Sitzung vom leitet: um Himmels willen nicht dem Mittelſtande, den kleinen Geſchäftsleuten zu nahe zu treren! Meine Herren, wenn Sie unſere Bevölkerung gegen die Teuerung ernſtlich unterſtützen wollen, dann kommen Sie nicht darum herum, Ihre übertriebene Rückſicht auf die Intereſſen des Zwiſchenhandels aufgelen zu müſſen. Wenn die große Allgemeinheit ſich in Not befindet, dann kann und darf aber auch auf den ein⸗ zelnen nicht die Rückſicht genommen werden, die viel⸗ leicht in normalen Zeiten auf ihn zu nehmen iſt. Da müſſen wir auch fragen, was denn in dieſer Beziehung geſchehen iſt. Sie, vom Standpunkte des Liberalismus, ſcheuen ſich, überhaupt öffentliche Ein⸗ richtungen in einer Weiſe nutzbar zu machen, die den Privatunternehmer irgendwie in ſeinem Gewinn tangieren könnte. Sie handeln vielleicht richtig auf Grund Ihrer wirtſchaftlichen, Ihrer politiſchen An⸗ ſchauung, Sie handeln in dieſem Sinne ganz emi⸗ nent liberal — das heißt liberal, wie Sie es ver⸗ ſtehen. Aber das iſt nicht volksfreundlich liberal in dem Sinne, wie es ſein müßte. Denn durch Ihr Verhalten ſchädigen Sie nicht nur den kleinen Ge⸗ werbetreibenden ſelbſt, der doch auch unter der Teue⸗ rung leidet, ſondern Sie ſchädigen auch die große Maſſe, die außerhalb des Kreiſes der kleinen Ge⸗ ſchäftstreibenden und der Fleiſcher ſteht. Und doch werden Sie auch auf dieſem Gebiete weiter ſchreiten müſſen. Sie haben ſich mit Ihrem Liberalismus, mit Ihren, unſeren Anſchauungen entgegengeſetzten Auffaſſungen ſeit Jahren gegen manchen Vorſchlag geſträubt, den wir gemacht haben. Seit Jahren ſchon haben wir Ihnen auf den verſchiedenſten Gebieten kommunaler Betätigung weitergehende Anregungen gegeben. Sie ſind uns nicht gefolgt, ſondern Sie ſind hin und wieder erſt nach einer Reihe von Jahren zu un ſerer Anſicht bekehrt worden und haben ver⸗ ſucht, mit der Entwicklung mitzuſchreiten. Die⸗ jenigen, die von Ihnen heute noch auf dieſem Ihrem liberalen Standpunkt ſtehen, daß ſie glauben, die Allgemeinheit brauche durch durchgretfende Maß⸗ nahmen der Gemeinde gegen die Teuerung nicht ge⸗ ſchützt zu werden, weil ein kleiner Kreis Gewerbe⸗ treibender darunter leiden könnte, werden daher auch noch einen Wandel ihrer Auffaſſungen durchmachen müſſen. Denn hier handelt es ſich nicht um einen vorübergehenden Notſtand, ſondern um eine anhal⸗ tende Verſchlechterung unſeres Lebensmittelmarktes, und dieſer muß und kann nur entgegengewirkt wer⸗ den, wenn nicht vorübergehende, ſondern dau⸗ ernde Einrichtungen geſchaffen werden, welche der Teucrung entgegenwirken. Gerade die Bedeu⸗ tun g, d ie der Nꝛ ährm trelmarkt hat, erfordert es, daß die Gemeinden auf dieſem Gebiete größere Aufgaben vor ſich ſehen, als es bisher der Fall ge⸗ wefen i ſt. Ich will auf Einzelheiten, wie dieſe Aufgaben zu erfüllen ſein könnten, heute nicht eingehen. Es hat auch keinen Jweck, heute dieſe größeren Fragen aufzurollen, wo uns Augenblicksforderungen zu be⸗ ſchäftigen haben. Und da komme ich wieder näher auf Kuteer Antrag zu ſprechen. So dürftig und unzureichend die angekündigten] = Vorkehrungen der preußiſchen Staatsregierung ſind, ſo ſollten wir uns aber doch nach Mög⸗ lichkeit bemühen, das Wenige, was ſie uns bieten, auszunutzen und den Apell an die Gemeinden, der darin enthalten iſt, nicht ungehört verhallen laſſen. Ich verweiſe da auf die Nachhargemeinde 2. Oktober 1912 355 Schöneberg. Kaum war der Regierungserlaß