332 Sitzung vom 4. ja daß wir gar nicht abſehen können, ob die Er⸗ höhung und Verſchärfung der Preiſe nicht noch wei⸗ tere Fortſchritte machen und für unſer deutſches Volk noch weiterhin unerträglich werden wird. Ich will nur kurz rekapitulieren, welches meiner Anſicht nach die weſentlichſten Momente ſind, die dieſe Verhältniſſe — dieſen Umſchwung der Verhält⸗ niſſe könnte ich eigentlich ſagen — herbeigeführt haben. Es iſt zunächſt der Uebergang der Viehzucht aus den Händen der Großgrundbeſitzer an die klei⸗ neren und mittleren Beſitzer, die nicht ſo kapital⸗ kräftig und daher nicht in der Lage ſind, Zeiten teuren Futters, Zeiten der Futternot zu überſtehen und infolgedeſſen genötigt ſind, auch nicht ſchlacht⸗ reifes Vieh zu früh zum Verkauf zu ſtellen. Es iſt weiter der Umſtand, daß die Weideflächen durch die intenſive Wirtſchaft, die durch die verbeſſerten Wirt⸗ ſchaftsmethoden ermöglicht iſt, an Umfang zurückge⸗ gangen ſind, und ſchließlich der Umſtand, daß über⸗ haupt die Ackerbaufläche in Deutſchland im Zurück⸗ gehen begriffen iſt, weil die Induſtrialiſierung der Städte und ihrer Umgebung, teilweiſe aber auch der Dörfer in den Induſtriebezirken immer weitere Fortſchritte macht und jetzt Land, das früher für Ackerbau⸗ und Weidezwecke benutzt wurde, für ge⸗ werbliche Zwecke verwendet wird. Demgegenüber ſteht auf der andern Seite ein⸗ mal die Ihnen bekannte beſtändige Zunahme der Be⸗ völkerung. Dann iſt aus demſelben Grunde, den ich vorhin anführte, die Zunahme der Induſtrialiſie⸗ rung zu beachten, d. h. die Zunahme von Induſtrie⸗ arbeitern in Deutſchland im Verhältnis zu den Landarbeitern, die bekanntlich einen weit geringeren Konſum an Fleiſch haben als jene erſt genannte Ka⸗ tegorie. Ich habe das alles damals des weiteren aus⸗ geführt und will es heute nicht wiederholen. Ich kann nur ſagen, daß ich nach wie vor der Anſicht bin, daß dieſe Umſtände in voller Wirkung beſtehen und vorhanden ſind. 5 Nun wird demgegenüber vielleicht eingewendet werden, daß ſich ja ſeit dem Jahre 1910 ſchon eine gewiſſe vorübergehende Beſſerung eingeſtellt hat und andererſeits die augenblicklichen Zuſtände auf den abnorm heißen Sommer des vorigen Jahres zurück⸗ zuführen ſind. Nun, meine Herren, jeder, der wirt⸗ ſchaftliche Bewegungen über eine längere Periode verfolgt, weiß, daß ſie ſich ſehr ſelten in einer gleich⸗ mäßig auf⸗ oder abſteigenden Linie bewegen, ſon⸗ dern daß hier, wenn wir uns das kurvenmäßig vor⸗ ſtellen, Berge und Täler innerhalb der Kurve auf einander folgen. Wenn ſie ſich aber die Kurve der Fleiſchpreiſe in Deutſchland anſehen, ſo werden Sie immer finden, daß die Durchſchnittslinie eine an⸗ ſteigende iſt und nach meiner Anſicht ſein und bleiben wird. Und wenn darauf hingewieſen wird, daß der vorige Sommer abnorm war, ſo iſt das richtig; aber es iſt ein durchaus unerträglicher Zuſtand, wenn eine Nation von 68 Millionen tagtäglich mit Angſt zum Himmel blicken muß, um zu ſehen, ob die Sonne nicht wärmer ſcheint als normal, oder ob der Regen reichlicher fällt, als es dem Durchſchnitt ent⸗ ſpricht. Das iſt ein Zuſtand, den eine Nation nicht ertragen kann, nicht ertragen darf und auch nicht er⸗ tragen ſoll. Deshalb iſt es auch nötig, daß wir uns nach Mitteln zur Abhilfe gegen dieſe Not umſehen und, ſoweit es an uns liegt, auch dafür ſorgen. Nun werden Sie mich fragen, ob es denn Mittel zur Lindcrung dieſer Not gibt. Es gibt eine große Reihe von Leuten, die aber nach meiner Meinung September 1912 nicht