436 nicht nachſagen kann, daß ſie für oder gegen jemand Partei ergreifen. Infolgedeſſen habe ich für eine Arbeitsloſenverſicherungskaſſe geſtimmt. Der Herr Referent hat zwar geſagt, er ſtimme auch für die Vor⸗ Ange; er hat aber doch in ſeinen Ausführungen durch⸗ blicken laſſen, daß dieſe Kaſſe wenig Erfolg aufzu⸗ weiſen haben würde und daß er dieſer neuen Grün⸗ dung mit ſehr kühlen Empfindungen gegenüberſtehe. Meine Herren, Prognoſen in ſozialpolitiſchen Dingen ſoll man nicht ſo leicht ſtellen. Als die Invaliden⸗ verſicherung ins Leben trat, wurde auch behauptet, mit dieſer Geſetzesvorlage mache man einen Sprung ins Dunkele, und bei der Krankenverſicherung war das Gleiche der Fall. Ich glaube, man ſoll bei dieſer Materie auch den Verſuch ruhig wagen. Im übrigen möchte ich bemerken: auch dem Kol⸗ legen Landsberger iſt ein kleiner Irrtum unterlaufen, als er auf die Cölner Unterſtützungskaſſe zu ſprechen kam. Die Cölner Unterſtützungskaſſe, die in ihrer früheren Geſtalt für die Winterszeit verſichert hat, iſt jetzt ausgebaut worden, und ich habe ſchon voriges Mal darauf hingewieſen, daß nicht die ſozialdemo⸗ kratiſchen, aber eine ganze Reihe anderer Gewerkſchaf⸗ ten, die auch etwas von der Sache verſtehen, ſich da⸗ hin geäußert haben, daß ein Ausbau der Cölner Un⸗ terſtützungskaſſe unter Mitwirkung der Stadt Cöln erfolgen ſolle. Ich glaube, gerade hier in Charlotten⸗ burg würde uns die Gründung einer Arbeitsloſen⸗ unterſtützungskaſſe gelingen, aus den verſchieden⸗ ſten Gründen, die in dem Entwurfe des Magiſtrats mitenthalten ſind. Der Differengpunkt zwiſchen dieſer und der früheren Vorlage liegt hauptſächlich darin, daß jetzt eine ſogenannte Zuſatzverſicherung neu einge⸗ führt worden iſt für diejenigen Arbeiter, die ſchon bei einer Organiſation gegen Arbeitsloſigkeit verſichert ſind. Ich muß bekennen, daß die jetzige Faſſung doch der alten vorzuziehen iſt, deshalb, weil jedem Arbeiter ohne Rückſicht auf ſeine Parteizugehörigkeit die Mög⸗ lichkeit gegeben iſt, ſelbſt über den Kopf der Gewerk⸗ ſchaften hinweg eine Zuſatzverſicherung bei der ſtädti⸗ ſchen Kaſſe einzugehen. Die Kaſſe hat es dann nicht nötig, mit den Gewerkſchaften zu verhandeln, ſondern ſie ermöglicht jedem Charlottenburger Arbeiter für einen ganz geringen Beitrag für Zeiten der Arbeits⸗ loſigkeit Vorſorge zu treffen. Die Vorlage hat aber auch einen zweiten Vorzug aufzuweiſen. Meines Erachtens ge⸗ nügt für diejenigen Arbeiter, die ſchon gegen Arbeits⸗ loſigkeit verſichert ſind und bei Eintritt des Verſiche⸗ rungsfalles eine Arbeitsloſenunterſtützung erhalten, eine kleinere Unterſtützungsſumme als für die Neu⸗ verſicherten. Beide Leiſtungen, die der privaten und der ſtädtiſchen Kaſſe, könnten dem Verſicherten ein Exiſtenzminimum in Zeiten der Arbeitsloſtgkeit ſichern. Dagegen kann ich es nicht für vorteilhaft hal⸗ ten, wenn das Arbeitsloſengeld eine gewiſſe Höhe überſchreitet; denn damit wäre die Gefahr, die Ar⸗ beitsloſigkeit grundlos zu verlängern, verbunden. Die neue Magiſtratsvorlage nimmt, wie die neue ſo⸗ ziale Geſetzgebung, auf Privatabmachungen Rückſicht. Bei der Angeſtelltenverſicherung z. B. wird der Ver⸗ ſicherungspflichtige auf Grund einer Lebensverſiche⸗ rung von der Beitragsleiſtung befreit. Nach dieſem