372 Bevölkerungsſchichten etwas tun will, darum andere Bevölterungsſchichten zu ſchädigen? Darum, weil dieſe Frage bei dieſer Gelegenheit zur Entſcheidung kommt, haben meine Freunde in dem ſpeziellen Falle eine Stellung eingenommen, die allerdings von ihren Grundſätzen abzuweichen ſcheint. Meine Herren, all unſer Vorwärtsdrängen, die Vorſchule durch die Volksſchule zu erſetzen, hat zur Vorausſetzung, daß die Hebung der Volksſchule, wie ſie von unſeren Gemeindebehörden beſchloſſen iſt und gewünſcht wird, gelungen und durchgeführt iſt. Es iſt aber ſehr charakteriſtiſch, daß der Magiſtrat auf die Anfrage vom März 1910, wie weit er denn bisher mit der Volksſchulhebung gelangt ſei, ſich nicht bindend geäußert hat. Der Magiſtrat iſt alſo — und die Verhandlungen im Petitionsausſchuß haben mich darin aufs neue beſtärkt — der Anſicht, daß die Hebung der Volksſchule heute noch nicht ſo weit gelungen ſei, daß ſie einen vollen Erſatz für die Vorſchule bildet. Die Tatſache iſt nicht zu leugnen, daß ein Kind in der Volksſchule vier Jahre braucht, um das zu er⸗ reichen, was in der Vorſchule in drei Jahren erzielt wird. Es ſteht alſo unbedingt feſt, daß die Eltern, die ihre Kinder durch die Volksſchule ſchicken, um ſie dann in eine höhere Schule eintreten zu laſſen, ſich in einer ungünſtigeren Lage befinden. Da können Sie es dieſen Eltern nicht verdenken, wenn ſie be⸗ ſtrebt ſind, ſich dieſen Nachteilen zu entziehen, und die Petition des Grundbeſitzervereins Neu⸗Weſtend iſt durchaus ſachlich berechtigt, wenn ſie ſagt: Stadt⸗ verwaltung, warum gibſt du uns in einem Teile Charlottenburgs nicht das, was du in anderen Teilen gegeben haſt, und warum läßt du dich als Stadt darauf ein, hier Grundſätze auszuführen, die im übrigen Groß⸗Berlin keine Anwendung finden; mit welchem Recht ſtellſt du uns Bewohner von Weſtend ungünſtiger als ſonſt die Bewohner von Groß⸗ Berlin? Meine Herren, auf dieſe Frage, ſo geſtellt und ſo aufgefaßt, antwortet der Petitionsausſchuß und die Mehrheit meiner Freunde, für die ich ſpreche: das liegt uns fern, das wollen wir nicht. Die grund⸗ ſätzlichen Ideale — ich will ſie ruhig als ſolche be⸗ zeichnen —, die auch wir haben, müſſen vor dem durchaus berechtigten Wunſche jener Einwohner zu⸗ rückſtehen, ebenſo behandelt zu werden und dieſelbe Erziehungs⸗ und Fortbildungsgelegenheit zu finden wie in einem andern Teile Charlottenburgs und in ganz Groß⸗Berlin. Wenn wir unſern idealen Stand⸗ punkt zu ſcharf betonen, dann können und werden die Folgen die ſein, daß der Zuzug nach dieſer Ge⸗ gend — ich will mich vorſichtig ausdrücken — hin und wieder erſchwert ſein wird, und das würde ge⸗ nügen, daß man bei einer ſolchen Frage ſeinen eigenen ſpeziellen Herzenswunſch gegenüber den Wünſchen der Bevölkerung zurückſtellt. (Bravol) Deshalb glauben wir, daß wir un ſer richtiges, ehrliches, hochgehaltenes Prinzip in keiner Weiſe verletzen, wenn wir Sie bitten, dieſe Petition dem Magiſtrat zur Berückſichtigung zu überweiſen. (Bravo!) Stadtv. Dr Stadthagen: Nach den überzeugen⸗ den Ausführungen des Herrn Vorredners kann ich Sitzung vom 2. Oktober 1912 mich ſehr kurz faſſen. Meine Freunde haben ja viel⸗ ſach in dieſer Frage früher einen anderen Standpunkt eingenommen als die liberale Fraktion, weil