470 rorismus, von dem Sie immer reden. Was heißt es denn: der Magiſtrat ſoll auf die ſtädtiſchen Ar⸗ beiter einen Druck ausüben? Wir wiſſen ja, was unter einem ſolchen Druck zu verſtehen iſt. Wenn der Magiſtrat verlangt, daß die ſtädtiſchen Arbeiter bei⸗ treten ſollen, dann werden ſie eben glauben, daß ſie beitreten müſſen, oder ſie fürchten, ſonſt aus der Arbeit entlaſſen zu werden. Ich möchte deswegen namens meiner Freunde dagegen Proteſt erheben, daß man überhaupt derar⸗ tige Aeußerungen hier laut werden läßt, und ich hoffe, daß, falls die Vorlage angenommen wird, der Magiſtrat ſo vernünftig ſein und keinen Druck auf die ſtädtiſchen Arbeiter ausüben wird, damit ihm auch nicht entfernt der Vorwurf gemacht werden kann, daß er das Abhängigkeitsverhältnis ſeiner Angeſtellten mißbrauche. Man will eben die Kaſſe auf alle Weiſe lebensfähig erhalten, und zu dieſem Zweck ſollen Zwangsmitglieder geſchaffen werden. Anders iſt die Aeußerung des Herrn Kolbegen Rothholz nicht zu verſtehen. Wenn Herr Kollege Rothholz darauf hinweiſt, daß im Reich die Arbeiter auch gezwungen ſind, der Verſicherung beizutreten, ſo iſt das doch etwas an⸗ deres. Im Reich haben wir Geſetze, denen jeder ein⸗ zelne unterworfen iſt; dem Geſetze kann man ſich gar nicht entziehen. Hier aber ſoll etwas Freiwilli⸗ ges geſchaffen werden. Wenn etwas Freiwilliges ge⸗ ſchaffen wird, müſſen Sie es jedem, auch den ſtädti⸗ ſchen Arbeitern, freiſtellen, ob ſie der Kaſſe beitreten wollen oder nicht. Meine Herren, ich wende mich dann zu einem anderen Punkte. Aus den Reden faſt aller Herren, die in der vorigen Sitzung geſprochen haben, ſowohl der Gegner als der Befürworter, mit Ausnahme des Vertreters des Magiſtrats, ſprach eine ſtarke Abnei⸗ gung gegen die Gewerkſchaften, und dieſer Abneigung haben Sie ja auch Ausdruck gegeben, als Sie die erſte Vorlage des Magiſtrats ſo verſtümmelt haben, daß ſchließlich nichts Gutes mehr an ihr geblieben iſt. Am offenſten hat ſich in der vorigen Sitzung Herr Kollege Dr Crüger ausgeſprochen, der rund her⸗ aus erklärte, daß er in der Arbeitsloſenverſicherung auf gewerkſchaftlicher Grundlage eine Gefahr er⸗ blicke. Weniger offen waren die Herren Kollegen Wöllmer und Dr. Rothholz; aber auch ſie haben ja noch reichlich Vorwürfe gegen die Gewerkſchaften er⸗ hoben und eine Reihe von durchaus falſchen Behaup⸗ tungen aufgeſtellt. Herr Kollege Dr Rothholz ſprach davon, daß die Gewerkſchaften der ſozialdemokrati⸗ ſchen Partei angehören, und ganz ähnlich hat ſich Herr Kollege Wöllmer geäußert; ja, er ging ſogar noch weiter und meinte, die Gewerkſchaften ſtänden im Dienſte der ſozialdemokratiſchen Partei. Wir haben ſchon durch Zurufe zu verſtehen gegeben, daß die Herren, die derartige Behauptungen aufſtellen, von den wirklichen Verhältniſſen auch nicht die ge⸗ ringſte Ahnung haben. Das möchte ich Ihnen be⸗ weiſen. Gewiß iſt es richtig, was mir in der vorigen Sitzung vorgehalten worden iſt, daß ich einmal ge⸗ ſagt hätte, die Gewerkſchaften ſeien Kampfesorgani⸗ ſationen. Das ſind ſie. Ich würde eine gewerkſchaft⸗ liche Organiſation bedauern, die nicht eine Kampfes⸗ organiſation iſt; denn nur durch die gewerkſchaftlichen Kämpfe ſind ja die Gewerkſchaften imſtande, etwas für die Beſſerung der Lebenshaltung der Arbeiter zu tun. Inſofern ſind alle Gewerkſchaften mit Aus⸗ nahme der Gelben, die ich