ keine Steuern mehr zahlen, dann die Stadt einen ge⸗ wiſſen Ausfall an Einnahmen hat. Das hätte uns der Magiſtrat nicht erſt mitzuteilen brauchen. Aber wir dürfen nicht vergeſſen, daß dieſer Einnahme⸗ ausfall gar keine Rolle ſpielt. Es handelt ſich doch nicht darum, daß nun plötzlich die Stadt Charlottenburg auf die Einnahmen aus den Steuern der Zenſiten mit einem Einkomemn zwiſchen 900 und 1200 ℳ ohne weiteres verzichtet, ſondern es handelt ſich zunächſt lediglich um eine Eingabe an die geſetzgebenden Körperſchaften. Es wäre natürlich Sache der geſetzgebenden Körperſchaften, dafür zu ſorgen, daß der Einnahmeausfall auf irgendeine andere Weiſe wieder ausgeglichen wird. Meiner Meinung nach wäre das ſehr leicht möglich durch eine andere Geſtaltung der Progreſſion, wovon der Magiſtrat allerdings auch nichts wiſſen will. Jeden⸗ falls ſteht ſoviel feſt, daß unſer ganzes Steuerſyſtem ſehr wohl ausbauungsfähig iſt, und daß es nicht allzu ſchwer halten dürfte, den Ausfall von 18½ Millionen Mark für den Staat und damit natürlich auch zu⸗ gleich den Ausfall von 200 000 ℳ für Charlottenburg auf andere Weiſe wieder wettzumachen. Der Magiſtrat ſagt weiter, die ſteuerliche Be⸗ laſtung der kleinen Einkommen ſei nicht ſo unerträg⸗ lich, wie von mancher Seite angenommen wird. Dar⸗ über gehen die Anſichten ſehr auseinander. Auch die preußiſche Regierung ſtellt ſich ja auf den Standpunkt, daß die ſteuerliche Belaſtung der kleinen Einkommen nicht ſo unerträglich ſei. Aber das ſagt die Regierung von heute. Es wird ja wohl den Vertretern des Magiſtrats bekannt ſein, daß die Regierung zu An⸗ fang der 90er Jahre bei der Miquelſchen Finanz⸗ reform einen ganz anderen Standpunkt eingenommen hat. Damals hat ſich die Regierung — das geht aus den Motiven des Einkommenſteuergeſetzes hervor — ſelbſt auf den Standpunkt geſtellt, daß man Ein⸗ kommen bis zu 1200 ℳ nicht beſteuern dürfe, und erſt der Landtag hat das ſteuerfreie Eriſtenzminimum Sitzung vom 8§. Mai 1912 auf 900 ℳ herabgeſetzt. Wenn nun die Regierung ſchon vor beinahe einem Vierteljahrhundert die An⸗ ſicht vertreten hat, daß ein Einkommen von 1200 % nicht ausreicht, um auch nur die notwendigſten Lebensbedürfniſſe zu befriedigen, ſo werden Sie mir zugeben, daß heute, wo die Lebenshaltung ganz ge⸗ waltig geſtiegen iſt, die Heraufſetzung der Grenze des ſteuerfreien Exiſtenzminimums von 900 auf 1200 ℳ durchaus am Platze iſt. Das iſt jedenfalls das Mindeſte, was verlangt werden muß. Der Magiſtrat führt zum Beweiſe dafür, daß der Steuerdruck nicht ſo unerträglich ſei, an, daß ja die Zenſiten mit geringem Einkommen in der Haupt⸗ ſache unverheiratete Perſonen ſind. Meine Herren, ich will die Zahlen des Magiſtrats gelten laſſen, aber ich frage den Magiſtrat, ob er unterſucht hat, aus welchen Gründen dieſe Zenſiten unverheiratet ſind. Vielleicht iſt es gerade die wirtſchaftliche Notlage, die ſie hindert, eine Ehe einzugehen. So ohne weiteres kann man dieſen Zahlen eine Bedeutung nicht bei⸗ meſſen. Dann weiſt der Magiſtrat ferner auf die Er⸗ leichterungen hin, die die Einkommenſteuernovelle bringen wird. Zunächſt wiſſen wir noch nicht, ob die von der Regierung beantragten Erleichterungen, die übrigens nicht allzu erheblich ſind, Geſetz werden oder nicht. Es iſt in der Magiſtratsvorlage unter anderen geſagt, daß in Zukunft bereits das Vorhandenſein von einem Kinde genügt, um den Zenſiten eine Stufe herunterzubringen. Das ſtimmt nicht ganz; das be⸗ zieht ſich nur auf Zenſiten mit einem Einkommen bis zu 1200 %%ℳ, und auch da handelt es ſich vorläufig nur um einen Beſchluß, den die Steuerkommiſſion des Abgeordnetenhauſes in erſter Leſung gefaßt hat. Ob ſie den Beſchluß in zweiter Leſung aufrecht erhält und ob das Abgeordnetenhaus und ſchließlich das Herren⸗ haus dem Beſchluß beitritt, können wir alle noch gar nicht wiſſen, ebenſo wenig, wie wir wiſſen können, ob das Abgeordnetenhaus bereit iſt, auf die Vorſchläge der Regierung, ſoweit es ſich um Erleichterungen der Steuerpflichtigen handelt, einzugehen. Ich habe ſelbverſtändlich nicht die Abſicht, hier die Verhand⸗ lungen im Landtag näher zu ſchildern; ich möchte nur darauf aufmerkſam machen, daß es durchaus nicht ausgeſchloſſen iſt, daß ſich doch noch eine Mehr⸗ heit findet, die das ſteuerfreie Exiſtenzminimum her⸗ abzuſetzen bereit iſt. Namentlich das Zentrum, das grundſätzlich auf dem Standpunkt ſteht, daß das ſteuerfreie Exiſtenzminimum auf 1200 ℳ herauf⸗ zuſetzen iſt, hat bei der erſten Leſung der Novelle in der Kommiſſion nur deshalb nicht für eine Herauf⸗ ſetzung geſtimmt, weil es eine Ausdehnung des Kinderprivilegs haben wollte, und da die von den Vertretern des Zentrums beantragte Ausdehnung des Kinderprivilegs abgelehnt iſt, ſo iſt immerhin mit der Möglichkeit zu rechnen, daß zuſammen mit dem Zentrum ſich eine Mehrheit findet, die für Herauf⸗ ſetzung des ſteuerfreien Exiſtenzminimums iſt. Ob die Regierung dazu bereit iſt, iſt allerdings eine andere Frage. Meine Herren, ich bedaure, daß der Magiſtrat von einer Petition Abſtand genommen hat. Gerade dadurch, daß die Gemeinden oder wenigſtens ein⸗ ſichtige Gemeinden ſich in der jetzigen Zeit an den Landtag wenden und ihm die Notwendigkeit der Er⸗ höhung der Grenze für das ſteuerfreie Exiſtenzmini⸗ mum klar machen würden, gerade dadurch, würden diejenigen, die beſtrebt ſind, die Steuergeſetze ſozial ausaugeſtalten, in ihrem Beſtreben unterſtützt werden. Dieſe Unterſtützung haben wir infolge der ablehnen⸗