Sitzung vom 4. September 1912 „wegen ſofortiger Erleichterung der Ein⸗ fuhr für Vieh, das von der Grenze direkt den Schlachthöfen zugeführt wird, und wegen Er⸗ leichterung zeitweiſer Einführung ge⸗ ſchlachteten Fleiſches unter Beachtung der veterinär nötigen Maßregeln.“ Es wird damit auch das, was Sie wollen, erreicht, ohne einen vollkommenen Bruch mit der Zollpolitik herbeizuführen. Meine Herren, wenn man etwas erreichen will, dann muß man doch müglichſt nur das vorſchlagen, was auch erreichbar iſt, und nicht etwas, was ſofort den Widerſpruch der maßgebenden Kreiſe erregt. Man ſagt zwar manchmal, man ſolle mehr fordern, als man haben will; aber man darf doch darin nicht ſo weit gehen, daß man ſich in einen voll⸗ kommenen Widerſpruch zu den nun einmal vor⸗ handenen Anſchauungen im Reichstage und in der Regierung ſetzt. Ich möchte deshalb, um eine ein⸗ heitliche Abſtimmung zu erzielen, empfehlen, doch zu erwägen, ob Sie ſich dieſem Antrage nicht anſchließen können; wir würden vielleicht auch, wenn wir zu einem einheitlichen Votum kommen, einen gewiſſen Erfolg erzielen, und unſer Beſchluß würde für die Beratungen auf dem Preußiſchen oder Branden⸗ burgiſchen Städtetage eine viel größere Bedeutung gewinnen. Ich mache auch darauf aufmerkſam, daß es von Wichtigkeit wäre, daß nicht nur Städte und Stadtverwaltungen, die eine freiſinnige Mehrheit haben, ſondern auch Stadtverwaltungen, in denen das Zentrum oder die Nationalliberalen die Mehr⸗ heit haben, ſolche gleichen Anträge annehmen; denn dann können wir ſicher ſein, daß die Regierung dieſen Wünſchen eher beitritt. Ich möchte Ihnen empfehlen, meine Herren, unſern Antrag anzunehmen, um Ein⸗ heitlichkeit und wirklichen Erfolg zu erzielen. Bürgermeiſter Matting: Obgleich ich nicht im Namen des Magiſtrats ſprechen kann, glaube ich, wohl eine Erklärung abgeben zu können, von der ich an⸗ nehmen darf, daß der Magiſtrat ſie billigen wird. Zunächſt bin ich überzeugt, daß es keine Stimme im Magiſtrat geben wird, die das Vorhandenſein einer Teuerung, ja einer ſehr empfindlichen Teuerung auf dem Fleiſchmarkte in Abrede ſtellt. Ich glaube weiter, vor allen Dingen an der Hand einer ſehr dankenswerten Ausführung des Herrn Dr v. Tyszka in den Jahrbücheri für Nationalökonomie und Statiſtik „über die Bewegung der Preiſe einiger wichtiger Lebensmittel, inſonderheit der Fleiſchpreiſe in Deutſchland und im Auslande, unter beſonderer Berückſichtigung Englands“ die Meinung ausſprechen zu dürfen, daß unſere Wirtſchaftspolitik mit der ſtändigen, ſehr ſtarken Zunahme der Preiſe vor allen Dingen des Fleiſches und anderer wichtiger Lebens⸗ mittel in urſächlichem Zuſammenhang ſteht. Wenn man die Preisſtatiſtiken, namentlich die Londoner Statiſtiken betrachtet — England verfolgt mit ſeinem insbeſondere auf dem Gebiete der Lebensmittel⸗ verſorgung vollkommenen Freihandel eine der unſeren diametral entgegengeſetzten Wirtſchaftspolitik — und dabei unſeren Statiſtiken vollſtändig entgegengeſetzte Ergebniſſe findet, ſo liegt natürlich der Schluß ſehr nahe, daß dieſe ganz anders geartete Wirtſchafts⸗ politik Englands dazu beiträgt, die ganz anders ge⸗ arteten Erſcheinungen der Preisbewegung zu Tage zu fördern. Es mag nichtsdeſtoweniger noch eine ganze Reihe anderer Momente geben, die im gleichen Sinne wirken, aber hier nicht genügend gewürdigt werden können und möglicherweiſe die