Sitzung vom 4. meiner Ueberzeugung nach handelt es ſich ſchon mehr um einen in Verweſung übergehenden Leichnam, der hier produziert wird. (Heiterkeit.) Man kann ja den guten Willen des Magiſtrats aner⸗ kennen, daß er verſucht und immer wieder verſucht, trotz der entgegenſtehenden Entſchlüſſe der Mehrheit etwas zu ſchaffen. Aber wo die Vorbedingungen ge⸗ nommen werden, wo tatſächlich der Kopf des Ganzen abgeſchnitten wird, da kann doch nichts anderes ent⸗ ſtehen, als das, was ich eben gekennzeichnet habe. Trotzdem hätte der Magiſtrat manches an der Vorlage mildern, manche Härte noch herausſtreichen können, die ſie offenſichtlich enthält und auf die auch ſchon der Herr Berichterſtatter hingewieſen hat. Meine Herren, wenn Sie wirklich einmal Sachverſtändige aus den Kreiſen der Arbeiter hören wollten, nicht vielleicht Angeſtellte oder Funktionäre der Berufs⸗ organiſationen, ſondern wirkliche, gewöhnliche Ar⸗ beiter, ſo würde Ihnen jeder einzelne ſagen, daß der⸗ jenige, der das Glück hat, alljährlich 48 Wochen ar⸗ beiten zu können, ganz gern auf die ſtädtiſche Arbeits⸗ loſenkaſſe von Charlottenburg verzichten würde. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Und gerade die Leute, die von der Unbill am härteſten getroffen werden, wollen Sie hier ausſchließen, gerade diejenigen, die es am nötigſten haben. (Stadtv. Dr Crüger: Das iſt richtig!) Die Ausführungen des Herrn Kollegen Rothholz haben meiner Ueberzeugung nach bewieſen, daß er ſich über die Bedeutung und Tragweite der Vorlage wie über verſchiedene andere Sachen durchaus nicht im klaren iſt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn ſich Herr Kollege Rothholz hier vor allen Din⸗ gen gegen den Vorwurf verwahrt, daß er und ſeine Parteifreunde den Gewerkſchaften feindlich gegenüber⸗ ſtehen, dann glaube ich das darauf zurückführen zu müſſen, daß ja jetzt auch aus dem Kreiſe derjenigen Berufsvereinigungen, die gewiß nicht in dem Geruche ſtehen, Anhänger der Sozialdemokratie zu ſein, nach⸗ drücklich gegen Ihr Vorgehen, meine Herren, Proteſt eingelegt wird. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie einmal die Reſolutionen leſen, die Ihnen vom Verein deutſcher Kaufleute, aus den Kreiſen der Handlungsgehilfen übermittelt werden, dann werden Sie ſich das dort enthaltene Urteil ſicher nicht an den Spiegel ſtecken. 4. ſagte der Kollege Rothholz, man ſolle in ſozialpolitiſchen Dingen keine Prognoſen ſtellen. Er mag damit Recht haben. Aber um das Beiſpiel, das er hier gewählt hat, ein klein wenig weiter auszu⸗ führen, will ich Ihnen ſagen, Herr Kollege Rothholz, daß ein Arzt, der einer ſozialen Krankheit — und die Arbeitsloſigkeit iſt zweifellos eine ſoziale Krank⸗ heit — mit Mitteln zu Leibe gehen will, von denen er wiſſen muß, daß ſie nichts taugen, frivol handelt. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dezember 1912 437 Und, meine Herren, nach dem, was bis jetzt in dieſer Frage an anderen Orten geleiſtet worden iſt, was vor allen Dingen auch in der Ihnen allen zugegangenen Denkſchrift niedergelegt iſt, die Herr Profeſſor Jaſtrow ausgearbeitet hat, da wiſſen Sie, wenn Sie leſen können, daß alles das, was bisher geleiſtet iſt und was dem hier Vorgeſchlagenen ähnelt, durchaus Verſuche mit untauglichen Mitteln ſind. Wenn Sie das aber nicht einſehen wollen, dann wird man mit Engelzungen reden können und wird Sie doch nicht von dem Gegenteil überzeugen. Als ich zum erſten Male zu der Vorlage Stel⸗ lung genommen habe und hier meine Meinung ſagen konnte, habe ich geglaubt, daß bei Ihnen wirklich ein warmes Herz für die von der Unbill der wirtſchaft⸗ lichen Konjunktur Betroffenen vorhanden ſei. Aber nach dem, was ich hier bei der Behandlung der Frage erfahren habe, muß ich Ihnen leider geſtehen, daß ich meine Meinung gründlich habe ändern müſſen, und wenn Sie dieſer Vorlage zuſtimmen, ſo kann ich nur das Eine ſagen: Sie wollen hier etwas ſchaffen, was wohl den Namen einer Arbeitsloſenverſicherung an ſich trägt, aber in Wirklichkeit in der Praris gar nichts bedeutet. Ich habe ſchon geſagt, daß ich mich dabei nicht nur auf Urteile und Erfahrungen meiner Parteifreunde und der Gewerkſchaften ſtütze, ſondern vor allen Dingen auch auf das, was die Berufsvereini⸗ gungen ſagen, die Ihnen, meine Herren, naheſtehen. Trotzdem aber für uns feſtſteht, daß Sie zurzeit nicht gewillt ſind, hier etwas Greifbares zu ſchaffen, trotz⸗ dem Sie durch Ihr Verhalten gegenüber der früheren Vorlage bewieſen haben, daß Sie alles das, was wirk⸗ lich Poſitives darin vorhanden war und Wert hatte, aus ihr herausgeſtrichen haben — der Magiſtrat hat das ja in ſeiner Vorlage extra betont —, trotzdem Sie alſo dieſe Haltung bewieſen haben, werden meine Freunde Ausſchußberatung beantragen, (Heiterkeit) um noch einmal zu verſuchen, bei Ihnen eine beſſere Ueberzeugung wachzurufen. Wir werden nach wie vor die Idee einer ſtädtiſchen Arbeitsloſenverſiche⸗ rungskaſſe, einer Arbeitsloſenunterſtützung nach dem Genter Prinzip hochhalten und werden ſo lange dafür eintreten, bis auch Sie ſchließlich zu dieſem Prinzip, das, wie ſich überall erwieſen hat, das einzig richtige, vorteilhafte und wirklich durchgreifende iſt, ſich be⸗ kennen werden, und wenn darüber auch Jahre hin⸗ gehen ſollten. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr. Crüger: Meine Herren! Namens des Teiles meiner politiſchen Freunde, die der Vor⸗ lage noch weit ſkeptiſcher gegenüberſtehen als der Herr Berichterſtatter, kann ich die Verſicherung ab⸗ geben: wir werden von den Herren der ſozialdemo⸗ kratiſchen Fraktion nicht das Opfer verlangen, die Sache noch in einem Ausſchuſſe durchzuberaten. Des⸗ halb hätte es für mich nicht der „Engelzungen“ des Herrn Kollegen Richter bedurft, um mich davon zu überzeugen, daß es am beſten iſt, dieſe Vorlage ſo, wie ſie da iſt, abzulehnen, zumal ſie nach den Aus⸗ führungen des Herrn Berichterſtatters auch nicht dazu angetan iſt, uns mit großer Hoffnungsfreudigkeit hier an dieſes Werk herantreten zu laſſen. Wenn nun allerdings der Herr Kollege Richter von einem Arzte geſprochen hat, der frivol iſt, weil er Mittel verordnet, von denen er von vornherein weiß, daß ſie nicht