Sitzung vom 4. Dezember 1912 ſeine von der Verſammlung angenommenen Anträge nicht berückſichtigt hätten. — Herr Dr Stadthagen, damit Sie uns nicht wieder Vorwürfe machen, würde ich Sie ſehr bitten, mir einen Augenblick zuzuhören. — Der eine Antrag ging dahin, daß der Magiſtrat ſich mit auswärtigen Gemeinden wegen Beſchäftigung Arbeitsloſer in Verbindung ſetzen ſollte. So viel mir erinnerlich iſt, habe ich ſchon damals darauf auf⸗ merkſam gemacht, daß der Magiſtrat das längſt getan, daß er im Verbande märkiſcher Arbeitsnachweiſe dieſe Verbindung hergeſtellt hat, daß der Verband märki⸗ ſcher Arbeitsnachweiſe wieder über ſeine Grenzen hinaus mit den anderen Arbeitsnachweisverbänden in Verbindung ſteht, und daß wir teilweiſe auch ſchon eine interlokale Vermittlung haben durchführen können. Es iſt ferner Herrn Dr. Stadthagen nicht ganz unbekannt, daß wir zu Zeiten großer Arbeits⸗ loſigkeit einzelne unſerer Arbeitsloſen z. B. in das Arbeitsgebiet des Vereins für ſoziale innere Koloni⸗ ſation ſchicken. Der Magiſtrat alſo iſt in dieſer Be⸗ ziehung den Wünſchen der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung nicht nur gefolgt, ſondern bereits voran⸗ gegangen. Das andere war, daß wir beim Städtetag den Antrag ſtellen ſollten, es ſolle auf geſetzgeberiſchem Wege das Recht für die Städte herbeigeführt werden, ihrerſeits die zwangsweiſe Arbeitsloſenverſicherung einführen zu können. Auch hier ſollte Herrn Dr Stadthagen eigentlich bekannt ſein, daß der letzte deutſche Städtetag eine Reſolution in dieſem Sinne angenommen hat, und daß ich mir auch die Freiheit nahm, in den Verhandlungen dazu einiges zu be⸗ merken, was darauf hinweiſen ſollte, daß den Städten dieſe Vollmacht gan z gegeben würde, daß ſie dabei alſo nicht von oberen Regierungsbehörden bevor⸗ mundet würden. Ich glaube alſo, daß der Magiſtrat auch in dieſer Beziehung die Wünſche der Verſamm⸗ lung durchaus erfüllt hat. Ich komme zum Schluß. In der ganzen Vor⸗ lage iſt nichts enthalten, was die Gewerkſchaften an ſich beſſer ſtellt als andere Organiſationen oder Pri⸗ vate, die eine Geſamtverſicherung bei unſerer Kaſſe nehmen wollen. Es iſt nur mit Rückſicht auf die ſchon vorhandene Selbſthilfe in den Organiſationen die Möglichkeit gegeben, dieſe Selbſthilfe durch eine Zuſatzverſicherung zu ergänzen. Im übrigen, das betone ich nochmals, enthält die Vorlage nichts, was dieſe Verſammlung durch ihr Votum vom 22. Mai nicht bereits gebilligt hätte. Wenn Sie heute alle durch dieſes Votum, wie ich glaubte, für uns ent⸗ ſchiedenen Fragen noch einmal aufrollen, dann be⸗ daure ich außerordentlich, daß ſo langwierige Ver⸗ handlungen darin nicht zu einer Einigung haben führen können. Im allgemeinen aber bin ich immer der Anſicht geweſen: wenn eine gemiſchte Deputation eine Frage erwogen und hierüber Beſchlüſſe gefaßt hat, dann i ſt für eine etwaige Ergebnis⸗ loſigkeit der Arbeit nicht derjenige l verantwortlich, der ſich den Be⸗ üſſen der gemiſchten Deputation chließt, wie es der Magiſtrat vor⸗ altlos getan hat, ſondern der er (Bravo!) Stadtv. Wöllmer: Meine Herren! Geſtatten Sie mir, mit einigen Worten für die Annahme der Vorlage zu ſprechen. Es iſt nach dem Verlauf der Debatte wohl nicht mehr am Platze, auf Einzelheiten einzugehen, ſondern es kann ſich für mich nur darum 443 handeln, einige große Geſichtspunkte hervorzuheben. Ich bin zu meinem Bedauern nicht der Anſicht meines Freundes Prof. Dr Crüger und möchte mir erlauben, mit einigen Worten den Standpunkt des Herrn Be⸗ richterſtatters und meines Kollegen Dr Rothholz zu unterſtützen. 