Sitzung vom 22. Mai 1912 Dr. Stadthagen, der die Sachlichkeit des Standpunktes des Magiſtrats und ſeiner Vertreter anerkannte, er⸗ möglichen es mir, über die Ausführungen des Stadtv. Jaſtrow hinwegzukommen, der hier die nahen Be⸗ ziehungen zwiſchen dem Magiſtrat und der ſozial⸗ demokratiſchen Fraktion betonen zu müſſen glaubte. Wenn es ſich nur um meine Perſon handelte, glaube ich, würde ich ohne weiteres dieſes Wort als nicht be⸗ achtlich betrachten können. Aber ich vermute, Herr Stadtv. Jaſtrow hat die Abſicht gehabt, die Sache dadurch zu ſchädigen, und deshalb möchte ich doch noch einmal das Wort ergreifen, um dieſes Argu⸗ ment entſchieden zurückzuweiſen. Meine Herren, ich möchte zu dem Zweck zu⸗ nächſt einmal darauf hinweiſen, daß der Beſchluß vom 17. Juni 1908, der den Magiſtrat veranlaßt hat, in gemiſchter Deputation mit Ihnen zu arbeiten, von Ihnen ausgegangen iſt, und zwar natürlich nicht nur von der ſozialdemokratiſchen Fraktion, ſondern ich entſinne mich des Vorganges ganz genau — ich ſelbſt bin der Vertreter des Magiſtrats geweſen —: unter gewiſſem Widerſtande des Magiſtrats von der geſamten Stadtverordnetenverſammlung. (Sehr richtig!) So iſt die Sache ins Rollen gekommen. In der gemiſchten Deputation waren die ſozialdemokratiſchen Vertreter diejenigen, die zunächſt alles andere, was über das Genter Syſtem hinausging, abzulehnen ge⸗ neigt waren, und da haben beſonders die Magiſtrats⸗ vertreter betont: nur, wenn ihr alles mitmacht, dann ſind wir bereit, mit euch zuſammenzuarbeiten; und da iſt das entſtanden, was Herr Stadtrat Dr Spiegel geſagt hat: die Herren haben ſich unſerer Auf⸗ faſſung angeſchloſſen, haben mit uns zuſammenge⸗ arbeitet, und es bleibt nicht auch nur eine Spur einer Kombination in dem Sinne übrig, wie Herr Stadtv. Jaſtrow hat andeuten wollen. Stadtv. Zietſch: Die Ausführungen des Herrn Kollegen Stadthagen nötigen mich zu einigen Ent⸗ gegnungen. Es iſt richtig, Herr Kollege Stadthagen hat weniger gegen Herrn Kollegen Hirſch geſprochen, und mein Parteifreund Hirſch, der in einer dringen⸗ den Angelegenheit abgerufen worden iſt, hat ſich mit ſeinen Ausführungen auch nicht allein gegen die Aeußerungen des Herrn Kollegen Stadthagen ge⸗ wendet, ſondern gegen die Ausführungen des Herrn Kollegen Rothholz. (Stadtv. Dr Stadthagen: Auch gegen meinel) — Nein, er hat ſich weniger gegen Sie gewendet und hat nur gegen Sie geſprochen, als Sie den Zwiſchen⸗ ruf machten, der Ihrer Verwunderung Ausdruck gab, daß mein Parteifreund Hirſch die Gewerkſchaften als Kampfesorganiſationen bezeichnet hat. Gewiß ſind die Gewerkſchaften Kampfesorganiſationen, aber ſie ſind in erſter Linie wirtſchaftliche Kampfes⸗ organiſationsformen geweſen und ſind es heute noch. Darüber hat es ja noch nie einen Zweifel gegeben, daß die Gewerkſchaften als ihre erſte Aufgabe die Verbeſſerung der Lebenshaltung und führung ihrer Angehörigen betrachten. Die Gewerkſchaften ſind wirtſchaftliche Organiſationen, und wenn Herr Kol⸗ lege Stadthagen von ſich behauptet und betont, daß er ſich gar ſo eingehend mit der Gewerkſchaftsbewe⸗ gung beſchäftigt hat, ſo brauchte er es nicht als ein 237 beſonderes Zeichen der Schwäche in der Rede meines Parteifreundes Hirſch feſtzunageln, daß ſich derſelbe ſo weit „vergeſſen“ habe, die Gewerkſchaften