356 man ſich in der Charlottenburger Bevölkerung freuen, wenn endlich cinmal erwas getan wird, um der Ver⸗ teuerung des Fleiſches und der Lebensmittel ent⸗ gegenzuwirken. Ich Latte Sie daher, unſern Antrag anzunehmen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Meine ver⸗ ehrten Herren! Ich beabſichtige nicht, in die Einzel⸗ heiten der Dinge einzudringen, auch nicht, die Maß⸗ nahmen, welche die Regierung vor ein paar Tagen in der Norddeutſchen Allgemeinen Zeitung verüffent⸗ licht hat, einer Kritik zu unterziehen. Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß auch wir der Anſicht ſind, daß die Angelegenheit der Bekämpfung der Lebens⸗ mittelteuerung äußerſt dringend iſt, und daß ſie mit aller Beſchleunigung und aller Energie in Angriff genommen werden ſoll. Ich bin perſönlich der An⸗ ſicht — ich habe noch nicht Gelegenheit gehabt, im Magiſtrat darüber Vortrag zu halten und einen Beſchluß herbeizuführen —, daß man die Hand, die die Regierung uns entgegenſtreckt, annehmen und. ganz abgeſehen davon, ob die Gemeinden wirklich etwas Bahnbrechendes leiſten können oder nicht, jedenfalls zeigen ſoll, daß die Gemeinden gewillt ſind, hier etwas auszuführen, was der Bevölkerung nützt und hilft. Ob ſie es können werden, das wird die Zukunft lehren. Man ſoll aber die Hand er⸗ greifen und ſoll verſuchen, mit dieſen von der Regierung gebotenen Maßnahmen etwas Tüch⸗ tiges und Erſprießliches zu ſchaffen. Auf wel⸗ chem Wege das geſchieht, ob mit den Fleiſchern oder ohne die Fleiſcher oder ſogar gegen die Fleiſcher, das kann ich heute nicht ſagen, das bedarf noch der näheren gründlichen Erörterung. Nun brauchen Sie aber nicht zu fürchten, daß dieſe Er⸗ örterung ad calendas Graecas vertagt wird. Auf morgen iſt bereits die gemiſchte Deputation zur Be⸗ kämpfung der Fleiſchteuerung zuſammenberufen, morgen um 5 Uhr wird ſie tagen, am Freitag wird der Magiſtrat tagen und ſeine Beſchlüſſe faſſen. Am Sonnabend tritt der Vorſtand des Preußiſchen Städtetages zuſammen, um über dieſe Frage in Ver⸗ bindung mit dem Herrn Miniſter für Landwirtſchaft und dem Herrn Miniſter des Innern zu beraten. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß der Vorſtand des Städtetags beſchließen wird, daß die Frage der Bekämpfung der Lebensmittelteuerung auch auf die Tagesordnung des Städtetages in Düſſeldorf, der am nächſten Montag beginnt, geſetzt und dort ein⸗ gehend beſprochen wird. Sie ſehen alſo, daß in aller Beſchleunigung die nötigen Schritte vorbereitet ſind, und ich bin überzeugt, daß ſie mit eben der Schnellig⸗ keit, mit der das Opernhaus gebaut worden iſt, ja vielleicht noch ſchneller effektuiert werden. Inzwiſchen hat der Herr Oberbürgermeiſter von Berlin in äußerſt erfreulichem, energiſchem und ſchleunigem Vorgehen bei dem Herrn Miniſter für Berlin und für ſämtliche Vororte bereits beantragt, diejenigen Genehmigungen zu erteilen, die in Nr. 1 und 3 der von der Regierung gekennzeichneten Maß⸗ nahmen enthalten ſind, d. h. die Genehmigung zur Einfuhr von friſchem Rind⸗ und Schweinefleiſch aus Rußland, Bulgarien, Serbien, Rumänien und von Schlachtvieh aus den Niederlanden für die Gemein⸗ den von Groß⸗Berlin. Alſo das, was die Herren von der ſozialdemokratiſchen Fraktion anregen, iſt bereits geſchehen: am 30. September iſt der Antrag an den Herrn Miniſter abgegangen und gebeten