Sitzung vom 22. Mai 1912 tuell durch ihre Beſchäftigung nicht einmal Mitglieder unſerer Kaſſe, die wir begründen wollen, werden konnen; dieſe Kategorie von Arbeitern kann ſelbſt⸗ verſtändlich fragen: woher kommt es, daß die Stadt Charlottenburg denjenigen organiſierten Arbeitern, die ſchon von der Gewerkſchaft eine Unterſtützung haben, eine Unterſtützung von ſtädtiſcher Seite ge⸗ währt, uns aber nicht? Um wieviel berechtigter iſt zu dieſer Frage die große Maſſe der ungelernten Arbeiter, die gar nicht organiſiert ſind und auch nicht einmal die Mittel haben, die geforderten Beiträge für unſere Kaſſe aufzubringen! Aber, meine Herren, hinzu kommt noch die Ueberlegung: wird denn durch den Zuſchuß, den die Stadt leiſtet, eine Propagierung der Idee der Ar⸗ beitsloſenverſicherung herbeigeführt? Der Antrag des Magiſtrats überſchreibt ſich: Entwurf eines Ge⸗ meindebeſchluſſes betr. Verwendung ſtädtiſcher Mittel zur Förderung der Arbeitsloſenverſicherung im Ge⸗ meindebezirk Charlottenburg. Das iſt meines Er⸗ achtens nicht der Fall. Der Magiſtrat überweiſt ja den Gewerkſchaften nicht Geldmittel unter der Be⸗ dingung der Neueinführung von Arbeitsloſenverſiche⸗ rungen, ſondern er gewährt nur denjenigen Arbeitern eine Arbeitsloſenunterſtützung, die eine ſolche ſchon von der Gewerkſchaft beziehen. Alſo diejenigen Ar⸗ beiter, die im Beſitz einer Unterſtützung ſind, ſollen nach der Magiſtratsvorlage eine um 50% erhöhte Unterſtützung erhalten. Die Gewerkſchaften werden aber nicht dazu angehalten, eventuell die Arbeits⸗ loſenverſicherung auch auf die Gewerbe auszudehnen, die ſie bis jetzt noch nicht haben und die eventuell die großen Riſiken darbieten. Auch die ſchematiſche Verteilung der Arbeits⸗ loſenunterſtützung, wie ſie die Magiſtratsvorlage vor⸗ ſieht, iſt für meine Freunde nicht annehmbar. Es heißt im Entwurf: 50 % Zuſchuß erhält jeder Ar⸗ beitsloſe, der eine Unterſtützung von der Gewerkſchaft bekommt. Meine Herren, wohin wird das denn führen? Die Unterſtützungen von den Gewerkſchaften ſind nicht gleichmäßig. Es gibt nach der ſchon ge⸗ nannten Denkſchrift Unterſtützungen bei den Gewerk⸗ ſchaften von 60 § bis herauf zu 2,33 ℳ. Was iſt die Folge davon? Arbeiter, die einen guten Lohn haben, Arbeiter, die eine hohe Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung von den Gewerkſchaften erhalten, bekommen von der Stadt einen verhältnismäßig hohen Zuſchuß, ſo daß ein Arbeitsloſer eventuell pro Tag als Ar⸗ beitsloſenunterſtützung 2,33 ℳ von der Gewerkſchaft und 50 % dazu von der Stadt bekommt, ſo daß ſich ſein tägliches Arbeitsloſengeld auf 3,33 ℳ ſtellt, während umgekehrt die am ſchlechteſten geſtellten Ar⸗ beiter, die von der Gewerkſchaft bloß 60 § oder 50 § erhalten, von der Stadt nur einen Zuſchuß von 25 § bekommen, ſo daß ſie im ganzen auf eine Unterſtützung von nur 75 § zu rechnen haben. Dieſe ſchematiſche Zubilligung der Zuſchüſſe von der Stadt kann nicht den Beifall meiner Freunde finden. Meine Herren, ich kann mir denken — der Ge⸗ danke iſt theoretiſch wohl denkbar —, daß eventuell die Zuſchüſſe, die wir geben, in die Kaſſe irgendeiner Vereinigung zurückfließen können. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) — meine Herren, ich meine: theoretiſch denkbar. (Stadtv. Hirſch: Sind Ihre Kaſſen ſo leer?) 217 — Meine Herren, ich wundere mich, daß gerade von der äußerſten Linken, von ſozialdemokratiſcher Seite ein ſolcher Vorgang beſtritten wird, und ich wundere mich ferner, daß die Sozialdemokraten der Vorlage in dieſer Form zuſtimmen. Im Falle der Arbeits⸗ loſigkeit müßte die Sozialdemokratie gleiche Zuſteue⸗ rung der Stadt für jeden Arbeiter aus dem allge⸗ meinen Säckel fordern. Meine Herren, wenn es nun dahin kommt, daß der eine Arbeitsloſe 75 oder 90 5, der andere aber 3,33 ℳ bekommt, dann halte ich es vom Standpunkt der Sozialdemokratie gar nicht für unangebracht, zu ſagen: du, Genoſſe, beziehſt hier eine verhältnismäßig hohe Unterſtützung, führe mal einen Teil der Unter⸗ ſtützung wieder an die Kaſſe ab — bei Streiks und dergleichen iſt ja gang und gäbe, daß die beſchäftigten Leute einen Teil ihres Lohnes in die Streikkaſſe für die Streikenden abführen. (Stadtv. Hirſch: Keine Ahnung!) Meine Herren, ähnliche Anſichten, die ich Ihnen hier zum Vortrage gebracht habe, werden aber ſelbſt von Gewerkſchaften — nicht von Berliner, ſondern von den Gewerkſchaften in Cöln — vertreten. Ge⸗ ſtatten Sie mir, daß ich Ihnen hier aus einem Auf⸗ ſatze von Dr Georg Fuchs, Beigeordnetem der Stadt Cöln, aus dem „Arbeitsmarkt“ einige Stellen vor⸗ leſe. In dieſem Aufſatze handelt es ſich um die Neu⸗ organiſation der Kaſſe der Stadt Cöln, über die auch der Herr Referent ſchon berichtet hat, und darin wird ausgeführt, daß die Gewerkſchaften ſich auch damit einver⸗ ſtanden erklärt haben, daß für die Beibehal⸗ tung der Arbeitsloſenkaſſe in der Stadt Cöln es von ausſchlaggebender Bedeutung iſt, daß die Leiſtungen der Gewerkſchaften und die Vor⸗ ausſetzungen für dieſe ſehr verſchieden ſind, ſo daß Unterſchiede in den Gemeindezuſchüſſen entſtehen, die der inneren Berechtigung ent⸗ behren, wenn man von dem einzig richtigen Geſichtspunkt ausgeht, daß alle Gemeindemit⸗ glieder gleich zu behandeln ſind. Endlich er⸗ ſcheint das Genter Syſtem wenig oder gar nicht entwicklungsfähig und hat den weiteren Nach⸗ teil, daß irgendeine Gegenleiſtung, wie ſie für den Verſicherungsgedanken notwendig iſt, nicht in die Erſcheinung gelangt. Meine Herren, dieſen Gedankengang verfoglen auch die Cölner Gewerkſchaften, und daraus können Sie erſehen, daß ſelbſt von dieſer Seite aus dem Genter Syſtem nicht überall die Lobeshymnen geſungen werden wie hier. Aber, meine Herren, weil die liberale Partei und auch die liberale Fraktion hier der Arbeits⸗ loſenverſicherung im großen Ausbau ſehr ſympathiſch gegenüberſteht, ſind wir für die Errichtung einer ſelbſtändigen Charlottenburger Arbeitsloſenkaſſe zu haben, aber nicht für die Zubilligung von Zuſchüſſen an die Arbeitsloſen, die von den Vereinen Unter⸗ ſtützung haben. Eins iſt ſicher: eine Arbeitsloſenkaſſe kann nur beſtehen, wenn gute Riſiken in ihr neben ſchlechten beſtehen. Bei nur ſchlechten Riſiken muß ſelbſtverſtändlich die Kaſſe kaputt gehen. Wie verhält es ſich bei uns in Charlottenburg? Zweifellos ſind momentan die beſten Riſiken in den Gewerkſchaften vertreten. Solchen Arbeitern aber, die in der Ge⸗ werkſchaft gegen Arbeitsloſigkeit verſichert ſind, und nach dem Beſchluſſe des Ausſchuſſes einen Zuſchuß