216 daß ebenſogut den Mitgliedern aller anderen Vereini⸗ gungen dieſe Unterſtützung zugänglich iſt, und daß die Selbſthilfe, die dieſe Vereinigungen darſtellen, doch im allgemeinen eine ſehr unterſtützungswürdige Maß⸗ regel iſt, und daß bei den Gemeinden ein großes Im⸗ tereſſe beſtehe, dieſe Art der Selbſthilfe durchaus zu fördern. Und überhaupt könne das Zuſammenwirken der Städte mit allen dieſen Vereinigungen, auch mit den freien Gewerkſchaften, nur günſtige Folgen ent⸗ wickeln. Außerdem könne die Kontrolle über die Notwendigkeit der Unterſtützung an Arbeitsloſe nir⸗ gends beſſer aufgehoben ſein, als im Kreiſe ihrer Fach⸗ kollegen, welche das meiſte Intereſſe und Verſtändnis dafür haben, und welche einen Mißbrauch am eheſten vorbeugen werden. Von den Gegnern wurde geſagt, die Berufsvereinigungen und die Gewerkſchaften könnten ja den Weg der Geſamtverſicherung be⸗ ſchreiten, der ihnen bei unſerer ſtädtiſchen Arbeits⸗ loſenkaſſe freigelaſſen iſt, ſo gut wie den Arbeitgebern; wenn ſie ihn nicht beſchreiten, ſo würden anderer⸗ ſeits wahrſcheinlich die Arbeitgeber kein Intereſſe haben, für ihre Arbeiter in größerem Umfange die Geſamtverſicherung zu veranlaſſen, da die Unter⸗ ſtützungen der Berufsvereinigungen in der bisherigen Weiſe fortbeſtehen. Die Freunde der Vorlage be⸗ tonten ferner, daß die Stadt auch vom Standpunkte der ſozialen Fürſorge ein Intereſſe an einer wirk⸗ ſamen Arbeitsloſenunterſtützung habe: es gelte, die beſſerbeſoldeten Arbeiter im Falle der Arbeitsloſigkeit wirtſchaftlich nicht allzuſehr ſinken zu laſſen. Wenn gelernte Arbeiter verarmen, wird die Zahl der unge⸗ lernten vermehrt. Soviel über die allgemeinen Grundſäne. Ich darf auch annehmen, daß Sie ſich die Verhandlungen der erſten Leſung noch einmal rekapituliert haben. Ich muß nun noch ganz kurz zu einigen De⸗ tails der Vorlage das Wort nehmen. Der Ausſchuß hatte in ſeiner vierten Sitzung, wie Sie auf Seite 184 ſehen, beſchloſſen, den Magiſtrat zu erſuchen, zu erwägen, ob es möglich iſt, die Verſicherungskaſſe mit einer Be⸗ ſtimmung über Rückvergütung eines Teiles der eingezahlten Beiträge im Falle der Invalidität auszuſtatten. Bei den ſpäteren Verhandlungen hat ſich der Aus⸗ ſchuß nicht damit begnügt, dies bloß als Wunſch dem Magiſtrat gegenüber auszuſprechen, ſondern hat es als Artikel 27 der zweiten Vorlage ausdrücklich beſchloſſen. Ich muß ferner darauf hinweiſen, daß wiederholt ein Antrag abgelehnt worden iſt, Bauarbeiter während der durch die winterliche Witterung bedingten Arbeits⸗ loſigkeit von der Unterſtützung durch die Stadt auszu⸗ ſchließen. Man nahm bei der Ablehnung an, daß ge⸗ nügende Vorſicht dadurch getroffen iſt, daß von jedem Arbeitsloſen der Nachweis von 48 Beitragsmarken in jedem der beiden letzten Jahre verlangt wird; wer 48 Marken nachweiſe, könne als „regelmäßig beſchäf⸗ tigt“ angenommen werden und ein Ausfall durch Saiſonarbeit nicht in Betracht kommen. Allerdings iſt von dieſem Nachweis in Vorlage 1 nicht die Rede. Meine Herren, wenn man bei dem Aufwand von lariger Arbeit, die in dieſer Angelegenheit ge⸗ ſchaffen iſt, wenigſtens ein gewiſſes Ergebnis zuſtande bringen will, muß man ſich auf den Standpunkt der Magiſtratsvorlage und des Beſchluſſes der zweiten Leſung des Ausſchuſſes ſtellen. Unſere ganzen Beſtre⸗ bungen im Laufe der Jahre gingen doch in der Tat darauf hinaus, in dieſer Angelegenheit etwas Poſi⸗ tives zu leiſten. Und es muß anerkannt werden, daß nach dem