als Kampfesorganiſationen zu kennzeichnen. Das, Herr Kollege Stadthagen, iſt in Tauſenden von unſeren Schriften zugegeben und gerade hervorgehoben worden, und wenn Sie auch nur einen Teil derſelben geleſen hätten, müßten Sie es wiſſen. Und wenn die Ge⸗ werkſchaften als Kampfesorganiſationen bezeichnet werden, ſo haben Sie immer noch nicht das Recht, namentlich dann nicht, wenn dieſe Kampfesorgani⸗ ſationen ſich auch in ſozial charitativer Weiſe betäti⸗ gen, ſie herunterzureißen und zu ſagen: Weil es eine Kampfesorganiſation iſt, die beſtrebt iſt, die Lebens⸗ lage ihrer Mitglieder zu beſſern, geben wir ihnen nichts zu ihren Arbeitsloſen⸗Unterſtützungen, obwohl wir dadurch auch die Stadt entlaſten, zu. Daß die gewerkſchaftlichen Kampfesorganiſationen auch nicht ſchädlich, ſondern ſelbſt für die Allgemeinheit vor⸗ teilhaft ſind, dafür liegen Urteile vor, die nicht aus den Kreiſen meiner Parteifreunde ſtammen. So hat unter anderen der frühere Direktor der Schultheiß⸗ brauerei Herr Funke ſich in dieſem Sinne über die Gewerkſchaften ausgeſprochen und geſagt: Es iſt ſehr erfreulich, daß die Gewerkſchaften Kampfesorgani⸗ ſationen ſind; denn dadurch iſt der Zug der Klein⸗ lichkeit aus den gewerkſchaftlichen Kämpfen heraus⸗ gekommen, und an ſeine Stelle iſt eine Großzügig⸗ keit getreten, die in den wirtſchaftlichen Kämpfen das Perſönliche durch die Intereſſen der Allgemein⸗ heit erſetzt hat. Sie machen einem Vertreter des Magiſtrats noch heute zum Vorwurf, daß er im Ausſchuß geſagt habe, man ſolle das Standesgefühl der Arbeiter nicht ver⸗ letzen. Sie halten aber doch von dem Standesgefühl der Angehörigen der anderen Stände ſehr viel. Ich erinnere Sie nur an eine andere Ausführung, die vom Magiſtratstiſch in öffentlicher Sitzung gefallen iſt. Es handelte ſich damals darum, die Gehälter der ſtädtiſchen Aerzte in den Krankenhäuſern zu erhöhen. Meine Freunde hatten verlangt, daß Privatleiſtungen der Aerzte nicht mehr ſtattfinden dürfen, wenn die Gehälter erhöht werden. Da trat einer der Magi⸗ ſtratsvertreter auf und ſagte: Das dürfen wir den Aerzten nicht bieten, weil wir es ſonſt mit den ärzt⸗ lichen Organiſationen zu tun bekommen. Das war der Reſpekt vor dem Standesgefühl der Aerzte und die Achtung vor den ärztlichen Organiſationen, die den Magiſtratsvertreter ſo reden ließ. Damals aber waren Sie, Herr Kollege Stadthagen, nicht aufge⸗ treten und haben ſich dagegen verwahrt, daß der Magiſtrat das Standesgefühl einer Berufsſchicht achtete. Aber daß das Standesgefühl der Arbeiter nicht verletzt werden ſoll — das geht Ihnen wider den Strich. Sie ſagen ferner: Es werden Konflikte ge⸗ ſchaffen zwiſchen den Gewerkſchaften und dem Magi⸗ ſtrat, wenn eine Kontrolle der Gewerkſchaften über die Arbeitsloſen ſtattfinden ſoll. Das ſind alles widerlegte Dinge, die ſich auch in Straßburg nicht ſo gezeigt haben, wie ſie befürchtet wurden, ſondern in den Straßburger Berichten wird ausdrücklich an⸗ erkannt, daß die Gewerkſchaften außerordentlich ob⸗ jektiv die Verwaltung der Arbeitsloſengeld⸗Zuſchuß⸗ Einrichtung mit geführt hätten — ein Urteil, das über die Gewerkſchaften auch nach anderer Seite hin ſchon geäußert worden iſt. Die ſämtlichen Gründe, die von den Gegnern des Grundgedankens dieſer Vorlage, der Subventionierung der Gewerk⸗