Sitzung vom 22. Mai 1912 haltlich ſpäterer endgültiger Verrechnung zu entnehmen. 3. Das Anerbieten der Deutſchen Opernhaus⸗ Betriebs⸗Aktiengeſellſchaft vom 15. Mai 1912 wird unter Vorbehalt des Abſchluſſes eines Nachtragsvertrages angenommen.) Vertreter des Vorſtehers Stadtv. Otto: Das Protokoll vollziehen heute die Stadtverordneten Dr Rothholz, Schwarz und Vogel. Wir kommen zu Punkt 6 unſerer Tagesordnung: Anfrage der Stadtverordneten Ahrens und Gen. betr. Anſprache in der Herderſchule. — Druckſache Nr. 151. Die Anfrage lautet: Iſt dem Magiſtrat bekannt, daß in der Herderſchule bei der Entlaſſung der Abitu⸗ rienten der Direktor Dr Dubislav an die jun⸗ gen Leute eine gegen die ſozialdemokratiſche Partei gerichtete Anſprache gehalten hat, und billigt der Magiſtrat dieſe Handlung? Frageſteller Stadtv. Gebert: Meine Herren! Wir haben die Anfrage deswegen geſtellt, weil fol⸗ gende Notiz durch die Preſſe ging. Der Profeſſor Dr Georg Dubislav ſoll am 14. März bei der Ent⸗ laſſung der Abiturienten folgendes ausgeführt haben: Meine lieben Schüler! Z3um erſten Mal werden aus dieſer An⸗ ſtalt am heutigen Tage Abitu⸗ Ttenten entlaſſen, die nun in das Leben treten und nicht mehr im Schutze der Schule ſtehe n. Das iſt ein ernſter und bedeutender Augenblick, und da möchte ich Ihnen noch einmal an das Herz legen, daß gerade in der Groß⸗ ſtadt tauſend große Gefahren der jungen Menſchen harren. Da ſind vor allen Dingen die Sozial⸗ demokraten, jene vaterlands⸗ loſen Geſellen, die die heilig⸗ ſten Güter unſerer Nation ver⸗ achten und die für die Taten und das Schaffen unſerer Väter nur Spott übrig haben. Scämen und verachten müßte ich mich, wenn ich mit einem Sozialdemo⸗ kraten an einem Tiſch ſiten wür d e. Die Luf t, die ſie at men, 1ſt verpeſcct. (Heiterkeit.) Meine Herren, als wir dieſen Satz laſen, ſagten wir uns: iſt das möglich, daß ein Profeſſor einen derartigen Satz ſprechen, derartige Ausſprüche tun könnte? Und wir ſahen uns veranlaßt, um ſolchen Berichten auf den Grund zu gehen, eine Anfrage an den Magiſtrat zu richten, ob er es duldet oder zugibt, daß ein bis dato ehrenwerter Lehrer und Direktor einer Anſtalt einen ſolchen Ausſpruch un⸗ beſprochen tun kann. Wir möchten von dem Magiſtrat wiſſen, in wieweit dies auf Wahrheit beruht, und in wiefern der Magiſtrat derartiges dulden will. Bürgermeiſter Matting: Meine Herren! Es war ſelbſtverſtändlich die erſte Aufgabe des Magi⸗ ſtrats, die Authentizität dieſer im „Vorwärts“ wieder⸗ gegebenen Rede feſtzuſtellen. Zu dieſem Zwecke habe ich mit Herrn Direktor Dr. Dubislav am 24. April 243 folgendes Geſpräch geführt, deſſen Regiſtratur von mir aufgenommen und von ihm ausdrücklich auf ſeine Richtigkeit beſtätigt worden iſt. Sie lautet: Herr Direktor Dr. Dubislav erklärt ſich zur Auskunft bereit und äußert ſich wie folgt: Die Anſprache iſt in freier Rede gehalten worden; die in dem Zeitungsausſchnitt durch⸗ ſtrichenen Worte ſind nicht, auch nicht ein⸗ mal dem Sinne nach geſprochen worden; (Hört! hört!) — die durchſtrichenen Worte, die ich in ſeiner Gegen⸗ wart durchgeſtrichen habe, ſind die folgenden: „jene vaterlandsloſen Geſellen“, „Schämen und verachten müßte ich mich“, „Die Luft, die ſie atmen, iſt ver⸗ peſtet“. — An Stelle der Worte „an einem Tiſche ſitzen“ ſind wahrſcheinlich die Worte gebraucht wor⸗ den: „Das Tiſchtuch iſt zerſchnitten“. Er be⸗ dauere, daß er die Worte „Das Tiſchtuch iſt zerſchnitten“ oder ähnliche gebraucht habe. Die Anſprache ſollte die Lebensprobleme noch ein⸗ mal kurz vor die Augen der abgehenden Schüler bringen. Zu dem ſachlichen Inhalt bekenne er ſich im übrigen durchaus und habe es ſtets für ſeine vornehmſte Pflicht erachtet, in dieſem Sinne auf ſeine Schüler zu wirken. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Seine ſämtlichen Abiturienten haben ihm unter Bezugnahme auf die Indiskretion im „Vorwärts“ eine Sympathieerklärung über⸗ ſandt und die Veröffentlichung gemißbilligt. Ich möchte nur noch einmal den Wortlaut ſo, wie er von Herrn Direktor Dubislav anerkannt worden iſt, hier verleſen, damit gar kein Mißverſtändnis beſteht: Meine lieben Schüler! Zum erſten Mal wer⸗ den aus dieſer Anſtalt am heutigen Tag Abi⸗ turienten entlaſſen, die nun in das Leben treten und nicht mehr im Schutze der Schule ſtehen. Das iſt ein ernſter und bedeutender Augenblick, und da möchte ich Ihnen noch ein⸗ mal an das Herz legen, daß gerade in der Großſtadt tauſend große Gefahren der jungen Menſchen harren. Da ſind vor allen Dingen die Sozialdemokraten, die die heiligſten Güter unſerer Nation verachten, und die für die Taten und das Schaffen unſerer Väter nur Spott übrig haben. Die Worte „Schämen und verachten müßte ich mich“ fallen weg: wenn ich mit einem Sozialdemokraten an einem Tiſch ſitzen würde. Dafür iſt das Wort: „Das Tiſchtuch iſt zerſchnitten“ oder etwas Aehnliches gefallen, deſſen Anwendung Herr Profeſſor Dubislav ſelbſt bedauert. Der Magiſtrat hat ſich dann am 27. April mit dem Gegenſtande beſchäftigt und hat folgenden Be⸗ ſchluß gefaßt: 44 Der Magiſtrat nimmt Kenntnis von der Er⸗ klärung des Herrn Direktors Dr. Dubislav. Der Magiſtrat nimmt von einer materiellen Prüfung des Vorganges Abſtand, da die An⸗ ſprache bei der Abiturientenentlaſſung ſich als eine Maßnahme des inneren Schulbetriebes er⸗ weiſt und ſie in der ermittelten Faſſung zum Einſchreiten keine Veranlaſſung bietet. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)