444 in gewiſſem Sinne eine Entlaſtung zuteil wird. Auch das mag ſein. Aber, meine Herren, bedenken Sie, daß dieſer Entlaſtung gleichzeitig auch eine weitere Belaſtung der Gewerkſchaften entſpricht, die, wenn das Syſtem entwickelt wird, immer mehr Arbeiter zu freiwilligen Beiträgen anregen müſſen, und daß auch weitere Organiſationen, die bis jetzt eine Arbeits⸗ loſenverſicherung nicht haben, eine ſolche einrichten, wenn ſie ſicher ſind, daß ſie in irgendeiner Form durch ſtädtiſche Hilfe gefördert werden. Meine Herren, Herr Prof. Jaſtrow hat, woran ich Herrn Prof. Crüger erinnern möchte, in der Denk⸗ ſchrift darauf aufmerkſam gemacht, daß, wenn man ſolche Zuſchüſſe an die freien Gewerkſchaften als eine Entlaſtung dieſer Korporationen kennzeichnen wollte, dies in gewiſſem Sinne von jeder ſozialen Einrich⸗ tung geſagt werden kann; denn nach manchen Rich⸗ tungen hin werden die Gewerkſchaften durch ſtaat⸗ liche oder ſtädtiſche Einrichtungen von ihrer Ver⸗ pflichtung, für ihre Mitglieder auf dieſem oder jenem Gebiet zu ſorgen, entbunden oder es wird ihnen in gewiſſem Umfange die Aufgabe erleichtert. Alſo auch das könnte man anführen. Meine Herren, ich perſönlich bin an dieſe Vor⸗ lage ſtets mit der Abſicht herangegangen, etwas Prak⸗ tiſches zu leiſten, und darin ſtimme ich den Aus⸗ führungen des Herrn Stadtrats Spiegel und auch anderer Herren vollkommen zu. Es iſt nun mal die Erfahrung hat es gelehrt — auf dieſem Gebiete nie etwas ohne Mithilfe der Berufsvereinigungen geleiſtet worden, und den größten Teil der Berufs⸗ vereinigungen bilden allerdings die Gewerkſchaften. Meine Herren, es kommt auch noch hinzu ich will aber nicht auf Einzelheiten eingehen —, daß, wenn Sie den Antrag meines Freundes Prof. Dr Crüger annehmen und die Artikel 9 bis 14, d. h. alſo auch die Geſamtverſicherung, ſtreichen, dann der ſtädtiſchen Arbeitsloſenverſicherungskaſſe ein gün⸗ ſtiges Moment fehlt, das ihr ſelbſt zugute kommt, nämlich die Zuführung verhältnismäßig günſtiger Riſiken, ſo daß ſie nicht nur auf die ungünſtigen Riſiken angewieſen iſt. Das nur nebenbei vom ver⸗ ſicherungstechniſchen Standpunkt aus. Meine Herren, meine grundſätzliche Stellung, wenn ich zum Schluß darauf hinweiſen darf, zur ſtädtiſchen Arbeitsloſenverſicherung iſt die, daß ich mich als Gegner jeder Zwangsverſicherung bekenne. Ich bin der feſten Ueberzeugung, daß die Verſiche⸗ rungspolitik einen falſchen Weg geht, wenn ſie die Arbeitsloſenverſicherung zur Zwangsverſicherung macht, ich bin ferner der Anficht, daß dieſe Verſicherung nicht Gegenſtand einer ſtaatlichen Verfcherung ſein ſollte, ſondern immer in der Hand der Arbeiter ſelbſt bleiben muß, d. h., daß das Problein nur durch Selbſthilfe und durch Selbſtverwaltung gelöſt wer⸗ den kann und auch nur gelöſt werden darf. Daher betrachte ich dieſe ganze Frage nicht als ein ſtaat⸗ liches, ſondern als ein ſpezifiſch kommunales Problem. Die Stadt hat nicht nur ein Intereſſe daran, für Be⸗ ſchäftigung der Arbeiter zu ſorgen, ſondern auch ge⸗ wiſſe Einrichtungen zu unterſtützen, durch die die Folgen der Arbeitsloſigkeit gemildert werden. Es iſt dann noch ein gewiſſer Unterſchied in der Auffaſſung über die Bedeutung des Artikels 12 zwiſchen Herrn Kollegen Rothholz und Herrn Stadt⸗ rat Spiegel hervorgetreten. Herr Kollege Dr Roth⸗ holz war der Anſicht, dieſer Artikel ſei ſo gemeint, daß auch jeder einzelne Arbeiter für