Sitzung vom 2. Oktober 1912 Meine Herren, wir haben unſererſeits bisher nichts verſäumt oder vernachläſſigt. Erſt jetzt haben wir die Möglichkeit, die Sache von einem neuen Ge⸗ ſichtspunkt zu behandeln, nachdem der Bundesrat Erleichterungen gewährt hat, und nachdem vor allen Dingen feſtſteht, daß nur dieſe Erleichterungen ge⸗ währt werden werden, Erleichterungen, zu deren Ver⸗ mittlung allerdings die Städte berufen ſind. Meine Freunde ſind auch der Anſicht, daß es nunmehr Sache der Kommunen ſein wird, dieſen neuen Verhältniſſen ſich anzupaſſen, und zwar wird ſich, was bereits von Herrn Kollegen Dr Frentzel angeregt worden iſt, für die Kommunen Groß⸗Berlins ein gemeinſames Vorgehen empfehlen. Ich begrüße es mit außer⸗ ordentlicher Genugtuung, daß dieſes gemeinſame Vorgehen, wie der Herr Oberbürgermeiſter mitgeteilt hat, ſchon angebahnt worden iſt, und ich nehme an, daß die Arbeiten, die — wiederum nach den Mit⸗ teilungen des Herrn Oberbürgermeiſters — mit er⸗ freulicher Schnelligkeit gefördert worden ſind, ſchnell zu einem Ende werden gebracht werden. Die Tat⸗ ſache, daß morgen bereits eine Sitzung der gemiſchten Deputation anſteht, hat meine Freunde bewogen, ihrerſeits heute von einem Antrag abzuſehen. Da der Antrag nunmehr von anderer Seite geſtellt iſt, ſcheint es mir unter den gegenwärtigen Umſtänden gegeben, ihn der gemiſchten Depuration zu über⸗ weiſen. Stadtv. Dr Liepmann: Meine Herren! Der An⸗ trag, der uns als dringlich heute abend vorgelegt wor⸗ den iſt, hat meiner Fraktion noch nicht zur Erwägung unterbreitet werden können. Ich glaube aber wohl im Namen aller meiner näheren Freunde zu ſprechen, wenn ich unſerer vollſten Sympathie mit der Tendenz des Antrags, wie er hier niedergelegt iſt, Ausdruck gebe. Allerdings können wir nicht darin muß ich dem Herrn Vorredner folgen uns mit den Grün⸗ den in allem einverſtanden erklären. Wir ſind eben⸗ falls der Meinung, daß die Verſorgung mit Lebens⸗ mitteln ebenſo gehandhabt werden muß wie die Ver⸗ ſorgung mit anderem, für den Unterhalt der Bürger Notwendigem, und daß ſie im regelmäßigen Gange den Privatbetrieben nicht entzogen werden darf. Wir ſtehen aber auf dem Standpunkt, daß bei einem Not⸗ ſtande Ausnahmen gerechtfertigt ſind und daß wir alles tun wollen, um zuſammen mit den beiden an⸗ deren Fraktionen unſeren Mitbürgern eine wohl⸗ feilere Nahrung und insbeſondere billigeres Fleiſch zu ſchaffen. Wir weiſen es zurück, wenn der Herr Kol⸗ lege Zietſch ſeine Fraktion ſo hinſtellte, als ob ſie die wahre Volksfreundſchaft gepachtet hätte und unſere Sorgſamkeit für die Wohlfahrt der Bevölkerung tiefer ſtände. Wir glauben, daß die Volksfreundlichkeit ſich nicht darin zeigt, daß man Phantome hinmalt, die auszuführen auch den Herren Sozialdemokraten nicht möglich wäre, wenn ſie ſelbſt an der Spitze der Ver⸗ waltung ſtänden, ſondern darin, daß man unſeren Mitbürgern das gibt, was ihnen mit den vorhandenen Mitteln zu bieten iſt. Ich perſönlich — ich hoffe auch da auf die Zu⸗ ſtimmung der meiſten meiner Freunde — ſtimme auch dem Antrage des Herrn Kollegen Meyer bei, daß der Antrag der gemiſchten Deputation überwieſen werden ſoll. Allerdings möchte ich, daß noch hinzu⸗ gefügt wird: die Ueberweiſung geſchieht zur Berück⸗ ſichtigung. Ich bitte, dieſe beiden Worte noch in den Antrag hineinzunehmen. Dadurch, daß wir der De⸗ putation den Antrag vorlegen, wird, glaube ich, ein raſcheres Reſultat