Gange der Verhandlungen nur bei der Sitzung vom 22. Mai 1912 Annahme beider Vorlagen eine Verwirklichung zu erwarten iſt, und daß, wenn man ihnem die Form des ſogenannten Genter Syſtems ausbricht, dann ein Torſo übrig bleibt, der nicht ohne Bedenken iſt. Ich habe Ihnen alſo namens des Ausſchuſſes zu empfehlen, der Magiſtratsvorlage mit den geringen Veränderungen, die der Ausſchuß ſchließlich annahm, beizutreten. Sie finden in den Protokollen eine vom Magiſtrat offiziell abgegebene Erklärung, wonach er von der Vorlage Abſtand nehme, wenn die Zahlung von Zuſchüſſen an Berufsvereinsmitglieder abgelehnt wird. Sie dürfen glauben, daß es ſelbſtverſtändlich nicht dieſe Erklärung war, die den Ausſchuß zu einer veränderten Stellungnahme veranlaßt hat, ſondern daß er die Erklärung entgegengenommen hat, wie Magiſtratserklärungen eben in jedem Stadium der Beratungen abgegeben werden können. Stadtv. Dr. Rothholz: Mit den Empfehlungen, die der Herr Referent der Vorlage mit auf den Weg gegeben hat, kann meine Fraktion ſich im großen ganzen einverſtanden erklären, nur iſt ſie in ihrer Majorität bei Schaffung einer ſelbſtändigen Char⸗ lottenburger Arbeitsloſenkaſſe nicht für die gleich⸗ zeitige Einführung des Genter Syſtems zu haben. Meine Herren, zu dieſer Stellungnahme ſind wir nicht etwa durch Voreingenommenheit gegen die Gewerkſchaften gekommen, welchen, wie der Herr Re⸗ ferent ſchon ausführte, der größte Teil der Arbeits⸗ loſenunterſtützung nach dem Genter Syſtem zufließen würde. Wir laſſen es auch ganz dahingeſtellt ſein, ob es zweckmäßig iſt, aus dem allgemeinen Steuerſäckel Mittel aufzuwenden für Mitglieder von Vereinen, die neben ihren wirtſchaftlichen auch politiſchen Be⸗ ſtrebungen nachgehen. Was uns zu unſerm Stand⸗ punkt geführt hat, iſt nur der Inhalt der Magiſtrats⸗ vorlage. Meine Herren, hier in Charlottenburg ſind nach der Statiſtik in der Allgemeinen Ortskrankenkaſſe über 50 000 Arbeiter. Rechnen wir noch zu dieſen die Dienſtboten und die Hausgewerbetreibenden, dann umfaßt Charlottenburg ungefähr 60 000 Ar⸗ beiter. Aus der Aufſtellung in der Denkſchrift, die ſich in Ihren Händen befindet, und die Sie gewiß ſtudiert haben, können Sie erſehen, daß bei den Ge⸗ werkſchaften in Charlottenburg rund 3000 Arbeiter organiſiert ſind, und von dieſen 3000 Arbeitern iſt nur ein Teil gegen Arbeitsloſigkeit verſichert; z. B. der Verband der Maurer und der Verband der bau⸗ gewerblichen Hilfsarbeiter hat überhaupt keine Ar⸗ beitsloſenunterſtützung eingeführt. Schon dieſes Bei⸗ ſpiel zeigt Ihnen — was ja ganz natürlich iſt —, daß die Gewerkſchaften die Arbeitsloſenunterſtützung bei denjenigen Berufen einzuführen angefangen haben, wo ſie das geringſte Riſiko vorausſehen und von denen ſie vorausſetzen konnten, daß die Arbeiter auch die Beitragslaſten zu tragen imſtande waren. Ich verkenne gar nicht, daß die Gewerkſchaften auf dem Gebiete der Arbeitsloſenverſicherung Gutes geleiſtet haben. Aber umgekehrt frage ich mich: Iſt es denn richtig, daß gerade die beſſergeſtellten Ar⸗ beiter, diejenigen Arbeiter, die ſchon von den Ge⸗ werkſchaften eine Unterſtützung beziehen, im Falle des Eintritts der Arbeitsloſigkeit von ſtädtiſcher Seite noch weiter unterſtützt werden? Meine Herren, nicht bloß unter den nichtorganiſierten Arbeitern würde ein ſolcher Beſchluß Unzufriedenheit erregen, ſondern auch bei den gewerkſchaftlich organiſierten. Denn nehmen wir bloß die Bauarbeiter heraus, die even⸗