354 freunden etwas ſympathiſcher erſcheinen. Wenn die preußiſche Regierung mit beſonderem Nachdruck auf das Selbſtverwaltungsrecht der Gemeinden hinweiſt und ſich vor allen Dingen in den Maßnahmen gegen die Fleiſchteuerung auf die Mithilfe der Gemeinden ſtützt, dann mögen freilich die Gründe, die die Regie⸗ rung dazu führten, ganz andere ſein als die Gründe, die uns — meine politiſchen Freunde und mich — veranlaſſen, von den Gemeinden ein Eingreifen auf dieſem Gebiete zu fordern. Man hat vielleicht nicht mit Unrecht darauf hingewieſen, daß die Regierung ſich nur deshalb bei dieſer Gelegenheit auf die Ge⸗ meinden ſtützt, weil ſie die große Verantwortung, die in dieſer Sache auf ihr ruht, auf die Gemeinden mit abwälzen will; denn wenn dieſe ungenügenden Maß⸗ nahmen nicht die Erwartungen erfüllen, die mit Recht in das Eingreifen der Regierung vom Volk geſetzt worden ſind, dann hat es die Regierung leicht, zu ſagen: ſeht ihr, wir haben gewollt, aber die großen Gemeinden haben auf dieſem Gebiete vollſtändig verſagt. Dieſe Gründe können natürlich für uns nicht maßgebend ſein, uns leiten andere Motive bei dem Verlangen, daß die Gemeinden auf dieſem Gebiete ſchöpferiſch vorgehen ſollen. Wir ſehen die Aufgaben der Gemeinden ja im allgemeinen als weiter gezogene an, als wie ſich die meiſten Gemeinden bisher be⸗ tätigt haben. Wir wollen, daß ſich die Gemeinden über den jetzigen Betätigungskreis hinaus nutzbar machen und namentlich in ſo ſchwierigen Fragen, wie es die Fleiſchteuerung, die Verteuerung der ſämtlichen Lebensmittel und die Anſpannung der Lebenshaltung ſind, bei der Bekämpfung der Teuerung bahn⸗ brechend und helfend vorangehen. Vor allen Dingen leiten uns dabei zwei Motive. Die Gemeinden ſind einmal die unmittelbaren politiſchen Körperſchaften, die unter den Wirkungen einer ſchlechten Lage, einer Teuerung, einer Hungers⸗ not, geſteigerter Lebensmittelpreiſe direkt leiden und in erſter Linie in Mitleidenſchaft gezogen werden. Sodann haben die Gemeinden als in ſich gefeſtigte Organiſationen und abgeſchloſſene Wirtſchaftsgebiete Einrichtungen, die am eheſten dazu benutzt werden können, in Zeiten der Not der Verteuerung des Fleiſches in praktiſcher Weiſe entgegenzuwirken. An⸗ dere Gemeinden, die bisher für ſich nicht in Anſpruch genommen haben, was unſere Liberalen für Char⸗ lottenburg immer gern betonen, auf ſozialpolitiſchem und liberalem Gebiete in Deutſchland voranzuſchrei⸗ ten, ſind Charlottenburg in dieſer Beziehung voran⸗ gegangen. Es gibt eine große Reihe von Städten, die nicht nur dahin gewirkt haben, daß gefrorenes und gekühltes Fleiſch in größerem Umfange auf ihre Rechnung und ihr Riſiko eingeführt wurde, ſondern die auch friſches Fleiſch und Vieh direkt aus dem Auslande bezogen haben und die es, wenn ſie es nicht ſelbſt unmittelbar an die Verbraucher abgegeben haben, durch Vermittlung der Fleiſcher und Schlächter zu einem vorher beſtimmten Preiſe an die Ver⸗ braucher haben abgeben laſſen. Das iſt ein Vorgehen, das für Charlottenburg ohne weiteres nachahmens⸗ wert ſein dürfte. Ich weiß, man wird mir entgegen⸗ halten: überall läßt ſich das nicht durchführen, denn überall ſind die Fleiſcher nicht willens, dieſen Maß⸗ nahmen der Städte entgegenzukommen, ihre Räum⸗ lichkeiten, ihre Erfahrungen und ihre Arbeitskraft der Stadt und der Allgemeinheit in dieſer Beziehung ohne Ertragewinn zur Verfügung zu ſtellen. Und was man in letzter Zeit zum Beiſpiel in Frankfurt a. M. auf dieſem Gebiete erlebt hat, berechtigt auch Sitzung vom 2. Oktober 