Sitzung vom 22. Mai 1912 hat mit der Motivierung, ſie möchten die Ausſper⸗ rung aufheben, weil die kleinen Krämer ohnehin ſchon eine bedrängte Exiſtenz haben und dadurch, daß ſo viele Arbeiter arbeitslos werden und keinen Verdienſt haben, ihre Exiſtenz nur noch erſchwert wird. Meine Herren, da ſehen Sie ja, wer am letzten Ende von der Arbeitsloſenunterſtützung mit den Vorteil hat. Der Arbeiter muß das Geld wieder ausgeben, und es fließt mit in die Taſchen der Hausbeſitzer, und wo es ſonſt ſein Ende nimmt. Aber Sie haben damit das Gute geſchaffen, daß der Arbeiter in die Lage geſetzt wird, ſeinen Verpflich⸗ tungen einigermaßen nachkommen zu können. Meine Herren, wenn Sie jemals Gelegenheit gehabt hätten, das Gefühl mit durchzukoſten, das ein Arbeitsloſer empfindet, wenn er von Betrieb zu Betrieb läuft und überall abgewieſen wird, wenn er ſich dann, wenn er verheiratet iſt, ſcheut, ſeine Häuslichkeit aufzuſuchen, um nicht die vorwurfsvollen Blicke ſeiner Frau er⸗ tragen zu müſſen, Sie würden vielleicht anders ur⸗ teilen. Ruht ſich dann ein Arbeitsloſer auf einer Bank in den Anlagen aus, dann kommen die beſſer ſitu⸗ ierten Leute der Geſellſchaft her und ſagen: ſeht doch dort den jungen Mann oder den Menſchen, der arbeitsſcheu auf der Bank herumlungert! Meine Herren, das ſind Aeußerungen, die jeder Arbeitsloſe ſchon hat mitanhören müſſen, und an derartige Aeuße⸗ rungen erinnert ſehr ſtark, was Herr Kollege Roth⸗ holz und auch Herr Kollege Stadthagen geſagt haben Meine Herren, Sie brauchen ſich gar nicht da⸗ gegen zu wehren. Die Zeit iſt noch gar nicht fern, wo derjenige, der arbeitslos war, als Verbrecher be⸗ trachtet wurde, wo die Arbeitsloſigkeit unter Strafe geſtellt war. Und ich glaube, wenn ſich Ihre Anſichten ſo weiter entwickeln, wie ſie hier heute zutage ge⸗ treten ſind, dann werden Sie ſchließlich wieder bei dieſer Anſicht landen und werden, ſtatt die unver⸗ ſchuldete Arbeitsloſigkeit zu unterſtützen, dahin kommen, die Arbeitsloſigkeit zu beſtrafen, wie es in früheren Zeiten geweſen iſt. Meine Herren, wenn Sie tatſächlich dazu über⸗ gehen werden, den § 3 ſo umzumodeln, daß der Zu⸗ ſchuß an die Gewerkſchaften ausgeſchaltet wird, dann kommen Sie zu dem Erxperiment, das die Stadt Mannheim im vergangenen Jahre ſich geleiſtet hat. Dort iſt man ſo vorgegangen: man hat Einrichtungen geſchaffen, die ſo ausſahen, wie die von Ihnen ge⸗ plante; und man hat eben ſehen müſſen, daß man ſo nicht vorwärts kommt. Deswegen ſind gerade die ſtädtiſchen t. . . der Stadt Mannheim jetzt dazu übergegangen, chritte zu erwägen, ihre ſtädtiſchen Arbeitsloſenunterſtützungseinrichtungen in der Form auszubauen, wie ſie unſere Stadtverwal⸗ tung hier vorſchlägt. Meine Herren, meine Freunde haben manches an dieſer Vorlage auszuſetzen. Sie überſehen durch⸗ aus die Tendenz nicht, die in dem zweiten Teil der Arbeitsloſenvorlage liegt. Sie wiſſen, daß Sie dieſer Vorlage nur zuſtimmen, weil Sie darin die Tendenz ſehen, die Arbeiter von den Gewerkſchaften fernzu⸗ halten. Sie mögen ruhig dieſe Richtung verfolgen; ob Sie damit Erfolg haben werden, wird ja die Zu⸗ kunft lehren. Meine Freunde werden der Einrichtung zuſtimmen, um das Zuſtandekommen des Ganzen nicht zu gefährden. Wenn nun hier vom Herrn Kollegen Stadthagen geradezu beiſpielloſe Aeußerungen über die Leiſtungen der Gewerkſchaften reſpektive die Leiſtungen ihrer Mitglieder an Beiträgen verbreitet