Sitzung vom 4. Punkt 3 der Tagesordnung: Vorlage betr. Anmietung von Grundflächen am nörd⸗ lichen Ende der Reichsſtraße. Druckſache 227. (Die Verſammlung beſchließt nach dem Antrage des Magiſtrats, wie folgt: a) Der Magiſtrat wird ermächtigt, einen Miet⸗ vertrag über die eiſenbahnfiskaliſchen Flächen am nördlichen Ende der Reichsſtraße nach Maßgabe des abgedruckten Entwurfs abzu⸗ ſchließen. b) Der für die Zeit vom 1. November 1911 bis 1. November 1912 zu zahlende Mietzins in Höhe von 250 ℳ wird aus dem Dispoſitions⸗ fonds bewilligt. Für die ſpätere Zeit ſind die fällig werdenden Jahresmieten alljährlich im 4 zur Verausgabung vorzu⸗ ehen. Punkt 4 der Tagesordnung: Vorlage betr. Stiftung eines Preiſes für den Reichs⸗ verband für deutſches Halbblut. — Druckſache 228. Stadtv. Stulz: Meine Herren! es gibt zwar viele Dinge, die wichtiger für das Volkswohl wären als die Veredelung der Pferdezucht. Trotzdem kann man nicht ſagen, daß dieſe Vorlage einen ſchlechten Zweck verfolgt. Meine Freunde hätten alſo an und für ſich gegen dieſe Vorlage nichts einzuwenden. Wenn wir ſie aber bewilligten, würde das Geld in die Taſchen doch hauptſächlich der Großgrundbeſitzer fließen — denn das ſind die landwirtſchaftlichen Kreiſe, die für die Pferdezucht faſt ausſchließlich in Frage kommen —, alſo in die Taſchen jener Kreiſe, die durch den Brotwucher und durch die künſtliche Fleiſchverteuerung der ſtädtiſchen Bevölkerung einen unerhörten Tribut auferlegen, die ſich an der Not der Maſſen bereichern und ſich mit Hand und Fuß dagegen ſträuben, daß auch nur für einige Monate die Grenzen geöffnet werden ſollen, damit die Not des Volkes einigermaßen gemildert wird. Überhaupt meine Herren, muß man ſich doch wundern, daß dieſe Leute ſich an die Städte um Bewilligung von Geldern wenden, dieſelben Leute, die tagtäglich die Städte in ihrer Preſſe beſchimpfen, die in der Deut⸗ ſchen Tageszeitung und ähnlichen Rieſelfeldern jun⸗ kerlichen Geiſtes (Heiterkeit) ſie die Brutſtätten des Aſphaltbürgertums und anderer Degenerationskrankheiten des deutſchen Volkes nen⸗ nen. Meine Herren, für dieſe Leute können meine Freunde keinen Groſchen bewilligen. Stadtv. Dr Flatau: Meine Herren, auch ich vermag nicht der Magiſtratsvorlage zuzuſtimmen, wenn ich mir auch die Gründe, die der Herr Vor⸗ redner vorgetragen hat, nicht zu eigen mache, (Stadtv. Dr Liepmann: Sehr richtig!) und ich weiß mich bei meiner ablehnenden Haltung mit der überwiegenden Mehrheit meiner Freunde einer Meinung. Nach der Magiſtratsvorlage ſoll die Stadt in Verfolg eines Antrages des Grafen Henckel von September 1912 323 Donnersmarck — dem Verband für deutſches Halb⸗ blut zu den Herbſtkonkurrenzen auf der Grunewald⸗ rennbahn einen Preis von 500 ℳ ſtiften. Die Summe iſt ja nicht groß. Aber es handelt ſich wieder um eine Ausgabe, bei der ich perſönlich nicht imſtande bin, den Zuſammenhang mit den eigentlichen Auf⸗ gaben der Stadtverwaltung zu erkennen, ebenſowenig aber eine durch repräſentative Pflichten gebotene Notwendigkeit für dieſe Maßnahme. Unſere Stadt hat nicht einmal einen eigenen Fuhrpark, unſer Magiſtrat fährt im Automobil, und was unſeren be⸗ rühmten Charlottenburger Pferdemarkt anlangt, ſo ſucht man auf ihm weder Vollblut, noch Halbblut. Auf ihm herrſcht, ſoweit ich unterrichtet bin, vielmehr jene Klaſſe von Tieren vor, auf die wahrſcheinlich das alte märkiſche, wenig freundliche Sprichwort vom „Charlottenburger Pferd, Berliner Kind und Span⸗ dauer Wind“ zurückgeht. (Heiterkeit.) Ich meine, daß danach unſere Stadt eigentlich mit dieſer ganzen Sache ſo wenig irgend etwas zu ſchaffen hat, wie mit der ſehr ſtark beſtrittenen Frage, ob der deutſchen Landwirtſchaft, ob der deutſchen Pferde⸗ zucht überhaupt mit einer geſteigerten Vermehrung der Aufzucht von Halbblütern gedient iſt. Das iſt tatſächlich eine ungemein ſtrittige Frage. Mit Rück⸗ ſicht auf alles das iſt es eigentlich kaum zu ver⸗ ſtehen, wie gerade der Charlottenburger Steuerzahler dazu kommen ſoll, in dieſe Beſtrebungen als Pro⸗ tektor einzugreifen. Was die Grunewaldrennbahn anlangt, ſo ſind wir ja ſeit Annahme der Stadionvorlage in gewiſſem Sinne an ihrem Gedeihen intereſſiert, wie wir uns ja auch ſeit Annahme dieſer Vorlage vertraglicher und geſchäftlicher Beziehungen zu dem Unionklub rühmen dürfen, der für alle Angelegenheiten des Pferdeſports die vornehmſte und oberſte Inſtanz bildet. Das darf uns aber nicht abhalten, eine ſtrenge Grenz⸗ linie zu ziehen und namentlich der auch in Sport⸗ kreiſen ſtark verbreiteten Anſicht entgegenzutreten, als ob gerade unſer Charlottenburg für Beſtrebungen finanziell zu haben ſei, die auf dieſem Gebiete eine gewiſſe Verdienſtlichkeit für ſich beanſpruchen dürfen. Wir ſind ja nicht einmal in der Lage, die tatſäch⸗ lichen Unterlagen für die Beſtrebungen des Verbandes zu prüfen — Beſtrebungen, die mir, ſoweit das Material vorliegt, einen ſtark ſchutzzöllneriſchen und protektioniſtiſchen Charakter zu tragen ſcheinen, (ſehr richtig!) und die unter der Marke gehen: „Deutſchland dem deutſchen Pferd!“ Meine Herren, es läßt ſich gar nicht wegleugnen und iſt eine allgemein bekannte Tatſache, daß unſere deutſche Induſtrie und unſer deutſcher Handel darauf angewieſen ſind, aus dem Auslande ein gewiſſes billigeres Pferdematerial her⸗ beizuſchaffen, und ich glaube auch gar nicht, daß die deutſche Landwirtſchaft imſtande wäre, den ganzen Bedarf des deutſchen Volkes zu decken. Sie iſt dazu ebenſowenig fähig, als ſie imſtande iſt, ſeinen Bedarf an Schlachtvieh zu decken. Meine Herren, eine weitere Behauptung in der Magiſtratsvorlage bedürfte ganz beſonderer Be⸗ gründung. Das iſt die Behauptung, der Verband habe nicht die Kraft, aus eigenen Mitteln ſeine Aus⸗ gaben zu decken. Das muß einem — auf den erſten Blick wenigſtens. — etwas wunderbar er⸗