1912 zu ſolchem Einwande. Wir müſſen ſchon mit dieſer, ich möchte aagen, volkswirtſchaftlichen Kurzſichtigkeit der Fleiſcher nicht bloß in Frankfurt a. M., ſondern auch in anderen Städten rechnen. So entſinne ich mich, dieſer Tage erſt eine Notiz in den Blättern über die Stellung der Berliner Fleiſcherinnung zu den Maßnahmen der Regierung geleſen zu haben. Da wird in einer Reſolution von der Berliner Fleiſcherinnung hervorgehoben, daß dieſe Maß⸗ nahmen zwar ſehr unzulänglich ſind; zugleich ver⸗ wahren ſich aber die Fleiſcher dagegen, daß zum Vor⸗ teile der einzelnen Kommunen Ausnahmebeſtimmun⸗ gen in bezug auf die Erleichterung der Einfuhr von Vieh und friſchem Fleiſch getroffen werden könnten, wodurch die Steuerkraft der Fleiſcher und der einzel⸗ nen Fleiſch⸗ und Wurſtverkäufer beeinträchtigt wer⸗ den müßte. Ich bin der Anſicht, daß mit dieſer Rück⸗ ſtändigkeit und kurzſichtigen Auffaſſung der Fleiſcher eine Stadtgemeinde nicht rechnen darf, und damit wird auch zweifellos — das erwarte ich — Berlin nicht rechnen. Denn wenn die Fleiſcher nicht wollen, wenn ſie nicht das Einſehen haben, daß ſie eine ſolche Notlage der Bevölkerung nicht durch Beanſpruchung außerordentlicher Gewinne für ſich ausnutzen dürfen, dann muß eben die Stadt zu Mitteln greifen, um unter Ausſchluß der Fleiſcher das Fleiſch zu billigen Preiſen zu verkaufen; die Stadt muß dann eigene Verkaufsſtellen einrichten. Nun weiß ich ja, die Durchführung dieſes Ge⸗ dankens wird namentlich in Charlottenburg ſeine Schwierigkeiten haben. Die Stellung eines großen Teiles der Herren hier in der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung berechtigt ohne weiteres zu den größten Zweifeln in dieſer Beziehung. Sie haben wohl hier im Plenum zu wiederholten Malen durch ihre Ver⸗ treter ganz fulminante Reden gegen die Teuerung halten laſſen, ſie haben ſehr kräftig losgeſchlagen auf das Agrariertum, das die ganze Teuerung verſchuldet hat, und wir haben Ihnen dabei mit aller Kraft, die uns zur Verfügung ſtand, ſekundiert und haben Ihnen Recht gegeben. Aber vergeſſen Sie nicht: die Hal⸗ tung mancher der Herren, die vielleicht den Reden, die hier im Plenum von Ihnen gehalten worden ſind, zugeſtimmt haben, war in der Deputation nicht konſequent, wenigſtens nicht dieſen Reden angemeſſen konſequent. In der Deputation haben verſchiedene der Herren, die zum Beiſpiel den Ausführungen des Herrn Kollegen Frentzel Zuſtimmung gezollt haben, nicht das gemacht, was eigentlich hätte gemacht wer⸗ den müſſen als logiſche Folge der Reden. Ein Teil der Anträge, die in der Deputation teils von meinen Freunden, teils auch von der Seite des Magiſtrats geſtellt worden ſind, ſind gerade durch das Verhalten der Herren zu Fall gebracht worden, die hier im Plenum dem Herrn Kollegen Frentzel zugeſtimmt haben. Freilich ſind Sie im Recht, wenn Sie hier im Plenum mit allem Nachdruck und auch in der Oeffentlichkeit, in Ihrer Preſſe bei jeder Gelegenheit die Agrarier bei den Ohren nehmen und darauf hin⸗ weiſen, daß durch deren Verhalten, durch die unglück⸗ ſelige Zollpolitik, die wir in Deutſchland haben, die Fleiſchteuerung begründet, geſtützt und aufrecht er⸗ halten wird; Sie dürfen aber nicht vergeſſen, daß, wenn Sie die Regierung anklagen, daß ſie zu große Rückſicht auf die Agrarier nehme, Sie dann auch ſelbſt konſequent ſein müſſen und nicht zu große Rück⸗ ſicht auf den Zwiſchenhandel und die Fleiſcher nehmen dürfen. Ihr ganzes Verhalten in der Deputation war aber zum großen Teil von dem Gedanken ge⸗