Sitzung vom 17. Wir hatten ja in erſter Linie beantragt, die Vorlage einem Ausſchuß zu überweiſen, und nur für den Fall, daß die Ausſchußberatung abgelehnt wird, hatten wir eine zweite Leſung gefordert, und zwar haben wir das getan, um für den Fall der Annahme der Vor⸗ lage in der Lage zu ſein, ſie zu kommentieren, um wenigſtens das Schlimmſte abzuwenden. Meine Herren, Sie ſehen aus den Ihnen zuge⸗ gangenen Anträgen, die nachher Herr Kollege Bor⸗ chardt begründen wird, daß wir uns große Mühe gegeben haben, obwohl wir grundſätzlich gegen die Arbeitsloſenkaſſe ſind, doch die Kaſſe ſo zu geſtalten, daß wenigſtens etwas Erſprießliches aus ihr heraus⸗ kommt. An Ihnen wird es ja ſein, ob Sie unſeren Anträgen zuſtimmen oder nicht. Man könnte uns nun einen Vorwurf daraus machen, daß wir die Anträge, die wir Ihnen heute überreicht haben, nicht bereits vor Monaten geſtellt haben, als uns die erſte Vorlage des Magiſtrats be⸗ ſchäftigte. Wer das ſagt, der überſieht, daß in der erſten Vorlage des Magiſtrats die Arbeitsloſenkaſſe nur als Zuſchußkaſſe gedacht war, während heute lediglich eine Arbeitsloſenkaſſe von den ſtädtiſchen Behörden beſchloſſen werden ſoll. Damals haben wir uns geſagt, daß die Arbeitsloſenkaſſe etwas ſo Neben⸗ ſächliches iſt, daß es nicht darauf ankommt, ob da ein paar Schönheitsfehler drin bleiben oder nicht. Heute aber, wo Sie lediglich eine Arbeitsloſenkaſſe be⸗ ſchließen wollen, müſſen wir alles daran ſetzen, die Kaſſe ſo zu geſtalten, daß ſie wenigſtens lebenskräftig iſt. Das bezwecken wir durch unſere Anträge. Meine Herren, daß die Arbeitsloſenkaſſe ſo, wie ſie vom Magiſtrat beantragt iſt, in der Praris nicht eriſtenzfähig iſt, das iſt ja ſelbſt von Ihrer Seite zu⸗ gegeben worden. Herr Kollege Dr Crüger, der aus anderen Gründen Gegner der Vorlage iſt, hat aus⸗ drücklich darauf hingewieſen, daß der Arbeitsloſenkaſſe jede verſicherungstechniſche Grundlage fehle. Ganz unſere Meinung! Das iſt einer der Gründe, warum wir gegen die Magiſtratsvorlage ſind. Ein zweiter Grund iſt der, daß man die Unter⸗ ſtützung der Gewerkſchaften geſtrichen hat. Der Ma⸗ giſtrat ſteht ja eigentlich auf unſerem Standpunkte: denn in der Begründung ſeiner Vorlage ſagt er aus⸗ drücklich: Wir vermögen es nicht als richtig anzuer⸗ kennen, daß verſchiedene Arten der eigenen Fürſorge durch ſtädtiſche Mittel unterſtützt werden ſollen, gerade die bisher erfolgreichſte aber von einer ſolchen Unterſtützung ausge⸗ ſchloſſen ſein ſoll. Alſo der Magiſtrat gibt zu, daß die erfolgreichſte Unterſtützung, die gewerkſchaftliche Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung, auszuſchließen nicht richtig iſt. Trotzdem unterbreitet er uns eine ſolche Vorlage. Wir ſind da eben konſequenter als der Magiſtrat; wir ſagen: wenn die gewerkſchaftliche Unterſtützung ausgeſchloſſen bleibt, dann hat die Kaſſe, die hier geſchaffen werden ſoll, überhaupt keinen Wert mehr. 7 Meine Herren, mit dieſer Anſicht ſtehen wir nicht allein. Wir befinden uns da in Uebereinſtimmung mit Herrn Profeſſor Jaſtrow, auf deſſen Ausfüh⸗ rungen der Herr Berichterſtatter in der vorigen Sitzung hingewieſen hat. Der Herr Berichterſtatter hat deutlich durchblicken laſſen, daß er, obwohl er ſchließlich die Annahme der Vorlage empfahl, es doch im Grunde genommen als einen ſchweren Fehler empfindet, daß die gewerkſchaftliche