Sitzung vom 19. Juni 1912 Schulen Geltung hat, daß kein Klaſſenlehrer Nach⸗ hilfeunterricht an ſeine Schüler erteilen darf; das iſt ihm ohne beſondere Erlaubnis unterſagt. Welche Gründe die vorgeſetzte Behörde dabei leiten, liegt ziemlich klar auf der Hand: man fürchtet eine ge⸗ wiſſe Parteilichkeit der Klaſſenlehrer. Auf Grund einer ſolchen Parteilichkeit, will ich einmal ſagen, ſind doch auch wohl größtenteils die ſtatiſtiſchen Nach⸗ richten, die wir hier bekommen haben, aufgeſtellt wor⸗ den. Wir ſind deshalb der Meinung, daß wir mit kritiſchen Blicken dieſe ſtatiſtiſchen Nachrichten be⸗ trachten müſſen. Sie ſind unter einem ganz beſtimm⸗ ten Geſichtswinkel aufgeſtellt. Wenn ein Lehrer Nachhilfeunterricht an ſoundſoviele Schüler und Schülerinnen erteilt, und er wird nach einem oder zwei Jahren gefragt: was ſind denn die Erfolge dieſes Unterrichts?, dann iſt es ganz natürlich, daß er erklärt: es ſind gute, es ſind zufriedenſtellende Er⸗ folge. Wenn auch von einer Unehrlichkeit unter unſe⸗ rer Lehrerſchaft keine Rede ſein kann — es iſt menſch⸗ lich, wenn hier erklärt wird: die Erfolge, die erwartet wurden, ſind tatſächlich eingetreten. Aus dieſem Grunde ſind wir der Meinung, daß die Angaben einer Nachprüfung bedürfen. Anderſeits ſcheint uns, daß mit der Erteilung des Nachhilfeunterrichts etwas zu weit gegangen wird. Die Zahl der Schüler, die am Nachhilfeunter⸗ richt teilgenommen haben, iſt erſchreckend groß. Man darf die Selbſtverantwortlichkeit der Eltern doch nicht ſo weit herabdrücken, wie es hier geſchieht. Wir ſind der Meinung, daß ſehr viele Mütter und Väter und ältere Geſchwiſter in der Lage ſind, den Kindern, den kleineren Geſchwiſtern nachzuhelfen, daß ſie wohl befähigt ſind, mit ihnen zu leſen und zu rechnen. Dafür ſind unſere Eltern auch immer noch zu haben: ſie ſollten wenigſtens dafür zu haben ſein. In dieſem Punkt, ſcheint uns, wird etwas zu weit gegangen. Die Selbſtverantwortlichkeit der Eltern darf nicht zu ſehr reduziert werden. Die Sorge für die unter⸗ richtliche Erziehung der Kinder darf unſeren Familien nicht zu ſehr genommen werden. Außerdem ſind wir der Meinung, daß die Frage mit der ganzen Organiſation der Schule zuſammen⸗ hängt. Man kann nicht einſeitig über Nachhilfe⸗ unterricht ſprechen, ohne gleichzeitig auch die Geſamt⸗ organiſation der Schule in Betracht zu ziehen. Es würde zu weit führen, hier im Plenum dieſe Frage zu behandeln. Aus dieſem Grunde bitten wir eben⸗ falls, einen Ausſchuß einſetzen zu wollen. Ich habe gehört, daß in den letzten Tagen die Genehmigung der A⸗Klaſſen eingetroffen ſein ſoll. Jedenfalls wäre es ſehr intereſſant, zu erfahren, ob und unter welchen Modifikationen dieſe Genehmi⸗ gung nunmehr eingetroffen iſt; denn ganz beſonders unter dieſem Geſichtswinkel, meine ich, muß dieſe Schulfrage behandelt werden. Wir ſtehen vor einer Geſamt⸗ und einheitlichen Organiſation unſerer Schulen Großberlins, und wenn vor dem Inkraft⸗ treten dieſer Neuorganiſation noch eine beſondere Organiſation durch Einrichtung der A⸗Klaſſen für Charlottenburg genehmigt und geſchaffen werden ſollte, ſo würde ich das für verfehlt halten. (Sehr richtig!) Auch aus dieſem Grunde möchte ich bitten, dieſe Mitteilung einem Ausſchuß von 15 Mitgliedern über⸗ weiſen zu wollen. 