236 Stadtv. Erdmannsdörffer: Meine Herren! Nachdem in der ſo überaus wichtigen Angelegenheit die beſten Fachkenner des Saales in gründlicher und gediegener Weiſe geſprochen haben, geſtatten Sie mir noch zwei Worte mehr allgemeiner Natur. Ich bedaure dabei eingangs mit verſchiedenen Herren Vorrednern, daß der Herr Kollege Hirſch in etwas agitatoriſcher Weiſe meinen politiſchen Freun⸗ den Argumente für ihre Stellungnahme untergelegr hat, die doch nicht recht aufrechtzuerhalten ſind. Die Argumente, die von unſerer Seite, d. h. von der Mehrheit meiner Freunde angeführt worden ſind, ſind unzweifelhaft ſolche, die ſich ſachlich durchaus hören laſſen können und die auch als ſachlich gewür⸗ digt ſein wollen. Wenn ich einen Vorwurf machen könnte, ſo wäre es der, daß ich ſagen möchte: ſie ſind vielleicht etwas zu ſehr von des Gedankens Bläſſe angekränkelt geweſen, zeigen etwas zu wenig die friſche Farbe der Entſchließung. Ich für meine Perſon erkläre, daß ich der Magiſtratsvorlage in dem hier viel beſprochenen Punkte z u ſt immen wer d e. Dafür ſind für mich folgende Erwägungen maßgebend: Ich trete mit aller Wärme und Eindringlich⸗ keit dafür ein, daß wir hier in Charlottenburg eine Arbeitsloſenverſicherung ſchaffen, und ich würde ſtolz darauf ſein — ich glaube, mit Ihnen allen —, wenn wir nach dieſer Richtung etwas Gutes und Handfeſtes ins Leben ſetzen könnten. Meine Herren, was würde der Hauptwert und die Hauptabſicht einer ſolchen Arbeitsloſenverſicherung ſein? — Im ſtädtiſchen In⸗ tereſſe — ich betone das ganz ausdrücklich — das Wohl der Arbeiterſchaft mit fördern zu helfen! Und an der Löſung dieſer Frage mitzuwirken, das halte ich allerdings für eine ſehr weſentliche und wünſchens⸗ werte Aufgabe der Stadtverordnetenverſammlung. (Zuſtimmung.) Wenn wir das aber wollen, wenn wir dieſe Förderung der Arbeiter im ſtädtiſchen Geſamtinter⸗ eſſe wünſchen, dann müſſen wir auch den Weg wählen, der am beſten zu dieſem Ziele führt. Etwaige Nebenwirkungen, die ſich bei Beſchreitung dieſes Weges zeigen ſollten, ſind meines Erachtens ſuhr nicht zu berückſichtigen und nicht ins Feld zu ühren. Nun iſt uns in der Kommiſſion und auch hier im Plenum durchaus überzeugend nachgewieſen worden, daß ohne Anteilnahme der Ge⸗ werkſchaften eine wirklich erſprießliche Arbeits⸗ loſenverſicherung, wenigſtens zunächſt, für abſehbare Zeit, in de. Stadt nicht zu ſchaffen i ſt. Wenn wir daher den von mir gekennzeichneten Weg gehen wollen, ſo müſſen wir, abgeſehen von allen politiſchen und ſonſtigen Erwägungen, die Maßnahmen er⸗ greifen, die dazu führen, die Gewerkſchaften mit hin⸗ einzuziehen. Ohne die Teilnahme der Gewerkſchaften iſt eine erſprießliche Arbeitsloſenverſicherung unmog⸗ lich, ſie gleicht dann einem ausgeblaſenen Ei, viel⸗ leicht mit noch ein ganz klein wenig Eiweiß darin. (Zuſtimmung und Heiterkeit.) Ob wir dabei die Sozialdemokratie unterſtützen oder nicht, das kann und muß für uns nebenſächlich ſein; die etwaigen Nebenwirkungen, die auch bei an⸗ deren Geſetzen, die wir im Intereſſe der Geſamtheit Sitzung vom 22. Mai 1912 