be⸗ kannt geworden, ſo haben die Schöneberger Stadt⸗ verordneten in Uebereinſtimmung mit dem Magiſtrat beſchloſſen, unter Gewährung einer Summe von 30 000 ℳ nicht nur Fleiſch durch die Stadt herbei⸗ zuſchaffen, ſondern auch dafür zu ſorgen, daß die Kaninchenzucht in Schöneberg gepflegt und propa⸗ giert wird. Zugleich wurde auch vom Schöneberger Magiſtrat erklärt, daß er ſich bemühen werde, das Wenige, was die Regierungsvorlage biete, nach Mög⸗ lichkeit auszunutzen, entweder durch ſelbſtändiges Vorgehen oder im Anſchluß an die Maßnahmen von Berlin. Und Berlin iſt auch bereits vorgegangen; denn auch in Berlin hat dieſer Tage eine Sitzung des Magiſtrats ſtattgefunden, und man iſt ſich einig ge⸗ worden, noch über den Rahmen der Regierungsmaß⸗ nahmen hinaus billiges Fleiſch für Berlin zu be⸗ ſchaffen. Sollten die Fleiſcher damit nicht einver⸗ ſtanden ſein, ſo wird man vielleicht auch in Berlin gezwungen ſein, gegen dieſen kleinen Kreis von kleinen Gewerbetreibenden vorzugehen. Meine Herren, wir haben in unſerem Antrage einen beſtimmten Weg, den der Magiſtrat einſchlagen ſoll, mit Ueberlegung nicht vorgeſchlagen, weil wir uns ſagen: Es kommt nicht darauf an, welchen Weg der Magiſtrat einſchlägt, ol er, wie es Schöneberg getan hat, für ſich vorgehen will, ob er auch für unſere Stadt die Beſtimmungen des Abſatz 1 der Regie⸗ rungsmaßnahmen geltend machen will, oder ob er es vorzieht, das Angebot des Berliner Oberbürger⸗ meiſters anzunehmen, der den einzelnen Vorort⸗ gemeinden vorgeſchlagen hat, mit Berlin zuſammen an die Regierung heranzutreten, um den Bezug von billigerem Fleiſch für ganz Groß⸗Berlin zu garan⸗ tieren. Wir laſſen das dem Magiſtrat vollſtändig offen. Uns liegt nur daran, daß möglichſt ſchnell Maßnahmen au dieſem Gebiete getroffen werden. Sie werden eventuell mit dem Einwande kom⸗ men, daß es ſich empfehle, die Anregung, die in unſerem Antrage niedergelegt iſt, der gemiſchten De⸗ putation zu überweiſen. Ich möchte Sie bitten, da⸗ von Alſtand zu nehmen. Wenn Sie dieſe Frage auch wieder der gemiſchten Deputation überweiſen, ſo wird man mit neuen Beratungen, mit neuen Er⸗ örterungen zu rechnen haben, die vielleicht mit der⸗ ſelben Gründlichkeit geführt werden wie die Verhand⸗ lungen, welche die Deputation zur Beratung von Maßnahmen betr. die Arbeitsloſenverſicherung ge⸗ pflogen hat. Dann können vielleicht in drei Jahren einmal Maßnahmen gegen die jetzt herrſchende Teue⸗ rung getroffen werden, und ſo lange Zeit wollen wir im Intereſſe der minderbemittelten Bevölkerung von Charl ottenburg nicht warten. Sie können ſchnell ar⸗ beiten, Sie haben bei anderen Gelegenhenten ſchon mit amerikaniſcher Schnelligkeit beraten, beſchloſſen und gehandelt. Ich erinnere nur an den Opernhaus⸗ bau. In wenigen Wochen war die Geſchichte fir und fertig, und heute ſteht das Opernhaus mit ſeiner prächtigen Faſſade da und erfreut die Bewohner von Charlottenburg, von Berlin und den anderen Vor⸗ orten. Meine Herren, wenn Sie es dort ſo eilig hatten und ſo ſchnell arbeiten konnten, dann ſollten Sie es auch in einer Frage können und tun, die ſo ungeheuer brennend iſt, nämlich bei den Maßnahmen, welche die ſchlechten Lebens⸗ und Ernährungsver⸗ hältniſſe der minderbemittelten Bevolterung Char⸗ lottenburgs aufbeſſern ſollen. Glauben Sie mir: ſo ſehr man ſich über die Schnelligkeit, mit der das Opernhaus entſtanden iſt, gefreut hat, viel mehr wird