Unterſtützung aus⸗ geſchaltet iſt. * Dezember 1912 469 Meine Herren, es iſt alſo durchaus nicht wunder⸗ bar, daß wir dieſe Haltung einnehmen, ſondern wir folgen damit lediglich den Anſchauungen, die ſtets von unſerer Seite und auch von gewerkſchaftlicher Seite vertreten worden ſind. Ich möchte Sie da an die Reſolution erinnern, die dem internationalen Kongreß für Arbeitsloſenverſicherung in Paris von der Generalkommiſſion der deutſchen Gewerkſchaften überreicht worden iſt. Dieſe Reſolution dürfte viel⸗ leicht den Herren nicht ganz bekannt ſein, da Sie ſich bei Ihrer Abneigung gegen die Gewerkſchaften nicht mit der gewerkſchaftlichen Literatur zu beſchäftigen pflegen. In dieſer Reſolution nimmt die General⸗ kommiſſion der deutſchen Gewerkſchaften ausdrücklich zu den Zuſchußkaſſen Stellung, und zwar ganz in Uebereinſtimmung mit dem Standpunkt, den wir vertreten haben. Sie will die Zuſchußkaſſen als Er⸗ gänzung des Genter Syſtems gelten laſſen; ſie wendet ſich aber dagegen, daß man Zuſchußkaſſen ohne jede gewerkſchaftliche Unterſtützung einrichtet. Der Herr Vorſteher geſtattet mir wohl, die Reſolution zu ver⸗ leſen. Es heißt darin: Sollten indes aus dem Umſtande, daß der unorganiſierte Teil der Arbeiterſchaft an den öffentlichen Zuwendungen für Arbeitsloſen⸗ verſicherung keinen Anteil haben würde, ernſte Hinderniſſe für die Einführung des Genter Syſtems erwachſen, ſo würden die Gewerk⸗ ſchaften an der Errichtung kommunaler frei⸗ williger Arbeitsloſenkaſſen für Unorganiſierte und gewerkſchaftlich Unverſicherte keinen An⸗ ſtoß nehmen. Sie würden im Gegenteil der⸗ artige gemeindliche Arbeitsloſigkeitskaſſen der Gewährung von Zuſchüſſen an Sparvereine und Einzelſparer und der unterſchiedloſen Gewährung von Unterſtützungen an alle Ar⸗ beitsloſen ohne jeden Nachweis freiwilliger Selbſtverſicherung vorziehen, da das Spar⸗ ſyſtem ein ausſichtsloſer Kampf gegen die Fol⸗ gen der Arbeitsloſigkeit iſt und die öffentliche Unterſtützung ohne Beitragspflicht des Ar⸗ beiters jener Erziehung zur Solidarität ent⸗ behrt, welche als die erſte Vorausſetzung einer wirkungsvollen Arbeitsloſenverſicherung er⸗ achtet werden muß. An der mangelnden Für⸗ ſorge für unorganiſierte oder unverſichert or⸗ ganiſierte Arbeiter wird die deutſche Arbeiter⸗ ſchaft eine Aufgabe von ſo ernſter Bedeutung und großer Tragweite, wie es die öffentliche Arbeitsloſenverſicherung iſt, nicht ſcheitern laſſen. Sie wird ſich mit der Errichtung kom⸗ munaler Erſatzkaſſen, für die auch die Arbeit⸗ geber zu Beiträgen herangezogen werden könn⸗ ten, abzufinden wiſſen. Alſo nur von kommunalen Erſatzk aſſen iſt in dieſer Reſolution die Rede, nicht aber von kom⸗ munalen Arbeitsloſenkaſſen, wie ſie hier, losgelöſt von jeder gewerkſchaftlichen Unterſtützung, eingeführt werden ſoll. Meine Herren, das iſt, wie geſagt, der Stand⸗ punkt, auf dem auch wir heute noch ſtehen. Wir ſind überzeugt, daß die Kaſſe, die von Ihnen ge⸗ ſchaffen werden ſoll, nicht lebensfähig iſt. Dasſelbe Gefühl ſcheint ja auch der einzige Herr aus der Ver⸗ ſammlung, der die Magiſtratsvorlage befürwortet, Herr Kollege Dr Rothholz, gehabt zu haben; denn ſonſt wüßte ich nicht, wie er zu der Forderung kommt, der Magiſtrat ſolle auf die ſtädtiſchen Arbeiter einen Druck dahin ausüben, der Kaſſe beizutreten. Das hat doch eine verzweifelte Aehnlichkeit mit dem Ter⸗