Sitzung vom 22. Mai 1912 ſchimpfung geſehen; ſonſt hätte ich das gerügt. Der Ausdruck „Profit“ iſt zuerſt von jener Seite gefallen; da er aber nicht gefallen iſt in bezug auf beſtimmte Perſonen, ſo iſt hier von einer Beleidigung nicht die Rede. Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Ich habe geſagt, daß für einen Teil der Herren, zu deren Sprecher ſich Herr Kollege Zander gemacht hat, die heiligſten Güter der Nation im Profitintereſſe liegen, und dieſe heiligſten Güter verfechten wir natürlich nicht, ſon⸗ dern bekämpfen ſie. Aber auf der anderen Seite ſteht ohne weiteres feſt: Die Sozialdemokraten haben auch, wo ſie ſich innerhalb des nationalen Lebens be⸗ tätigt haben und betätigen konnten, bewieſen, daß ſie es wohl verſtehen, auch die Intereſſen der Nation wahrzunehmen. Ich will nicht auf einzelne Aus⸗ laſſungen, die dazu auch von unparteiiſcher Seite vor⸗ liegen, eingehen. Aber der allgemeine Vorwurf, der auch wieder in den Auslaſſungen des betreffenden Schuldirektors gegen meine Partei liegt und der ſich in letzter Linie darauf ſtützt, daß die Sozialdemo⸗ kratie deswegen eine Gefahr für die jungen Leute in den großen Städten bedeutet, weil ſie eine Umſturz⸗ und ordnungswidrige Partei iſt — dieſe Auslaſſun⸗ gen des Herrn Schuldirektors ſind ſchon vor Jahren widerlegt worden von einem Manne, der geiſtig himmelhoch über dem Herrn Schuldirektor ſtand. Dieſer Mann ſagte: In der Tat gibt es im politiſchen Leben weder Ordnungs⸗ noch Umſturzparteien, oder, wie man es auch ausdrücken kann: jede Partei iſt eine Umſturzpartei. Was ſind die Ziele bei uns der Liberalen, des Zentrums, der Junker⸗ geſellſchaft, der Arbeiterpartei? Die Liberalen möchten das Reichsoberhaupt in den erſten Be⸗ amten des Staats umwandeln, nach dem Muſter Englands und Nordamerikas. Für unſere Nation mit ihrem tiefen, anſcheinend unzerſtörbaren dynaſtiſchen Gefühl iſt das der Umſturz. Ueber das Zentrum ſpricht er ſich ähnlich aus. Ueber die konſervativen Parteien auch. Die Sozialdemokraten — ſagt er dann — beabſichtigen oder behaupten zu beabſichtigen, daß die Volkswirtſchaft von der privaten Ka⸗ pitalbildung abſehen und daß jedem ohne Unterſchied ſeiner Leiſtung aus dem großen allgemeinen Topf das gleiche Quantum Suppe verabreicht werde. Das ſtürzt freilich auch alle beſtehenden Verhältniſſe um. In der Tat, hinſichtlich des Umſturzes haben ſämtliche Parteien ſich wenig vorzuwerfen, ſie verfolgen alle letzte Zwecke, deren Erreichung der Unter⸗ gang der beſtehenden Ordnungen ſein würde. Und das ſagte einſt Profeſſor Mommſen in der „Nation“. Gewiß werden Sie ſagen: der Direktor hat nicht von der Partei als Umſturzpartei geſprochen. Aber das liegt doch in ſeinen Worten. Sie können ja ohne Sozialdemokraten heute überhaupt nichts mehr machen und auch die Nation ohne Sozialdemokratie nicht mehr aufrechterhalten. Das ſollte auch der Herr Direktor ſeinen Schülern, wenn dieſelben ins Leben hinaus treten, ſagen. Er ſollte ihnen Achtung auch vor politiſch Andersdenkenden mit auf den Weg geben. Wir halten es aber mit den