Sitzung vom 30. Oktober 1912 Bei uns iſt alſo die Sache in ruhiger Weiſe orga⸗ niſiert und mit Glück durchgeführt worden. Wir ſehen ja auch, daß in Berlin jetzt allmählich, nach⸗ der: die erſte Kinderkrankheit überwunden iſt, der Verkauf ſich in 4, ꝛen Bahnen abſpiclt. Den Gemeinden entſtehen alſo immerhin Koſten. Da wir nich: ſſen können,wie lange dieſe eigen⸗ tümliche Mithilfe der Gemeinden der Fleiſchver⸗ ſorgung geübt werden wird und muß, ſo konnte der hierfür in Ausſicht zu nehmende Kredit, den wir dem Magiſtrat bewilligen müſſen, nicht zu gering bemeſſen werden. Ich hoffe, er wird lange nicht in der Höhe verbraucht werden, wie ihn die Vorlage von Ihnen in Anſpruch nimmt. Man kann die Summe von 100 000 ℳ wohl als etwas hoch gegriffen anſehen. Indeſſen, es handelt ſich ja nur um einen Kredit bis zu der Höhe, und das, was wir nicht verbrauchen, wird eben erſpart. Ich bitte Sie alſo, meine Herren, dem Antrage einmütig zuzuſtimmen: dem Magiſtrat einen Betrag bis zu 100 000 ℳ zur Verfügung zu ſtellen, um von den ſeitens der Königlichen Regie⸗ rung in dem Erlaß vom 28. September 1912 zu⸗ gelaſſenen vorübergehenden Erleichterungen der Vieh⸗ und Fleiſcheinfuhr gegen die herrſchende Fleiſch⸗ teuerung Gebrauch zu machen. Die Mittel ſind aus dem Dispoſitionsfonds zu entnehmen. Stadtv. Lehmann: Meine Herren! Vorweg möchte ich bemerken, daß meine Freunde für die An⸗ nahme dieſer Vorlage ſind. Ich will aber zugleich ausſprechen, daß ich zu der Angelegenheit einige all⸗ gemeine Ausführungen machen und zum Schluß einige Fragen an den Magiſtrat ſtellen möchte. Die Maßnahmen, die von der Stadt ergriffen ſind, ſind unſeres Erachtens das Mindeſte, was über⸗ haupt nach den vorgeſchlagenen Regierungsmaß⸗ nahmen geſchehen konnte. Leider bleibt ſehr wenig übrig. Trotz alledem ſtellen ſich noch Schwierigkeiten heraus bei der Durchführung der Maßnahmen. Es läßt ſich nicht ſo leicht alles erledigen, wie es eigent⸗ lich erledigt werden müßte, aus Gründen, die teils perſönlicher, teils wirtſchaftlicher Natur ſind. Man kann alſo nicht davon reden, daß ſchon etwas ganz Beſtimmtes, Durchgreifendes geſchaffen iſt. Das iſt auch leider nicht möglich, weil uns hier die Regie⸗ rung mit ihren Vorſchlägen im Stich gelaſſen hat. Eine Kritik will ich daran nicht knüpfen; ſie iſt ſchon oft genug geübt worden und iſt immer ſo ausge⸗ fallen, wie ſie hat ausfallen müſſen. Aber, meine Herren, was bis heute geſchehen iſt, das hat doch dazu beigetragen, dem Stadtbild in gewiſſer Beziehung ein verändertes Ausſehen zu geben. Sieht man ſich die Schlächterläden an, ſo kann man konſtatieren, daß die Einfuhr ausländiſchen Fleiſches bewirkt hat, daß die Preiſe für hieſiges Fleiſch heruntergegangen ſind. Man kann in Char⸗ lottenburg Plakate ſehen, worin ſteht, daß das Fleiſch im allgemeinen und in beſonderen Fällen bis zu 15 § das Pfund billiger geworden iſt. Feſt ſteht, daß viele Schlächter beſtrebt ſind, die Maßnahme des Verkaufs ausländiſchen Fleiſches nach allen Regeln der Kunſt durchzuführen, und ich kann feſtſtellen, daß ſich die meiſten Schlächter Mühe geben, das zu tun, was unbedingt notwendig iſt, indem ſie genügend Reklame entfalten. Gewiſſe Umſtände und Tatſachen laſſen aber doch den Gedanken aufkommen, daß ein Teil der Schlächtermeiſter nicht von dem Gefühl be⸗ ſeelt iſt, etwas für die Allgemeinheit zu tun. Ich will nicht weiter darauf eingehen, aber an die