machen, ebenfalls eintreten können und häufig einge⸗ treten ſind, dürfen für uns nicht ausſchlaggebend ſein. Auch die Frage, ob die Gewerkſchaften politiſch ſind oder nicht, dieſe Frage, die hier in großer Aus⸗ führlichkeit behandelt worden iſt, kann für unſere Ent⸗ ſchließung in dieſer Angelegenheit ausſcheiden. Für uns ſollte allein ausſchlaggebend und maßgebend die Frage ſein, ob die Gewertſchaften, indem ſie die Ar⸗ beitsloſenverſicherung bei ſich einführten, de m Ge⸗ meinwohl för derlich und dienlich ge⸗ weſen ſind, und dieſe Frage kann wohl nicht gut verneint werden, wie man ſich auch im übrigen zu den Gewerkſchaften ſelbſt ſtellen möchte. (Zuſtimmung. — Unruhe.) Ich mache kein Hehl daraus, daß mir von meinem politiſchen und allgemein ſozialpolitiſchen Stand⸗ punkt aus die Förderung beiſpielsweiſe der Hirſch⸗ Dunckerſchen Gewerkſchaften ſehr viel ſympathiſcher iſt als die Förderung der hier als ſozialdemokratiſch bezeichneten Gewerkſchaften. Aber die Frage ſcheidet hier aus; es kommt lediglich in Betracht, ob die Ge⸗ werkſchaften, indem ſie von ſich aus eine Arbeitsloſen⸗ verſicherung gemacht haben, auf dieſem Gebiete ge⸗ meinnützig gearbeitet haben, und dieſe Frage kann, wie geſagt, nicht verneint werden. Unzweifelhaft iſt wenigſtens bis zu einem gewiſſen Grade durch dieſe Tätigkeit der Gewerkſchaften auch eine Entlaſtung der Armenverwaltung, alſo eine Förderung ſtädtiſcher Intereſſen eingetreten. Die Parteipolitik wollen wir hier ausſchalten, wo es ſich darum handelt, einer großen und bedeutſamen Schicht der Bevölkerung bis 113 einem gewiſſen Grade Hilfe zuteil werden zu aſſen. Meine Herren, von ſeiten des Magiſtrats iſt uns geſagt worden, daß die Arbeit vieler Jahre uvergeblich ſein würde, wenn dieſer Punkt aus⸗ geſchaltet werden würde, und der Herr Bürgermeiſter hat hinzugefügt: die Vorlage würde im vorgenannten Falle ſcheitern. Dieſes Wort des Magiſtrats iſt für uns von außerordentlicher Wichtigkeit. Wir ſtehen vor der Tatſache, daß wir eventuell zu einer Arbeits⸗ loſenverſicherung nicht kommen, wenn dieſer Punkt abgelehnt wird. Ich möchte auch von mir aus den Magiſtrat recht herzlich bitten, ſelbſt in dem Falle, daß die Ablehnung erfolgte, ſich zur Annahme der Vorlage bereit zu erklären. Ich ſtehe mit dem Magi⸗ ſtrat auf dem Standpunkt: es iſt im weſentlichen Bärme, wenn dieſer Punkt herausgenommen wird. Aber Bärme iſt unter Umſtänden auch ein ganz nütz⸗ licher Gegenſtand, und ich würde für meine Perſon auch für die Vorlage in der abgeſchwächten Form eintreten, um damit dem Magiſtrat Gelegenheit zu geben, eventuell ſpäter dieſen kleinen Anfang zu einer beſſeren Einrichtung auszubauen. Ich möchte daher in zwölfter Stunde (Heiterkeit und Zurufe) — ja, die zwölfte Stunde iſt beinahe wörtlich zu nehmen — meine Freunde und die Verſammlung bitten, ſich doch noch den Erwägungen des Magiſtrats anzuſchließen und ſich ernſtlich zu fragen, ob es nicht am Platze wäre, der Vorlage des Magiſtrats in vollem Umfange zuzuſtimmen. Bürgermeiſter Matting: Meine Herren! Die ſehr dankenswerten Ausführungen des Stadtv.