obigen Schluß⸗ 335 folgerungen beeinfluſſen; dennoch werden wir bis zur Entkräftung des gemachten Schluſſes von ſeiner ſachlichen Berechtigung überzeugt bleiben dürfen. Es ſteht feſt, daß wir vom Jahre 1895 an, dem Ausgangsjahre der erwähnten Arbeit, — ich glaube, ohne jede Ausnahme — eine außerordentlich ſtarke Zunahme der Preiſe zu verzeichnen haben, die im direkten Gegenſatz zu der engliſchen Entwicklung ſteht. Wenn wir nun aber auch unſerer ganz anders gearteten Wirtſchaftspolitik dieſe Erſcheinungen zu⸗ ſchreiben dürfen oder wollen, ſo entſteht die Frage: können wir eine Wirtſchaftspolitik, wie ſie England hat, einführen? insbeſondere ſind wir hier in dieſem Falle in der Lage, die ſämtlichen Konſequenzen einer derartigen Maßregel zu überblicken, um mit Fug und Recht eine derartige Maßregel fordern zu können? Meine Herren, man kann hier zwei Wege gehen. Der eine iſt der, den der kombinierte Antrag Frentzel⸗ Ahrens geht, der andere der, den uns der Antrag, den der Herr Stadtverordnete Dr. Stadthagen empfohlen hat, vorſchlägt. Es fragt ſich, welche Maßregel taktiſch die richtige iſt. Man kann ſich entweder auf den Standpunkt ſtellen: wir handeln hier als Vertreter der Konſumenten und vor allen Dingen einer großſtädtiſchen Bevölkerung, wir können nur mit den Erſcheinungen, die ſich bei uns hier fühlbar machen, argumentieren, genau ſo, wie die Agrarier lediglich von ihrem Standpunkt die Frage behandeln, es bleibe dann einer weiteren Prüfung in der Zentralinſtanz, Reichskanzler, Bundesrat und Reichstag, vorbehalten, aus dieſen beiden extremen An⸗ ſichten nachher vielleicht die richtige Mittellinie heraus⸗ zuarbeiten, und die beiden entgegengeſetzten Anſichten zu vereinigen. Oder man ſtellt ſich von vornherein auf den Standpunkt, ſich mit dem zu begnügen, was bei billigem, verſtändigem Ermeſſen für unbedingt notwendig gehalten und anerkannt werden muß. Ich will mich für den Magiſtrat hier nicht auf eine der beiden Richtlinien feſtlegen. Aber das möchte ich für meine Perſon doch ſagen, daß man vielleicht mehr erreicht, wenn man, wie Herr Stadtverordneter Dr. Stadthagen ausgeführt hat, das zunächſt Notwendige fordert und nicht eine derartige vollſtändig oppoſitionelle, den bisherigen Zuſtand über den Haufen werfende, teilweiſe nur aus partei⸗ politiſchen Forderungen hergeleitete Politik in die Wege zu leiten verſucht. (Sehr richtig!) Ob vor allen Dingen die ſämtlichen Forderungen, die unter Nr. 1 Ihres Antrages aufgeſtellt ſind, — wobei ich insbeſondere die Forderung der Er⸗ mäßigung und des allmählichen Abbaues der Ge⸗ treidezölle im Auge habe — die Zuſtimmung des Magiſtrats finden werden, das muß ich vorbehalten; es iſt mir durchaus fraglich, ob ſich der Magiſtrat zu einer weitgehenden Petition bereit finden wird, während ich andererſeits aus dem Material, das die erwähnte Broſchüre ſehr ausführlich behandelt, in Gegenſatz zu Herrn Stadtverordneten Dr. Stadt⸗ hagen der Meinung ſein möchte, daß der § 12 des Fleiſchbeſchaugeſetzes tatſächlich außerordentlich er⸗ ſchwerende und zum mindeſten in England nicht als notwendig erachtete Beſtimmungen für die Einfuhr gefrorenen Fleiſches enthält. Wenn England er⸗ wieſenermaßen derartige Beſtimmungen nicht nötig hat, um die Geſundheit ſeiner Bevölkerung zu ſchützen, ſo ſollte es wohl auch Deutſchland möglich ſein, auf dieſe Beſtimmungen zu verzichten, wobei