werden, ſo iſt das auch nur darauf zurückzuführen, daß Herr Kollege 229 Stadthagen eben nicht informiert iſt, was tatſächlich die Gewerkſchaften leiſten. Herr Kollege Stadthagen hat hier geſagt: die Beiträge zu den Gewerkſchaften ſchwanken zwiſchen 50 und 100 ℳ. Ich glaube, Herr Kollege Stadthagen wird, nachdem wir ihn hier auf die Unrichtigkeit ſeiner Aeußerung hingewieſen haben, verſuchen, ſich zu informieren, und dann das, was er hier behauptet hat, richtigſtellen. Meine Herren, das, was die Gewerkſchaften in bezug auf die Unterſtützung ihrer Arbeitsloſen geleiſtet haben, iſt in den Jahren ihres Beſtehens dauernd gewachſen. Seit dem Jahre 1903 bis zum Jahre 1909 haben ſie allein 34,5 Millionen für Arbeitsloſenunterſtützungen auf⸗ gewendet, und die Geſamtausgabe, durchſchnittlich, pro Kopf der Mitglieder berechnet, iſt ſeit dieſem Zeitpunkt ganz bedeutend geſtiegen. 1903 betrug ſie pro Kopf, im Durchſchnitt gerechnet, 1,60 ℳ, 1904 bereits 2,38 %ℳ, 1905 3,08 %ℳ., 1906 3,06 %ℳ, 1907 3,87 ℳ, 1908 5,18 ℳ und 1909 5,33 ℳ. (Zuruf: Die Einnahmen!) — Die Ausgaben pro Kopf an Arbeitsloſenunter⸗ ſtützungen allein. Dann, meine verehrten Herren, dürfen Sie doch nicht verkennen, daß ja die Gewerkſchaften noch in an⸗ derer Hinſicht ſoziale Aufgaben erfüllen. Die Mehr⸗ zahl der Gewerkſchaften haben Krankenunterſtützungen eingeführt, ſie unterſtützen ihre Mitglieder in beſon⸗ deren Notfällen, ſie haben Reiſeunterſtützungen einge⸗ führt, alles Ausgaben, mit denen ſie eigentlich, wie auch ſchon mein Herr Kollege Hirſch ſagte, die öffent⸗ lichen Kaſſen und die Kommunen entlaſten. Und, meine Herren, wenn Sie nun tatſächlich ſo vorgehen, wie es die Herren Kollegen Rothholz und Stadthagen vorgeſchlagen haben, daß Sie die Gewerk⸗ ſchaften ausſchalten, daß Sie das, was ſie in dieſer Weiſe tatſächlich geleiſtet haben, negieren oder ge⸗ wiſſermaßen beſtrafen wollen, dann wird das die Arbeiterſchaft nicht anders als eine Brüskierung empfinden. Auf der einen Seite wollen Sie die Arbeitsloſen der Gewerkſchaften nicht unterſtützen, ent⸗ ziehen Sie ihnen den Zuſchuß; auf der anderen Seite fördern Sie die Einrichtungen, die naturgemäß nur dazu dienen ſollen, abhängige Exiſtenzen großzuziehen. Meine Herren, es iſt ja auch von dem Herrn Magi⸗ ſtratsvertreter extra betont worden, daß der zweite Teil der Vorſchläge weſentlich dazu dienen ſolle, eine gewiſſe Parität herzuſtellen. Nun, wenn Sie den erſten Teil der Vorlagen ſtreichen und den zweiten annehmen, dann fällt eben die Parität weg, Sie för⸗ dern eben nur das, was gegen die Gewerkſchaften ge⸗ richtet iſt. Meine Herren, gerade das, was Herr Stadtrat Spiegel ausgeführt hat, iſt für mich bezeichnend, und ich glaube, jedem einzelnen von Ihnen würde es ſo gehen, wenn Sie ſich in der Stellung befinden, die Herr Stadtrat Spiegel einnimmt. Wenn Sie Ge⸗ legenheit hätten, mit Einrichtungen der Arbeiter. zu⸗ ſammenzukommen und mit ihnen tätig zu ſein, dann können Sie ſich ihrem Eindruck gar nicht entziehen und müſſen die Arbeitergewerkſchaften hochſchätzen. Meine Herren, ich habe hier ein Urteil von einer Seite, die Ihnen jedenfalls nicht als befangen er⸗ ſcheinen wird, ein Urteil über die Gewerkſchaften, das jedenfalls geeignet iſt, bei manchen von Ihnen die ſchiefe Anſicht über die Gewerkſchaften zu beſſern. Es heißt hier: Die Leiſtungen, welche die Gewerkſchaften den Arbeitern zu bieten beſtrebt ſind, ſind ſehr