vorurteilslos ſind, die die Not zwar aner⸗ kennen, aber behaupten, eine Milderung wäre nicht möglich: es wäre das ein Ding, mit dem man ſich eben abfinden müſſc. Ich beſtreite die Richtigkeit der Behauptung, und Sie finden in dem nunmehr von meinen Freunden und von den Herren von der ſoztaldemotratiſchen Fraktion gemeinſam unterzeich⸗ neten Antrag die wichtigſten Maßregeln aufgeführt, die nach unterer Anſicht geeignet ſind, eine Beſſe⸗ rung der Zuſtände herbeizuführen. Das iſt zunächſt die Aufhebung der Zölle auf Fleiſch und Futtermittel. Beſonders auf die letzteren lege ich Gewicht, weil ſich herausgeſtellt hat, daß die hohen Preiſe der Futtermittel es dem kleinen Land⸗ wirt unmöglich machen — da er die Futtermittel be⸗ ziehen muß und nicht ſelbſt erzeugen kann —, in Zeiten der Futternot ſeinen Viehſtand durchzubringen. Ferner kommt in Betracht die Aufhebung aller die Einfuhr beſchränkenden Beſtimmungen. Auch in der Beziehung möchte ich mich im weſentlichen auf meine früheren Ausführungen beſchränken. Es be⸗ ſtehen eine Unzahl Beſtimmungen, teilweiſe Geſetze, teilweiſe Miniſterialverordnungen, teilweiſe Poli⸗ zeiverordnungen, die ſchließlich alle darauf hinaus⸗ gehen, um das deutſche Vaterland eine Mauer zu ziehen, die nur ganz wenige Tore aufläßt, durch die nur einiges Vieh — zurzeit in recht beſchränkter An⸗ zahl — hereinkommt. Dieſe Beſtimmungen ſind, wie ich damals auszuführen mir erlaubte, auch vielfach einander widerſprechend, weil ſie zum Teil aus ver⸗ ſchiedenen Perioden ſtammen, ja ſie heben ſich ſogar zum Teil gegenſeitig auf, und jedenfalls iſt irgend eine richtige und vernünftige Logik auch vom Stand⸗ punkte der hygieniſchen und ſanitären Schutzmaß⸗ regeln aus nicht zu erkennen. Meine Herren, dieſe Beſtimmungen ſchließen ſogar den Bezug deutſchen Viehes aus unſerem weiteren Vaterland, nämlich des Viehes aus unſeren Kolonien, aus, und zwar, ſoweit ich unterrichtet bin, gegen den Willen eines Teiles unſerer deutſchen Reichsregierung. Sie ſehen alſo: Vernunft wird Unſinn! Das, was für ganz andere Verhältniſſe gedacht war, wird hier auf Fälle übertragen, auf die es nicht paßt, und der Not⸗ leidende iſt ſchließlich in dieſem Falle das deutſche Volk, das die hohen Fleiſchpreiſe bezahlen muß, in dieſem Falle auch unſere deutſchen Landsleute in Afrika, die ihr Vieh ſehr gern herüberſchicken würden und es hier zu lohnenden Preiſen verkaufen könnten, die ſie mit Leichtigkeit erzielen würden. Endlich käme die Umänderung des § 12 des Fleiſchbeſchaugeſetzes in Frage, weil wir darin die wirkſamſte Möglichkeit ſehen, gefrorenes und ge⸗ kühltes argentiniſches und auſtraliſches Fleiſch bei uns einzuführen, eine Maßnahme, die bekanntlich in England in ſolchem Maßſtabe durchgeführt iſt, daß man ſagen kann: faſt der größte Teil der mittleren und unteren Schichten lebt ausſchließlich von dieſem gefrorenen und gekühlten Fleiſch, und falls England mit ebenſo klugen und ſinnvollen Beſtimmungen be⸗ glückt wäre, wie wir es mit dem § 12 und anderen Beſtimmungen ſind, würde in England ſofort eine derartige Fleiſchhungersnot ausbrechen, daß ſolche Be⸗ ſtimmungen nur für einen Tag dort eriſtieren könnten und dürften. Meine Herren, wir haben endlich hier auch noch die Frage der Getreidezölle mit in unſeren An⸗ trag aufgenommen. Es iſt eine alte liberale Forde⸗ rung, die wir hier in dieſem Saale wie auch ſonſt bei anderen Gelegenheiten vertreten haben, die zwar nur indirekt mit den Fleiſchpreiſen zu tun hat, aber doch