ſie die Angelegenheit noch nicht für ſo vollkommen geklärt halten wie andere Fraktionen, und weil doch hier in der Großſtadt gewiſſe Momente mitſprechen, die ſelbſt einen Freund der allgemeinen Erziehung davon ab⸗ alten können, für ſie ohne weiteres hier in Groß⸗ Berlin einzutreten. Meine Herren! Ich betone, daß ich grundſätzlich eigentlich auch ein Freund der gemeinſamen Er⸗ ziehung der verſchiedenen Bevölkerungsklaſſen in einer Schule bin. Trotzdem kann ich mich in dieſem Falle und in manchen anderen nicht ſo ohne weiteres dafür entſchließen, hier in Groß⸗Berlin die Konſe⸗ quenzen daraus zu ziehen. Ich möchte aber nicht weiter auf die grundſätzliche Frage eingehen; denn auch meine Fraktionsfreunde möchten mit ihrer Stellungnahme durchaus nicht die grundſätzliche Frage, die die verſchiedenſten Seiten hat, zur Ent⸗ ſcheidung bringen. Sie ſtehen aber ganz auf dem Standpunkt, daß, wenn irgendwo in Charlottenburg der Platz iſt, jetzt eine Vorſchule einzurichten, dort in dem neuen Viertel von Weſtend der gegebene Ort dazu iſt. Wenn wir erſt vieles aufwenden, um ein großartiges Viertel einzurichten, in dem ſich reiche Leute niederlaſſen ſollen, in dem die eleganteſten Häuſer gebaut werden ſollen, in dem nach jeder Rich⸗ tung gewiſſermaßen der Luxus gefördert wird, dann müſſen wir doch, wie der Herr Vorredner ſehr richtig ausgeführt hat, den dort hinziehenden Leuten die Möglichkeit geben, ihre Kinder ebenſo gut erziehen zu laſſen, wie es andere Bürger der Stadt auch fönnen. Das würde nicht der Fall ſein, wenn wir anders vorgehen. Die betreffenden Mitbürger würden entweder gezwungen ſein, ihre Kinder auf die Ge⸗ meindeſchule zu ſchicken. Daß die Gemeindeſchule nicht ganz gleichartig — ich will nicht ſagen: gleichwertig — mit der Vorſchule iſt, muß jeder zugeben. Die Ur⸗ teile darüber mögen allerdings verſchieden ſein. Zu⸗ nächſt ſteht ſchon feſt, daß die Voltsſchule eine etwas längere Schulzeit verlangt. Infolgedeſſen würden alſo die betreffenden Mitbürger anders behandelt werden wie die Mitbürger in einem andern Stadt⸗ teile. Es wäre dann eine zweite Möglichkeit für dieſe Mitbürger dadurch gegeben, daß ſie ihre Kinder nicht in eine öffentliche, ſondern in eine Privatſchule ſenden. Aber, meine Herren, die Stadt Charlotten⸗ burg, Magiſtrat und Stadtverordnetenverſammlung, hat doch, glaube ich, immer auf dem Standpuntt ge⸗ ſtanden, daß die öffentlichen Schulen den Privat⸗ ſchulen vorzuziehen wären. Auch das iſt ein Grund, um namentlich in dieſem Falle möglichſt bald die Errichtung einer Vorſchule vorzunehmen. Dazu kommt noch weiter, daß hier die Räume bereits vor⸗ landen ſind, alſo beſondere Ausgaben nicht entſtehen, und daß am 1. April nächſten Jahres ſchon die Vorſchule eingerichtet werden kann. Wir werden uns daher dem Antrage des Peti⸗ tionsausſchuſſes auf Ueberweiſung der Petition an den Magiſtrat zur Berückſichtigung anſchließen und hoffen, daß der Magiſtrat noch im Winter die nötigen Vorbereitungen trifft, damit die neue Vorſchule am 1. April nächſten Jahres eröffnet werden kann. Stadtv. Stulz: Meine Herren! Schon im Jahre 1902 hat Herr Bürgermeiſter Matting in der ge⸗ miſchten Deputation, die ſich damals mit der Frage der Vorſchule beſchäftigte, erklärt, daß er jede Maß⸗