220 Nun iſt allerdings ein ſehr häßliches Wort — da das Wort Torſo erwähnt iſt, möchte ich auch dieſes andere Wort erwähnen — in den Beratungen des Ausſchuſſes gefallen — ich will nicht ſagen, von welcher Seite. Es wurde geſagt: wenn Ihr die Arbeitsloſenverſicherungskaſſe von ſtädtiſcher Seite einführt und die Gewerkſchaften nicht unterſtützt, dann werden die Gewerkſchaften nicht in dieſe ſtädtiſche Kaſſe eintreten, ſondern ſie werden ſie boykottieren. (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Im Ausſchuſſe iſt das nicht geſagt worden!) — Das iſt geſagt worden; es iſt ſtenographiert worden, (Zurufe bei den Sozialdemokraten: Das haben Sie geglaubt!) — Nein. Es iſt weiter auch geſagt worden, man ſoll keine Wohltaten erteilen, mit denen man das Stan⸗ desgefühl verletzt. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) — Das beſtätigt alſo Herr Kollege Zietſch. Meines Erachtens iſt das eine noch viel ſchlimmere Aeuße⸗ rung, daß, wenn wir eine Arbeitsloſenkaſſe von der Stadt aus einrichten, wir das Standesgefühl der Arbeiter dadurch verletzen, wenn wir ſagen: wir ſtellen euch frei, hier einzutreten. So wird die Sache von gewiſſer Seite aufgefaßt. Ich bedaure das, und ich hoffe auch, daß das nicht die letzten Worte ſein werden. Ich hoffe, daß, wenn wir eine ſtädtiſche Arbeitsloſenkaſſe einrichten, dann die Arbeiter, mögen ſie einer politiſchen Richtung an⸗ gehören, welcher ſie wollen, es ſich wohl überlegen werden, ob ſie dieſer Kaſſe nicht beitreten, — daß ſie es ſich wohl überlegen werden, daß es ſich hier um ein ſachliches Gebiet handelt, auf dem alle poli⸗ tiſchen Parteien zuſammenarbeiten können, um der Not zu ſteuer n. Da erwarte ich auch von den freien Gewerkſchaften, daß ſie ihre Arbeiter gerade auffordern werden, z. B. von der Einrichtung der Geſamtverſicherung Gebrauch zu machen, was ihnen ohne weiteres freiſteht. Weiter iſt gegen die Weglaſſung der Gewerk⸗ ſchaften angeführt worden, daß die Kontrolle dann zu ſchwierig wäre. Ich befürchte im Gegenteil, daß, wenn die Gewerkſchaften in dem Statut bleiben, das eine Quelle von Streitigkeiten wegen der Kontrolle geben würde. Ich möchte unſere Stadt davor be⸗ wahren, daß ſie in dieſe Kämpfe hineinſteigt, in die Kämpfe mit der Gewerkſchaftsleitung: liegt hier eine richtige Arbeitsloſigkeit im Sinne des Statuts vor, liegt hier eine Weigerung der Annahme angebotener Arbeit vor, die berechtigt iſt oder nicht? — Meine Herren, vor ſolchen Streitigkeiten müſſen wir unſere Verwaltung, ſoweit es geht, bewahren. Dann wird geſagt: ja, die Gewerkſchaften müßt ihr unterſtützen, denn dort iſt ja der Weg der Selbſt⸗ hilfe beſchritten, und es iſt die Pflicht eines Sozial⸗ politikers, überall eine Unterſtützung zu gewähren, wo die individuelle Selbſthilfe bereits eingetreten iſt. In dieſer Beziehung hat Herr Kollege Rothholz ſchon ſoviel geſagt, daß ich mich auf ganz wenige Worte beſchränken kann. (GGewiß iſt es durchaus an⸗ zuerkennen, daß die freien Gewerkſchaften in erſter Linie — die Hirſch⸗Dunckerſchen und anderen Ge⸗ Sitzung vom 22. Mai 1912 werkſchaften ſind ja zum Teil gefolgt, aber vielleicht noch nicht in dem gleichen Maße vorgegangen — dieſen Zweig der ſozialen Fürſorge in ihre Tätigkeit hineingezogen haben. Aber, meine Herren, man muß ſich doch auch überlegen, in welchem Umfange ſie das getan haben oder haben tun können, und da möchte ich Ihnen doch die Zahlen vorlegen. Mir ſtehen aus dem Jahre 1909 die Zahlen zur Verfügung; die anderen habe ich nicht mehr zuſammenſtellen können. In dieſem Jahre haben die ſämtlichen freien Gewerk⸗ ſchaften etwa 8½ Millionen Mark an Arbeitsloſe gezahlt. Demgegenüber ſtehen 10½ Millionen an Streikunterſtützung, Agitation uſw. (Stadtv. Zietſch: Was iſt denn „uſw.“21) Der Geſamtetat der Gewerkſchaften betrug in dieſem Jahre 50½ Millionen. Alſo ſelbſt in dieſem relativ günſtigen Jahre kommen, ſoviel ich geſehen habe, etwa nur 20%% auf die Arbeitsloſenunterſtützung. Dieſes Jahr iſt beſonders günſtig, weil die Streik⸗ unterſtützungen ſehr gering waren, nämlich nur 6,9 Millionen betrugen, während ſie ſich im Jahre 1907 auf 13,1 Millionen ſtellten. Sie ſehen, die Streikunterſtützungen früherer Jahre gehen weit über die Arbeitsloſenunterſtützungen hinaus. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Nun muß man vor allen Dingen im Auge be⸗ halten, daß die Gewerkſchaftsunterſtützung durch die Stadt nicht einer Notlage ſteuern würde, ſondern daß damit lediglich einer bereits auf anderem Wege im weſentlichen beſeitigten Notlage noch ein Schärf⸗ lein zugegeben werden ſoll. Die Zahlen aus Schöneberg, die der Herr Berichterſtatter Ihnen vor⸗ geleſen hat, wonach von den dort vom 1. April 1911 bis 31. März 1912 ausgezahlten 9800 ℳ etwa 9300 ℳ — ſoviel war es wohl — lediglich den freien Gewerkſchaften zugute gekommen ſind, reden doch Bände! Haben wir es denn nötig, den freien Gewerkſchaften die Gelder der Steuerzahler einfach zu überlaſſen, um die Arbeitsloſen zu unterſtützen? Nein, ich meine, man follte die nort⸗ leidenden Arbeitsloſen unterſtützen (Sehr richtig!) und die Gelder, ſeien es auch nur 9000 ℳ — wir haben ja auch 10 000 ℳ eventuell vorgeſehen —, d en en z ukommen lafſen, die eben nicht in der Lage ſind, die hohen Bei⸗ träge zu zahlen, die die Gewerkſchaf⸗ ten mit aus anderen Gründen jeden⸗ falls verlangen. (Sehr richtig!) Von den Arbeitern werden Beiträge zu den Ge⸗ werkſchaften verlangt, die ſich, ich will einmal nur ſagen, zwiſchen 50 und 100 %ℳ bewegen; wenn man andere Dinge hinzunimmt, bewegen ſie ſich noch in höheren Grenzen. Das können gewiſſe Gruppen von Arbeitern nicht leiſten, und dieſen Arbeitern ſoll die Stadt zu Hilfe kommen, (Zuruf des Stadtv. Zietſch) — vor allem durch beſſeren Arbeitsnachweis: darin