Sitzung vom 22. Mai 1912 Unternehmen, das von Ihnen ins Leben gerufen wird, um die Gewerkſchaften zu bekämpfen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Widerſpruch bei den Liberalen.) — Ob Sie das beſtreiten oder nicht — ſo töricht werden Sie natürlich nicht ſein, daß Sie uns Ihre wahre Abſicht enthüllen werden; aber aus allem, was Sie geſagt haben, klingt das deutlich genug hindurch. Sie wollen, daß die freien Gewerkſchaften Propa⸗ anda für die Kaſſe machen, im übrigen aber hüten Sie ſich ängſtlich vor jeder Berührung mit dieſen verpönten Gebilden. Was hier über die Gewerkſchaften geſagt worden iſt, das iſt ja eigentlich das alte Zeug, das man in Tauſenden von Flugſchriften des Reichsverbandes und ähnlicher Vereine leſen kann, die bei Wahlen ver⸗ breitet werden. Neu iſt es nicht. Tauſendmal iſt es widerlegt, es wird aber immer wieder vorge⸗ bracht, weil es einem gerade in den Kram paßt. Meine Herren, das ſind Vorwürfe, die ich, wenn ſie nicht hier in dieſem Saale, ſondern vielleicht draußen in irgendeiner Verſammlung von anderen Leuten erhoben würden, als töricht und lächerlich bezeichnen würde. (Große Heiterkeit.) Herr Stadthagen ſagt: ſeht einmal, die Ge⸗ werkſchaften haben in einem Jahre nur 8 Millionen Mark für Arbeitsloſenunterſtützung ausgegeben, aber 10 Millionen Mark für Streiks uſw. Ueber das „uſw.“ hat er ſich ausgeſchwiegen; wieviel ſie z. B. für Ausgeſperrtenunterſtützungen ausgegeben haben, das hat er nicht erwähnt, auch nicht, was ſie für Krankheitsunterſtützung ausgegeben haben. Meine Herren, es kann ſich doch niemand wundern, daß die Gewerkſchaften an Streikunterſtützung mehr aus⸗ geben als an Arbeitsloſenunterſtützung; denn die Gewerkſchaften ſind nicht gegründet als Unter⸗ ſtützungskaſſen, ſondern ſie ſind gegründet, um wirt⸗ ſchaftliche Vorteile für die Arbeiter, eventuell auch durch Streiks, zu erreichen. Das iſt der eigentliche Zweck der Gewerkſchaften, und die Unterſtützungen ſind nur Nebenzweck. (Dr Stadthagen: Hört! hört! — Lachen und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) — Daß Sie „hört! hört!“ rufen, beweiſt doch, was ich vorhin ſagte, daß Sie keinen Schimmer von dem haben, über was Sie vorhin geſprochen haben. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Einer der Herren — wer es war, weiß ich nicht, die eine Rede gleicht ja der andern vollkommen — ſagte, es ſei nicht zweckdienlich, aus dem allgemeinen Steuerſäckel Mittel aufzuwenden für Vereine, die neben wirtſchaftlichen auch politiſche Zwecke verfolgen. Zunächſt weiß jedes Kind, daß die Gewerkſchaften keine politiſchen Zwecke verfolgen — (Lachen und Zurufe bei den Liberalen: Nur die Kinder!) — 28 gibt ja auch chriſtliche Gewerkſchaften und Hirſch⸗ 225 Dunckerſche, die Ihnen nahe ſtehen; aber die freien Gewertſchaften verſolgen keine politiſchen Zwecke. (Lachen und Zurufe.) — Daß die Mitglieder ſich auch politiſch betätigen, meine Herren, das werden Sie ihnen doch nicht ver⸗ denken. (Zuruf: Geſchieht nur zufällig! — Heiterkeit.) Die Gewerkſchaften ſelber verfolgen keine politiſchen Zwecke; ob Sie das noch ſo oft wiederholen, das iſt ganz gleichgültig. (Zuruf: Aber die Einzelmitglieder!) — Die Einzelmitglieder dürfen das auch, die Führer dürfen es auch; ich wünſche ſogar, daß jedes einzelne Mitglied einer freien Gewerkſchaft ſich politiſch, und zwar bei der Sozialdemokratie organiſiert. (Lachen und Zurufe bei den Liberalen und bei der vereinigten alten Fraktion.) Aber dieſer mein frommer Wunſch ändert an der Tatſache nichts, daß die Gewerkſchaften als ſolche keine politiſchen Gebilde ſind. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten!) Ein anderer Herr ſagte: was haben wir es nötig, den freien Gewerkſchaften die Gelder der Steuer⸗ zahler zu überlaſſen! Meine Herren, umgekehrt iſt es: die freien Gewerkſchaften nehmen den Gemeinden und dem Staat durch ihre Leiſtungen Laſten ab. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wie hoch, glauben Sie wohl, würden die Armen⸗ etats der verſchiedenen Gemeinden anſchwellen, wenn nicht die Gewerkſchaften durch die Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung, durch die Krankenunterſtützungen, durch Sterbekaſſen und andere Beihilfen, die ſie ihren Mit⸗ gliedern geben, die Arbeiter über Waſſer halten und ſie davor bewahren, daß ſie der öffentlichen Armen⸗ pflege anheim fallen? Sie können ſich bei den Ge⸗ werkſchaften bedanken, daß ſie dieſe Aufgaben, die die meiſten Gemeinden bisher vernachläſſigt haben und die auch Sie im Begriffe ſind zu vernachläſſigen, den Gemeinden abgenommen haben! Die 8 Millionen Arbeitsloſenunterſtützung, die Herr Stadthagen vorhin angeführt hat, ſind doch Gelder, die direkt den öffentlichen Körperſchaften von den Gewerk⸗ ſchaften geſchenkt worden ſind! Sie können alſo nicht ſagen, daß die Gelder der Steuerzahler den Gewerk⸗ ſchaften zufließen, ſondern umgekehrt, Sie müſſen ſich bei den Gewerkſchaften dafür bedanken, daß ſie die Armenetats ſo gewaltig entlaſten. Meine Herren, mit Dr Jaſtrow halten die Ge⸗ werkſchaften die Berufsvereine für die richtigen, ich möchte ſagen, für die einzigen Träger der Arbeits⸗ loſenverſicherung, Herr Rothholz allerdings iſt auch in dieſer Beziehung anderer Meinung, weil er ſich ſehr ungenügend informiert hat. Er ſagt: in Cöln hätten die Gewerkſchaften ſich gegen den Ausbau des Genter Syſtems erklärt. Das ſteht in einem Artikel, den er ſo freundlich war mir auch zu zeigen. Welche Gewerkſchaften das ſind, iſt aus dem Artikel nicht zu