nicht zu den Gewerkſchaften rechne, und zwar ſowohl die freien, wie die Hirſch⸗ Sitzung vom 17 Dezember 1912 Dunckerſchen und die chriſtlichen Gewerkſchaften, Kampfesorganiſationen, und die Gewerkſchaften können auf dieſen Titel ſtolg ſein. Aber, meine Herren, etwas ganz anderes iſt es, die Gewerkſchaften als politiſche Gebilde zu bezeich⸗ nen, noch dazu als Anhängſel der ſozialdemokrati⸗ ſchen Partei oder als Organiſationen, die im Dienſte der ſozialdemokratiſchen Partei ſtehen. Es iſt ja eine ſeltſame Uebereinſtimmung, der wir bei den Herren Kollegen Rothholz, Stadthagen, Crüger und Wöllmer in dieſer Beziehung begegnen. Aber da⸗ durch, daß vier Herren hintereinander etwas Grund⸗ falſches behaupten, wird das Falſche noch nicht wahr, und wenn Sie es noch ſo häufig hinauspoſaunen. Sie müſſen zum mindeſten doch wohl verſuchen, den Beweis für Ihre Behauptungen anzutreten. Dazu werden Sie aber nicht imſtande ſein; im Gegenteil, die vier Herren haben höchſtens bewieſen, daß Sie das Weſen der Gewerkſchaften nicht kennen. Von allen Herren, die ſich gegen die Gewerkſchaften ge⸗ wandt haben, hat ja nur ein einziger, nämlich Herr Dr Crüger, wenigſtens verſucht, Beweiſe für ſeine Anſchauung zu erbringen; die anderen Herren haben nicht einmal das für nötig gehalten. Sie denken wahrſcheinlich, daß Ihr Anſehen ſo groß iſt, daß, mie5. Sie etwas behaupten, es ahne weiteres geglaubt wir Wie ſteht es aber nun mit den Beweiſen des Herrn Dr Crüger? Herr Kollege Crüger hat ſich zu⸗ nächſt auf den verſtorbenen Reichstagsabgeordneten Bömelburg bezogen, der auf einem Gewerkſchaftskon⸗ greß das Wort geprägt hat: Partei und Gewerk⸗ ſchaften ſind eins. Gewiß, dieſes Wort hat Bömel⸗ burg geſagt; aber ich möchte Sie bitten, einmal den Zuſammenhang nachzuleſen. Bömelburg hat aus⸗ drücklich erklärt, wie das Wort zu verſtehen iſt, und hat gar keinen Zweifel darüber gelaſſen, daß er es ſo auffaßt, daß es zwiſchen Partei und Gewerk⸗ ſchaftsbewegung keine Trennung geben darf, daß beide ſich ergänzen müſſen. (Zurufe: Na alſo!) — Daß beide ſich ergänzen müſſen, heißt doch nicht, daß ſie eins ſind, daß die Gewerkſchaften im Dienſte der ſozialdemokratiſchen Partei ſtehen. Stellen Sie ſich doch durch ſolche Zurufe nicht das Zeugnis man⸗ gelnder Logik aus. Das, was Bömelburg geſagt hat, iſt etwas ganz anderes, als was ihm in den Mund gelegt wird. Genau ſo verhält es ſich mit der hier zitierten Aeußerung von Bebel über die Neutralität der Ge⸗ werkſchaften. Herr Kollege Dr Crüger meinte, daß der frühere Reichstagsabgeordnete v. Elm unter Be⸗ zug auf dieſe Aeußerung von Bebel geſagt hat: Daß Neutralität ein Schlagwort iſt, folgt ſchon daraus, daß kein geringerer als Bebel für dieſe Neutralität eintritt. Meine Herren, Sie operieren hier auch mit einem uralten Ladenhüter, und ich hätte wirklich ge⸗ dacht, daß Sie in den mehr als 12 Jahren, die ver⸗ floſſen ſind, ſeitdem dieſes Schlagwort in die Maſſen geworfen worden iſt, wenigſtens etwas auf gewerk⸗ ſchaftlichem Gebiete zugelernt hätten; aber es ſcheint, daß das nicht der Fall iſt. Was hier in der vorigen Sitzung geſagt iſt, das iſt gegen Bebel ſchon geſagt worden, unmittelbar nachdem er ſeine bekannte Rede über Gewerkſchaftsbewegung und politiſche Parteien gehalten hatte. Das iſt eine Rede, die von vielen mißverſtanden worden iſt. Bebel hat ſich deswegen