Sitzung vom 2 Oktober 1912 worden, uns mit Beſchleunigung die Genehmigung zu erteilen. Ich hoffe, in den nächſten Tagen werden wir ſie erhalten. Das wäre wohl alles, was ich Ihnen heute zu ſagen habe. Sie ſehen, daß die Dinge gut vorbereitet ſind. Wir wollen hoffen, daß der guten Vorbereitung ein guter Erfolg entſprechen wird. Stadtrat Dr. Gottſtein: In Ergänzung der Aus⸗ führungen des Herrn Oberbürgermeiſters möchte ich die eine Frage des Herrn Stadtv. Zietſch dahin be⸗ antworten, daß auch wir ebenſo wie Schöneberg mit dem Dezernenten in Berlin ſofort unmittelbar in Verhandlungen darüber getreten ſind, inwieweit die Errungenſchaften von Berlin für uns und in welcher Form ausgenutzt werden können. Das Ergebnis unſerer Beſprechungen liegt hier ſchriftlich vor. Danach ſind wir in der Lage, genau ſo wie Schöne⸗ berg und die anderen Vororte unter beſtimmten Be⸗ dingungen und in beſtimmter Form auch für unſere Bevölkerung — eventuell auch für unſere Fleiſcher — das, was Berlin beantragt und durchgeſetzt hat, nutz⸗ bar zu machen. Wir haben alſo ſchon, bevor der Antrag einging, entſprechend der Wichtigkeit der Frage angemeſſen gehandelt und ſind dadurch ſoweit gefördert, daß wir morgen der gemiſchten Deputation nicht bloß grund⸗ ſätzliche Erörterungen vorzutragen brauchen, ſondern ganz beſtimmt formulierte Anträge zur Beſchluß⸗ faſſung vorlegen können. 4 Stadtv. Meyer: Meine Herren! Ich habe namens meiner Freunde zu beantragen, den Antrag der ſozialdemokratiſchen Fraktion der gemiſchten Deputation zu überweiſen. Nach den Ausführun⸗ gen der Herren Magiſtratsvertreter bedarf dieſer An⸗ trag kaum mehr der Begründung. Ich hatte vorher die Abſicht, mich im allgemeinen der Tendenz des vorliegenden Antrags gegenüber zuſtimmend zu er⸗ klären, und bleibe auch dieſer Abſicht getreu, wenn⸗ gleich die Ausführungen des Herrn Kollegen Zietſch das außerordentlich ſchwer gemacht haben. Obwohl Herr Zietſch in ſeiner Rede äußerte, daß es gegen⸗ wärtig keinen Zweck hätte, die großen Fragen auf⸗ zurollen, da es ſich augenblicklich um eine praktiſche Entſcheidung handelte, hat er doch umfangreiche politiſche und vor allen Dingen kommunalpolitiſche Ausführungen gemacht und in einem Augenblick, in dem die Liberalen und Sozialdemokraten zuſammen für Maßnahmen zur Erleichterung der Lebens⸗ haltung eintreten, die Gelegenheit für geeignet ge⸗ halten, ſcharfe Angriffe gegen meine Fraktion und deren Verhalten zu richten, auf die ich ihm unter den gegenwärtigen Umſtänden nicht näher zu folgen be⸗ abſichtige. Nur das möchte ich allerdings ſagen, daß wir nach wie vor unſern grundſätzlichen Standpunkt aufrechterhalten, demzufolge wir Eingriffe des Ge⸗ meinweſens in das Betätigungsgebiet des Gewerbes für eine Maßnahme erachten, die nur in Notfällen zuläſſig iſt. Ebenſo beharren wir bei der Anſicht, daß man nicht, wie es Herr Kollege Zietſch in Ueber⸗ einſtimmung mit der agrariſchen Richtung getan hat, aus der gegenwärtigen Situation den Fleiſchern Vorwürfe machen oder gar behaupten ſollte, daß die Fleiſcher „die Notlage ausnutzen“. Ich war auf den Antrag nicht vorbereitet, habe alſo kein ſtatiſtiſches Material bei der Hand; ich verweiſe aber Herrn Kol⸗ legen Zietſch auf die vielen ſtatiſtiſchen Aufſtellungen, die dartun, daß den Fleiſchern gegenüber ſolche Vor⸗ würfe mit Recht nicht erhoben werden können.