71 4 Herr Profeſſor Dr Crüger hat hauptſächlich zwei große Bedenken gegen die Vorlage, einmal das Be⸗ denken, daß es ſich in Wirklichkeit hier nicht um eine Arbeitsloſenverſicherung, ſondern lediglich um eine Subvention der Stadt Charlottenburg zugunſten der Arbeitsloſenverſicherung handelt. Die Subvention ſei außerdem ein ſo kleines Mittelchen. Man ſolle an dieſes Problem eigentlich nur in Gemeinſchaft mit den übrigen Vororten und mit Berlin ſelbſt heran⸗ treten. Das, was Herr Prof. Dr Crüger hervor⸗ gehoben und der Vorlage zum Vorwurf gemacht hat, iſt ja in gewiſſem Sinne richtig. Es handelt ſich auch nach meiner Auffaſſung juriſtiſch nicht um eine Ar⸗ beitsloſenverſicherung, ſondern in der Tat um eine Art Subvention; aber das iſt ja auch der urſprüng⸗ liche Charakter der Magiſtratsvorlage geweſen. Ur⸗ ſprünglich hatte die Vorlage die Ueberſchrift: Bereit⸗ ſtellung von Mitteln zur Förderung von Arbeits⸗ loſenverſicherungen; das war der urſprüngliche Cha⸗ rakter der Magiſtratsvorlage. Im Laufe der Zeit iſt er vollſtändig verwiſcht worden, die Vorlage hat jetzt einen ganz anderen ſozialpolitiſchen Charakter erhalten und iſt im weſentlichen zu einer ſtädtiſchen Arbeitsloſenverſicherungskaſſe geworden, in die nun die Zuſatzverſicherung — nicht nur zugunſten der Ge⸗ werkſchaften, ſondern, wie wir ja auch an den Peti⸗ tionen ſehen, auch zugunſten von anderen Berufs⸗ vereinigungen, alſo hier in dieſem Falle einer kauf⸗ männiſchen Berufsvereinigung — hineingearbeitet worden iſt. Meine Herren, in der Tat ſollte die Vorlage urſprünglich — und ich faſſe ſie auch heute noch ſo auf — den Zweck haben, die Arbeitsloſenverſicherung, die auf Selbſthilfe und Selbſtverwaltung beruht, weiter zu fördern. In dieſem Sinne lag und liegt auch heute noch in der Vorlage des Magiſtrats und der gemiſchten Depu⸗ tation eine erzieheriſche Tendenz, nämlich die Ar⸗ beiter anzuregen, dieſen Weg weiter zu beſchreiten und durch Selbſthilfe und Selbſtverwaltung neue Organiſationen zu ſchaffen, in denen ebenfalls die Mitglieder gegen Arbeitsloſigkeit verſichert werden. Ich kann daher die Bedenken meines Freundes Prof. Dr Crüger in dieſer Hinſicht nicht teilen und auch ſeine Anſicht nicht zu der meinigen machen, daß es ſich hier lediglich um ein kleines Mittel handele. Da wir in abſehbarer Zeit nicht daran denken können, daß Groß⸗Berlin dieſes Problem löſen wird, ſo bleibt unſerer Anſicht nach, wenn wir dieſen Weg gehen wollen, nichts weiter übrig, als die Magiſtrats⸗ vorlage anzunehmen. Das zweite, mehr grundſätzliche Bedenken meines verehrten Freundes Prof. Dr Crüger ging dahin, daß ſeiner Anſicht nach die freien Gewerk⸗ ſchaften für die Subvention ungeeignet ſind, weil ſie politiſche Organiſationen ſeien, bzw. weil ſie, wenn auch nicht offen ausgeſprochen, ſo doch immerhin im Dienſte der ſozialdemokratiſchen Partei ſtänden. Das iſt auch nach meiner Anſicht vollkommen richtig; in der Tat ſtehen die Gewerkſchaften zum mindeſten im Dienſte der ſozialdemokratiſchen Partei. Nun meint Herr Prof. Dr Crüger, daß durch die Aufnahme der Zuſatzverſicherung in die Magiſtratsvorlage den freien Gewerkſchaften als politiſchen Organiſationen