2 Dem Zuſatz des Herrn Profeſſors Schwarz ſchließe ich mich auch namens meiner Freunde an, daß ſowohl der Direktor des Statiſtiſchen 267 Amtes als Herr Stadtrat Dr Gottſtein zwecks ge⸗ nauer Informationen des Ausſchuſſes hinzugezogen werden ſollen. Stadtſchulrat Dr. Neufert: Meine Herren! Ich geſtatte mir, auf die Ausführungen der Herren Vor⸗ redner einiges zu erwidern. Herr Stadtv. Schwarz hat verſchiedenes in der Vorlage bemängelt, z. B., daß an einer Stelle geſagt worden iſt: es ſtehen Zahlenangaben nicht zur Ver⸗ fügung über etwas, was einige Zeit nach der Er⸗ hebung der Statiſtik geſchehen iſt. Wir haben es nicht für notwendig erachtet, nach der Oſterverſetzung eine neue Erhebung zu veranſtalten, weil es ſich nicht um eine Sache von ſo großer Bedeutung handelte. Die Schulverwaltung hatte wohl Gelegenheit, zu be⸗ obachten, daß das, was hier geſagt iſt, eingetroffen iſt, und ſie verbürgt ſich dafür. Es iſt meines Er⸗ achtens nicht zweckmäßig, die Schulen mit ſtatiſtiſchen Erhebungen zu überſchwemmen. Es iſt mir wieder⸗ holt aus den Kreiſen der Schulmänner mitgeteilt worden, daß vor einem Jahre des Guten zu viel ge⸗ ſchehen iſt, und ich habe gern darauf Rückſicht ge⸗ nommen; ich wollte den Lehrern und Rektoren nicht allzu viel Schreibwerk verurſachen. Indeſſen, meine Herren, wenn Sie großes Gewicht auf die Ver⸗ ſetzungsergebniſſe legen, werden wir es ſelbſtverſtänd⸗ lich nachholen. Herr Stadtv. Schwarz hat ferner geſagt: 4% ſei ein böſer Druckfehler. Nein, meine Herren, das iſt kein Druckfehler, ſondern es iſt eine vollkommen richtige Zahl. Die „beteiligten Schüler“ ſind die⸗ jenigen, die beim Nachhilfeunterricht in Frage kommen; dieſe zählen nach Tauſenden, und nur einige Hundert kommen hier in Betracht. Ich bitte den Herrn Stadtverordneten, das nachzuprüfen; er muß das Wort 4% jedenfalls nicht auf die 15 000 am Nachhilfeunterricht Beteiligten bezogen haben, ſondern auf eine viel geringere Zahl. Es iſt ferner bemängelt worden, daß die Urteile der Schulärzte nicht erwähnt ſeien, wohl aber die der Lehrer. Nun, meine Herren, wir haben keine ſtatiſti⸗ ſchen Nachrichten von den Aerzten eingefordert. Einige Aerzte haben ſich darüber in ihren Berichten geäußert, eine größere Anzahl aber nicht. Die Be⸗ richte der Aerzte ſind bei den Mitgliedern der Schul⸗ deputation herumgegangen, ſie ſind dort bekannt ge⸗ worden. Wenn irgend etwas gewünſcht wird, ſo kann es ja noch mitgeteilt werden. Im allgemeinen aber, glaube ich, iſt für die Beurteilung des Nachhilfeunter⸗ richts der Lehrer mindeſtens ebenſo qualifiziert wie der Arzt. Der Arzt wird die Wirkung auf den Körper beobachten können, der Lehrer wird aber nicht bloß dies, ſondern auch die Wirkung auf den Geiſt, auf den Bildungsgang feſtſtellen können. Herr Stadtv. Rieſenberg hat von einer Miniſterialverfügung geſprochen, welche den Ober⸗ lehrern verbietet, ihren Schülern Privatſtunden zu geben. Dieſe Verfügung iſt zunächſt nicht ſo uneinge⸗ ſchränkt, wie es nach den Worten des Herrn Vor⸗ redners erſcheinen könnte; ſondern es iſt ſehr wohl ge⸗ ſtattet, daß unter beſtimmten Umſtänden der Lehrer einem ſeiner Schüler Nachhilfeunterricht gibt. Nur in einem Punkt beſteht ein vollſtändiges Verbot: der Oberlehrer darf nicht ſolche Schüler unterrichten, die er im Examen zu prüfen hat. Es gibt tatſächlich auch an den höheren Schulen Fälle, in denen niemand ge⸗ eigneter iſt, den Unterricht zu erteilen, als der be⸗ treffende Fachlehrer. Nur darf das nicht — und da