Vorgange läßt ſich auch die Faſſung der Magiſtrats⸗ vorlage verteidigen. Meines Erachtens liegt in der Zulaffung der Zuſatzverſicherung nicht die geringſte Bevorzugung irgendeines Teiles von Arbeitern vor; diejenigen, die ſchon eine Arbeitsloſenunterſtützung zu erwarten haben, ſollen eben bloß eine Zuſatzver⸗ Sitzung vom 4. Dezember 1912 ſicherung bei der ſtädtiſchen Kaſſe nehmen können; die⸗ jenigen, die noch keine Verſicherung eingegangen ſind, haben dagegen den Betrag von 25 § zu zahlen und dafür eine größere Leiſtung zu erwarten. Natürlich iſt es aber jedem unbenommen, eventuell für den höheren Beitrag auch die höhere Leiſtung in Anſpruch zu nehmen. 2 Mñʃeine Herren, wenn Sie ſich die Leiſtungen vergegenwärtigen, die die ſtädtiſche Arbeitsloſenver⸗ ſicherungskaſſe in Ausſicht ſtellt: ſchon nach ſechs⸗ monatlicher Beitragszahlung Gewährung von Tage⸗ geldern bei verhältnismäßig kurzer Karenzzeit eine verhälmmismäßig lange Bezugszeit mit ausreichenden Unterſtützungsgeldern, Erſtattungen von Beitrags⸗ leiſtungen in gewiſſen Fällen, dann iſt es ſchwer be⸗ greiflich, weshalb die äußerſte Linke dieſer Vorlage ablehnend gegenüberſtehen ſoll. Die Gewerkſchaften haben keine Konkurrenz zu fürchten; denn die ſtäd⸗ tiſche Kaſſe verlangt keine Veränderung in den Ver⸗ ſicherungsverhältniſſen bei der Gewerkſchaft, ſie gibt den Gewerkſchaftsmitgliedern zu einer Zuſatzverſiche⸗ rung Gelegenheit. Ich bin nicht der Meinung des Herrn Referenten, die Kaſſe würde unter dem Mangel an Mitgliedern leiden. Meines Erachtens könnte der Magiſtrat — darauf habe ich in meinen früheren Ausführungen auch ſchon hingewieſen — auf ſeine Arbeiter einen ge⸗ wiſſen Druck ausüben, daß ſie der Kaſſe beitreten. (Hört; hört! bei den Sozialdemokraten.) — Ja gewiß, zum Vorteil der Arbeiter! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Einen „Druck“!) —Meine Herren, wenn Sie ſich über den Ausdruck „Druck“ wundern, dann kennen Sie ja gar nicht die ſoziale Verſicherung. Die ganze ſoziale Verſicherung iſt ja eine Zwangsverſicherung, und die Zwangsver⸗ ſicherung beruht doch auf dem größten Druck, den man ſich denken kann. Sie brauchen ſich deshalb nicht zu wundern, daß man hier zum Vorteil der Ar⸗ beiter die Ausübung eines gewiſſen Druckes der Be⸗ hörde wünſcht. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Auf abhängige Leutel) Glauben Sie denn, die Invalidenverſicherung hätte jemals durchgeführt werden können, wenn nicht der Zwang von der Regierung mit in das Geſetz auf⸗ genommen worden wäre? Ich glaube alſo, daß die Vorlage wohl geeignet iſt, den Arbeitern Vorteile zu verſchaffen, und ich wünſche, daß ſie, ebenſo wie der vorige Entwurf, mit einer großen Majorität angenommen wird. Eine Ausſchußberatung halte ich gleich dem Herrn Refe⸗ renten nicht mehr für notwendig, nachdem die Vor⸗ lage ſchon drei Ausſchüſſe beſchäftigt hat und auch hier in der Plenarverſammlung eingehend beraten worden iſt. (Bravo!) Stadtv. Richter: Meine Herren! Ich muß mich den Ausführungen des Herrn Berichterſtatters nicht nur vollſtändig anſchließen, ſondern ſie auch noch nach⸗ drücklichſt unterſtützen. Wenn er hier geſagt hat, die Vorlage bedeutet einen Rumpf, ſo geht dieſer Aus⸗ druck meiner Anſicht nach noch gar nicht weit genug;