Herren von der liberalen Fraktion überhaupt nicht für angebracht, 245 daß in der Schule Politik getrieben wird, und des⸗ wegen freue ich mich um ſo mehr über die Worte des Herrn Kollegen Frentzel. Vorhin noch machten Sie uns oder dem Magiſtrat zum Vorwurf, daß wir mit dem Magiſtrat zuſammengingen. Sie ſehen, daß Sie keine Urſache haben, auf die Gunſt, die wir dem Magiſtrat ſpendeten, allzu eiferſüchtig zu ſein; denn bereits jetzt trennen ſich unſere Wege wieder von denen des Magiſtrats. (Heiterkeit.) Vertreter des Vorſtehers Stadtv. Otto: Wenn ich Herrn Kollegen Zietſch richtig verſtanden habe — es iſt leider nicht möglich, da wir nur einen Stenographen hier haben, das ſofort aus der ſteno⸗ graphiſchen Aufzeichnung ermitteln zu laſſen —, hat er geſagt, daß er hat ausführen wollen: für einen Teil der Herren, in deren Namen Herr Kollege Zander geſprochen habe, gehöre die Profitgier zu den heilig⸗ ſten Gütern. Dieſe Ausführungen halte ich für un⸗ gehörig Angehörigen dieſer Verſammlung gegenüber, und ich rufe deshalb Herrn Kollegen Zietſch zur Ordnung. Stadtv. Hirſch: Meine Herren! Herr Kollege Zander hat behauptet, die Sozialdemokraten hätten im Abgeordnetenhauſe die Zugehörigkeit zum preußi⸗ ſchen Staate als eine Deklaſſierung bezeichnet. Ich weiß nicht, woher Herr Zander ſeine Weisheit ſchöpft. Ich will mich ſelbſtverſtändlich dem Wunſche des Herrn Vorſtehers fügen und den Ausdruck „unwahr“ nicht gebrauchen; ſonſt würde ich ſagen: dieſe Be⸗ hauptung iſt unwahr. (Heiterkeit.) Ich ſage ſtatt deſſen: es iſt eine echt Zanderſche Be⸗ hauptung. Stadtv. Dr Stadthagen: Meine Herren! Nach⸗ dem der Herr Vorſteher Herrn Kollegen Zietſch einen Ordnungsruf erteilt hat, erübrigt es ſich, auf die Worte näher einzugehen, wegen deren ich mich zum Worte gemeldet habe. Ich möchte nur noch erklären, daß unſere Fraktion es ganz entſchieden ablehnen muß, daß unter ihr ſich Mitglieder befinden ſollen, die aus Profitintereſſe ihre politiſche Stellungnahme in der Weiſe nehmen, wie es Herr Kollege Zietſch geſchildert hat. Im übrigen möchte ich noch hinzuſetzen: wir ſtehen in der Fraktion vollkommen auf dem Stand⸗ punkt des Magiſtrats. Nach den Erklärungen, die der Herr Magiſtratsvertreter über die Aeußerungen, die wirklich gefallen ſind, abgegeben hat, können wir nur empfinden, daß der Direktor korrekt gehandelt hat, daß er aus ſeinem warmen, patriotiſchen Ge⸗ fühl heraus die jungen Männer, die ins Leben traten, auf die Pflichten hingewieſen hat, die ihnen das Staatsleben ſpäter auferlegen würde. Und bei der ganzen Agitation, die die Sozialdemokratie in der Jugendbewegung treibt, meine ich, iſt es die Pflicht der Leiter der Schulen, auch unter Umſtänden — und hier lag ein Grund für einige Worte vor — in dieſer Weiſe vorzugehen und die Betreffenden darauf hinzuweiſen, was ihrer wartet. Ich nehme allerdings dabei an, daß die Schuldirektoren, wie es nach den Aeußerungen des Herrn Magiſtrats⸗ vertreters in dieſem Falle geſchehen iſt, den nötigen Takt und die nötige Rückſichtnahme auf Anders⸗ denkende auch bewahren werden.