Sitzung vom 5. Juni 1912 Meine Herren, wir halten die oberirdiſche An⸗ ſtalt für praktiſcher, für handlicher, für leichter erreich⸗ bar und für beliebter. (Heiterkeit.) Wir behaupten, daß es bequemer iſt, bei ſolcher Ge⸗ legenheit ſchnell einmal in ein Häuschen zu ſchlüpfen, als 20 Stufen hinunter und herauf zu gehen. (Stadtv. Zietſch: Das hat manchmal ſeine Schwierig⸗ keiten! — Heiterkeit.) Das Hineinſchlüpfen oder das Stufenſteigen? (Zuruf: Das kommt darauf an!) Dann wird ſoviel von der Aeſthetit geſprochen. Meine Herren, ſind denn derartige Anſtalten be⸗ ſtimmt, äſthetiſch zu wirken? (Heiterkeit und Zurufe.) Sollte hier nicht viel mehr das Erreichbare er⸗ zielt als auf die Aeſthetik geachtet werden? Was nun die geplante oberirdiſche Anſtalt be⸗ trifft, ſo wird uns geſagt: es ſoll da ein Gebäude er⸗ richtet werden mit einem kugelförmigen Dach, mit einem großen Aufbau, in Kupfer gedeckt, damit es weithin leuchtet, (Heiterkeit) und dann noch mit einem Rundbau mit Säulen ver⸗ ſehen — mit einem Wort: ein monumentales und ſehr anſpruchsvolles Gebilde. Ich glaube, der Aus⸗ ſchuß wird ſich wohl mit dieſem Projekt etwas näher beſchäftigen, und er wird vielleicht zu der Erwägung kommen, daß es richtiger iſt, ein Häuschen hinzu⸗ ſtellen, das in ſeiner Einfachheit möglichſt verſchwin⸗ det. Dem Publikum und dem Straßenbilde iſt viel mehr damit gedient, daß öfter einmal ein kleines an⸗ ſpruchsloſes Häuschen auf der Straße erreichbar iſt, als daß derartige große monumentale Gebäude er⸗ richtet werden, die für dieſen Zweck wirklich nicht angebracht ſind. Ich habe noch daran zu erinnern, meine Herren, daß auch diesmal wieder die Tiefbaudeputation in dieſer Frage übergangen worden iſt. Das iſt ſchon bei der letzten Vorlage in dieſem Saale erwähnt wor⸗ den, und ich wiederhole es mit Bedauern, daß man die Tiefbaudeputation wieder nicht gefragt hat. Ich bitte Sie, meine Herren, auch namens der Mehrheit meiner Freunde, dem Antrage des Herrn Vorredners zuzuſtimmen. Stadtv. Lehmann: Meine Herren! Im Namen meiner Freunde darf ich die Erklärung abgeben, daß ſie durchaus nicht gegen die Vorlage betreffs Errich⸗ tung einer unterirdiſchen Bedürfnisanſtalt ſind, ſie ſtehen im Gegenteil dieſer Frage ſehr ſympathiſch gegenüber, halten ſie aber auch nicht für eine Lebens⸗ frage für Charlottenburg. Die Hauptſache iſt, daß überhaupt Bedürfnisanſtalten errichtet werden und womöglich in recht großem Maße. Meine Freunde faſſen aber auch hierbei das Geſamtbild, das entſteht, ins Auge, und vertreten die Anſicht, daß in der Ge⸗ gend des Reichskanzlerplatzes etwas mehr Rückſicht auf den Verkehr und die äußere Geſtaltung bei Er⸗ 253 richtung einer Bedürfnisanſtalt genommen werden ſollte. Es iſt dabei zu beachten, daß der Reichs⸗ kanzlerplatz ein ganz bevorzugter Platz von Char⸗ lottenburg iſt. Es ſteht feſt, daß eine Bedürfnis⸗ anſtalt dort auf dieſem Platz eine wirklich gemein⸗ nützige Anſtalt ſein wird; denn ſie wird nicht nur von Leuten frequentiert werden, die in Charlottenburg wohnen, ſondern auch von ſolchen, die aus anderen Vororten kommen und ſich über und durch Charlotten⸗ burg vermittelſt der Untergrundbahn und anderen Verkehrsmöglichkeiten nach dem Grunewald ergießen. Da muß man doch auf den Eindruck, den eine ſolche Anſtalt hinterlaſſen würde, Rückſicht nehmen. Wir würden uns als Charlottenburger Kommunalverwal⸗ tung gar nichs vergeben, wenn wir hier zeigen woll⸗ ten, daß wir auch in dieſer Beziehung von anderen Städten etwas gelernt haben, wenn wir einmal über ein paar Mark hinwegſehen und uns etwas leiſten, was einen praktiſchen Zweck erfüllt und zudem einen ſchönen Eindruck hinterläßt. Herr Kollege Jolenberg hat ja dieſelbe Rede heute gehalten wie am 6. Dezember. Es war mir klar, daß er gegen die Vorlage ſprechen würde. Er ſagte, daß die Anſtalt, wenn ſie oberirdiſch gebaut werden ſollte, gewiſſermaßen in ihrer Einfachheit ver⸗ ſchwinden müſſe. Ja, meine Herren, warum denn eine Bedürfnisanſtalt, die verſchwinden ſoll? (Heiterkeit.) Die Sache würde wahrſcheinlich ſo werden, daß man die Stelle, wo eine ſolche Anſtalt errichtet werden müßte, mit ſoviel gärtneriſchen Anlagen zu umgeben hätte, daß die Anſtalt ſelbſt nicht mehr zu finden wäre. Die Argumente des Herrn Jolenberg ſind nicht durchſchlagend. Gewiß, ich gebe zu, daß ein Hin⸗ abſteigen und Heraufſteigen ſeine Schwierigkeiten hat. Aber, meine Herren, ein Menſch, der ſich in der Situa⸗ tion befindet, ſolche Anſtalt zu beſuchen, iſt ſo wie ſo in bedrängter, ſchwieriger Lage, (Heiterkeit) da kommt es nicht darauf an, ob die Schwierigkeit noch ein bißchen erhöht wird. (Heiterkeit.) Meine Herren, wir ſtehen auf dem Standpunkt, daß man auf dieſem Platze gerade mit Rückſicht auf die von mir angeführten Gründe beſſer eine unterirdiſche Bedürfnisanſtalt errichten ſollte. Was mich aber am meiſten veranlaßt hat, hier zu reden, iſt der Umſtand, daß ich bei dieſer Gelegen⸗ heit daran erinnern will, daß bei der Beratung des Etats noch 12 000 ℳ für eine andere Bedürfnis⸗ anſtalt eingeſetzt worden ſind, nämlich für eine Be⸗ dürfnisanſtalt, die auf dem Platz D im Charlotten⸗ burger Gebiet im Moabiter Ortsteil an der Hutten⸗ ſtraße hinter den Fabriken errichtet werden ſoll. Wäh⸗ rend bei der Anlage einer Bedürfnisanſtalt auf dem Reichskanzlerplatz ein Publikum in Frage kommt, das ſich dort aus Zeitvertreib oder zum Vergnügen uſw. ergeht, würde am Plaß D eine Anſtalt für Leute errichtet werden müſſen, die ihrem Erwerbe nachgehen, die dort in den induſtriellen Werken be⸗ ſchäftigt ſind, für die Arbeiter uſw. Bei der Begrün⸗ dung der Etatspofition iſt auch darauf hingewieſen worden, daß dort wiederholt Märkte ſtattfinden. Aus