ſich dieſer Kaſſe beitreten und eine Zuſatzverſicherung nehmen könne, Sitzung vom 4. Dezember 1912 obwohl er bei ſeiner Gewerkſchaft verſichert iſt. Herr Stadtrat Spiegel widerſprach dieſer Auffaſſung, und ich gebe ihm darin Recht. Ich habe ebenfalls die Auffaſſung gehabt, daß das nach dem Wortlaut nicht möglich iſt, ſondern daß nur die Gewerkſchaften als olche Zuſatzverſicherungen nehmen können. Ich würde, wenn dadurch die Vorlage gerettet werden könnte, für Annahme eines Amendements dahin⸗ gehend ſein, daß auch jedem einzelnen Arbeiter, auch wenn er bereits einer anderen Organiſation beige⸗ treten oder eine Arbeitsloſenverſicherung eingegangen iſt, geſtattet ſein ſoll, nach Artikel 12 eine Zuſatz⸗ verſicherung zu nehmen. Die redaktionelle Formu⸗ lierung kann ich im Augenblick allerdings nicht zur Verfügung ſtellen. Schließlich, meine Herren, möchte ich davor warnen, daß wir die Vorlage noch in einen Ausſchuß ſchicken. Wir haben jahrelang, kann man wohl ſagen, wiederholt umfangreiche Debatten in dieſem Hauſe und in Ausſchüſſen über dieſe Angelegenheit gehabt; es kommt nichts dabei heraus. Es werden vielleicht neue Widerſprüche kommen und neue Gedanken auf⸗ tauchen, die nachher auch wieder nicht den Beifall der Verſammlung finden. Meiner Anſicht nach iſt ſich jeder darüber klar, was er will, wie weit er zu gehen beabſichtigt. Es kommt doch wirklich nicht darauf an, daß alle einzelnen Artikel immer ſo ab⸗ gefaßt ſind, daß ſie alle den Beifall derjenigen finden, die der ganzen Vorlage zuſtimmen wollen. Sie wird ja doch nur der Anfang einer Entwicklung ſein und über kurz oder lang wieder ergänzt werden müſſen. Ich bitte deshalb, von einer Ausſchußbera⸗ tung abzuſehen, von der ich von meinem Standpunkt aus nichts anderes als das Schlimmſte erwarten kann, daß nämlich die Vorlage im Ausſchuß ihr Begräbnis finden wird. Vorſteher Kaufmann: Ich möchte Herrn Kolle⸗ gen Wöllmer bitten, doch das Amendement, das er einbringen will, beſtimmt formuliert hierher zu geben, da ich ſonſt bei der Abſtimmung nicht darauf Rückſicht nehmen kann. Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, zunächſt eine kurze perſönliche Bemerkung. Herr Kollege Rothholz, glaube ich, war es, der darauf hinwies, daß in der letzten Sitzung der gemiſchten Deputation, die ſich mit dieſem Thema beſchäftigte, Mitglieder meiner Partei nicht vertreten waren. Er glaubte daraus den Schluß ziehen zu können, daß die Sozialdemo⸗ kraten dieſe Angelegenheit dilatoriſch behandeln wollten. Nun, eins der Mitglieder, die die Sünde begangen haben, in dieſer Deputationsſitzung zu fehlen, bin ich geweſen. Die Deputationsfitzung fand am 16. September ſtatt, alſo in der Zeit des ſozial⸗ demokratiſchen Parteitages, und das war wohl der Grund, der Herrn Kollegen Zietſch verhindert hat, an der Sitzung teilzunehmen. Ich hatte für dieſe Zeit Urlaub angemeldet, da ich während des Monats September beruflich außerhalb Charlottenburgs zu tun hatte. Ich habe bei anderen Gelegenheiten öfter die Erfahrung machen müſſen, daß ſchon anberaumte Sitzungen wieder aufgehoben wurden, wenn einige Herren, auf deren Mitwirkung man Wert legte, ver⸗ hindert waren und das angezeigt hatten. Ich könnte alſo vielleicht umgekehrt wie der Kollege Rothholz aus dem Umſtande, daß diesmal keine Verlegung der Sitzung beliebt wurde, den Schluß ziehen — zum mindeſten, wenn ich boshaft wäre —, daß man auf