erzielt, als wenn erſt der Magiſtrat 357 deswegen zu einer beſonderen Sitzung zuſammenbe⸗ rufen iſt, namentlich auch deshalb, weil, wie ſchon mitgeteilt worden iſt, die Deputation morgen die nächſte Sitzung hat. Der zweite Grund, weshalb ich für die Ueber⸗ weiſung an die Deputation bin, iſt der: ich glaube, daß dadurch leichter dahin gewirkt werden kann, daß Hand in Hand mit den anderen Groß⸗Berliner Ge⸗ meinden in praktiſcher und raſcher Weiſe vorgegangen wird. Die Hoffnung, daß es gelingen wird, auf Grund der Regierungsmaßnahmen die Teuerung zu überwin⸗ den und zu beſſeren Zuſtänden zu gelangen, iſt bei mir nicht groß; aber meiner Anſicht nach haben wir die Verpflichtung, alle Mittel zu verſuchen, die uns von der Regierung auf Grund ihrer ſehr verſpätet er⸗ gangenen Entſchließung jetzt an die Hand gegeben werden, um eine Linderung der Teuerung zu er⸗ reichen. In dieſem Sinne, meine Herren, bitte ich Sie, den Antrag der Deputation zur Berückſichtigung zu überweiſen. Vorſteher Kaufmann: Ich geſtatte mir, darauf aufmerkſam zu machen, daß die Ueberweiſung dieſes Antrags an die Deputation nur in der Form ge⸗ ſchehen kann, daß die Stadtverordnetenverſammlung den Magiſtrat erſucht, dieſen Antrag der Deputation vorzulegen. Ein direkter Verkehr zwiſchen Stadtver⸗ ordnetenverſammlung und Deputationen findet ge⸗ ſchäftsordnungsmäßig nicht ſtatt. In dieſem Sinue habe ich auch den Antrag Meyer aufgefaßt. Nun be⸗ findet ſich ja die Stadtverordnetenverſammlung nicht in der Lage eines Petitionsausſchuſſes, der die ver⸗ ſchiedenen Grade der Ueberweiſung, zur Berückſich⸗ tigung uſw., zum Ausdruck bringen kann. Ich faſſe aber die Lage ſo auf: Da von jeder Fraktion einer der Herren ſich für den Antrag geäußert hat und kein Widerſpruch aus der Verſammlung erfolgt iſt, ſo lieat darin ſinngemäß, daß wir die Berückſichtigung des Antrags wünſchen. Ich würde alſo bitten, von an⸗ deren Anträgen abzuſehen und den Antrag ſo zu for⸗ mulieren: Die Stadtwerordnetenverſammlung erſucht den Magiſtrat, den vorliegenden Antrag der morgen tagenden Deputation vorzulegen. Stadtv. Zietſch: Gegen eine Ueberweiſung un⸗ ſeres Antrags an die gemiſchte Deputation zur Be⸗ rückſichtigung oder mit einer anderen ähnlichen Emp⸗ fehlung habe ich nach den gehörten Ausführungen der Magiſtratsvertreter nichts mehr einzuwenden. Ich werde für meine Freunde den vorhin geltend ge⸗ machten Widerſpruch gegen eine derartige Erledigung unſeres Antrags demnach zurückziehen. Ich glaube auch mit Recht, nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Liepmann und des Herrn Kollegen Meyer annehmen zu können, daß es auch den Herren von den anderen Fraktionen darum zu tun iſt, mit möglichſter Schnelligkeit die Angelegenheit zum Austrag zu brin⸗ gen. Wir haben gar keinen Grund, in die Lovalität dieſer Erklärungen irgendwelchen Zweifel zu ſetzen. Ich möchte nur noch eins erwähnen. Wenn der Herr Kollege Meyer mir den Vorwurf gemacht hat, ich hätte in einer Situation, in der meine Freunde mit den Herren von der liberalen Fraktion zuſammen⸗ gehandelt haben, Angriffe gegen die Verbündeten ge⸗ richtet, die beſſer unterblieben wären, dann möchte ich doch darauf hinweiſen, daß dieſes Verhältnis doch nicht ſo eng iſt, wie es etwa bei den Stichwahlen der Fall war, wodurch Sie vielleicht etwas verwöhnt wur⸗ den. Und wenn wir auch in dieſer Angelegenheit teil⸗ weiſe zuſammen gegangen ſind, ſo enthebt uns das