Vor⸗ 387 kommniſſe in Ber in erinnern, die ja mit der Sach⸗ lage bei uns inſofern zuſammenhängen, als wir doch das Fleiſch mit Groß⸗Berlin zuſammen beziehen. Das Verhalten der Berliner Schlächter zeugt keines⸗ wegs danan, daß ſic von dem Gedanken durchdr en ſind, daß auch ſie die Pflicht haben, zur Linderun, der Not des Volkes etwas beizutragen. Ich bezeichne das Verhalten der Berliner Schlächtermeiſter, die ſich erſt zum Fleiſchverkauf angeboten, nachher aber ge⸗ weigert haben, als eklatant vertragsbrüchig. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Die Leute haben einen Vertrag mit dem Magiſtrat abgeſchloſſen, und als es zur Durchführung des Ver⸗ trages kam, da verſagten die Herren Schlächtermeiſter und erklärten: wir machen nicht mit. Die Herren haben Obſtruktion getrieben und haben zudem noch den Leuten davon abgeraten, das Fleiſch überhaupt zu kaufen, da es minderwertig ſei uſw. Es muß hier ausgeſprochen werden, wie wir darüber denken, da⸗ mit nicht etwa unſere Herren Schlächtermeiſter auf den Gedanken kommen könnten, daß ſie in Zukunft auch das Recht hätten, in derartiger Weiſe vorzu⸗ gehen, wenn die Frage für ſie brennend werden ſollte. Nun kann man feſtſtellen, daß die Fleiſchzufuhr nicht in dem Maße erfolgt, wie ſie eigentlich erfolgen müßte, um der Not Herr zu werden. Das liegt an gewiſſen Schwierigkeiten, die ſich daraus ergeben, daß einmal wohl die Einrichtungen nicht darauf zuge⸗ ſchnitten ſind, das Fleiſch plötzlich in großen Maſſen heranzuführen, dann vielleicht auch daran, daß der Auftrieb nicht ſo vor ſich geht, um genügend Fleiſch auf den Markt bringen zu können. Endlich kommen wohl noch Schwierigkeiten perſönlicher Natur dazu. Durch die Preſſe gehen nämlich Notizen, daß die Warſchauer Schlächter die Abſicht haben, gewiſſe Maßnahmen zu treffen, die die weitere Ausfuhr von Fleiſch nach Deutſchland unmöglich machen. Man wird mir entgegenhalten, es ſei jetzt ſchwer, genügend Fleiſch zu bekommen, weil die Berliner Schlächter⸗ geſellen, die man dorthin geſchickt hatte, in Streik eingetreten ſind; deshalb werde kein Vieh mehr ab⸗ geſchlachtet und die Zufuhr werde wohl daher eine Weile ſtocken. Meine Herren, ſoweit ich unterrichtet bin, iſt alles das, was durch die Preſſe über einen Streik verbreitet worden iſt, ein Märchen. Die deut⸗ ſchen Schlächtergeſellen in Warſchau ſind nicht in den Streik eingetreten, ſie haben keinen Streik prokla⸗ miert. Die Sache liegt ſo: man hat den Berliner Schlächtergeſellen 100 ℳ pro Woche und noch Trink⸗ geld verſprochen. Als nun die Leute gearbeitet hatten und ihren Lohn verlangten, hat man ihnen 75 ℳ pro Woche geboten, und als ſie auf ihrem Rechte be⸗ ſtanden und den vorenthaltenen Lohn forderten, hat man ſie entlaſſen und ſich Warſchauer Schlächter⸗ geſellen angenommen, die jetzt die Arbeit machen ſollen. Ich habe dieſe Informationen aus ganz zu⸗ verläſſiger Quelle und habe ſie hier vorgetragen, um zu verhindern, daß den Leuten etwas Unrechtes nach⸗ geredet wird. Die Schwierigkeiten, von denen ich eben ge⸗ ſprochen habe und die vielleicht zur Folge haben, daß durch den Mangel an Fleiſchauftrieb die Preiſe hier wieder ſteigen und nicht der Effekt erzielt wird, der erzielt werden ſoll, daß nämlich das Fleiſch billiger wird, ferner daß die Zufuhr überhaupt ins Stocken gerät, — dieſe Schwierigkeiten müſſen uns dazu treiben, einmal den Gedanken ins Auge zu faſſen, ob