Sitzung vom 17. genötigt geſehen, ſie als Broſchüre herauszugeben, und in dem Vorwort zu der Broſchüre äußert er ſich dar⸗ über, wie er die Gewerkſchaftsbewegung auffaßt. Er ſagt da: Dann wollte ich zeigen, welche Aufgaben der Gewerkſchaft zufallen, was ſie erfüllen könnte, was nicht, und daß ſie, um ihre Aufgaben er⸗ füllen zu können, die möglichſt größte Zahl der Gewerksgenoſſen, am beſten alle, in ſich auf⸗ nehmen müſſe, was ihr nur möglich iſt, wenn ſie von eigentlicher Parteipolitik ſich fernhalte, ſich nicht als An hängſel irgend einer politiſchen Partei betrachte. Alſo genau das Gegenteil von dem, was Sie in der vorigen Sitzung behauptet haben. Bebel fügt hinzu: Aber Parteimann ſollte auch der Ge⸗ werkſchaftler ſein, nicht als Gewerkſchaftler, ſondern als klaſſenbewußter Ar⸗ beiter, der Glied eines Staats⸗ und Ge⸗ ſellſchaftsweſens iſt, das ihn als Arbeiter be⸗ handelt und mißhandelt. (Zurufe und Heiterkeit.) — Meine Herren, tun Sie nicht ſo, als ob Sie das nicht verſtehen; Sie verſtehen es ſehr gut. (Zuruf: Ja, wir verſtehen es ſehr gut!) Bebel hat der Broſchüre auch ein Nachwort ange⸗ hängt, wo er ſich noch einmal zu dieſer Frage äußert. Wahrſcheinlich werden Sie auch darüber lachen. Er ſagt hier noch deutlicher: Welcher Partei er — nämlich der Arbeiter — ſich anſchließen will, iſt Sache ſeiner Ueber⸗ zeugung, denn hat die Gewerkſchaft kein Recht, ihn nach ſeiner politiſchen Ueberzeugung zu fra⸗ gen, ſo hat ſie auch kein Recht, ihm Vorſchrif⸗ ten zu machen, zu welcher Partei er außer⸗ halb der Gewerkſchaft gehören ſoll. Verſtehen die Gewerkſchaften, dieſes Maß von Toleranz nach beiden Seiten hin zu betätigen, ſo wird ihre Zukunft ein erfreuliche und gedeihliche ſein. Meine Herren, immer wieder das Gegenteil von dem, was Sie behaupten, immer wieder das Gegenteil von der Auffaſſung über das Weſen der Gewerkſchafts⸗ bewegung, die hier im Saale und vielfach draußen in der Agitation zutage tritt. Gewiß wünſchen wir, daß die ſozialdemo⸗ kratiſche Partei und die Gewerkſchaften zu⸗ ſammenarbeiten, wir wünſchen ſogar, daß jeder ge⸗ werkſchaftlich organiſierte Arbeiter ſich auch ſozial⸗ demokratiſch organiſiert; aber leider iſt das heute noch nicht der Fall. Das können Sie ja ſchon er⸗ ſehen, wenn Sie die Zahl der gewerkſchaftlich organi⸗ ſierten Arbeiter mit der Zahl derjenigen Arbeiter vergleichen, die ſozialdemokratiſch organiſiert ſind. Aber unſer Ziel und unſer Streben ſoll darauf ge⸗ richtet ſein, und ſoweit es an uns liegt — deſſen können Sie ſicher ſein —, werden wir dafür ſorgen, daß das Wort: Partei und Gewerkſchaften ſind eins, wenn Sie es ſchon einmal in die Welt hinaus⸗ poſaunen, ſich möglichſt bald erfüllt, ſo daß es in kurzer Zeit keinen gewerkſchaftlich organiſierten Ar⸗ beiter mehr gibt, der nicht Aeerieto auch ſozial⸗ demokratiſch organiſiert iſt. Aber ſelbſt dann, wenn dieſes Ziel erreicht iſt, können Sie noch nicht davon reden, daß die Gewerkſchaften im Dienſte der ſozial⸗ Dezember 1912 471 demokratiſchen Partei ſtehen oder Anhängſel der ſo⸗ zialdemokratiſchen Partei ſind. Meine Herren, genau in demſelben Sinne, wie wir uns und wie ſich auch die von mir zitierten Parteifreunde ausgeſprochen haben, haben ſich auch wiederholt unſere Parteitage geäußert. Ich könnte Ihnen ja aus den verſchiedenen Parteitagsprotokollen lange Zitate zum Beweis dafür verleſen; ich will das aber mit Rückſicht auf die vorgeſchrittene Zeir unterlaſſen. Wenn Sie darauf beſtehen, bin ich dazu gern bereit. Allerdings fürchte ich, daß Sie ſelbſt daraus noch nicht ſo viel lernen, um Ihre veralteten und verkehrten Anſchauungen zu revidieren. Meine Herren, es iſt bei der Beratung der erſten Vorlage ſogar geſagt worden, daß durch die vom Magiſtrat bantragte Arbeitsloſenunterſtützung die ſozialdemokratiſche Parteikaſſe entlaſtet würde. Ich habe dem ſchon damals ſofort widerſprochen. Dies⸗ mal haben Sie die Behauptung nicht direkt wieder⸗ holt, diesmal waren Sie etwas vorſichtiger; Sie haben nur davon geſprochen, daß indirekt die ſozial⸗ demokratiſche Parteikaſſe durch die Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung entlaſtet würde. Das iſt falſch. Umgekehrt — ich habe darauf auch ſchon wiederholt hingewieſen — müßten Sie ſagen, daß die Etats der Kommunen, namentlich die Armenetats der Kommunen, durch die Aufwendungen der Gewerkſchaften für die Ar⸗ beitsloſenunterſtützungen entlaſtet werden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Ich möchte Ihnen einige Zahlen dafür an⸗ geben, damit Sie ſich einen Begriff davon machen können, wie ungeheuer die Aufwendungen der Gewerk⸗ ſchaften für Arbeitsloſenunterſtützung ſind. Die freien Gewerkſchaften in Berlin, Charlotten⸗ burg, Neukölln und Schöneberg haben im Jahre 1908 2 201 031 ℳ allein an Arbeitsloſenunterſtützung gezahlt. Dazu müſſen Sie aber noch 39 932 % für Reiſeunterſtützungen rechnen, für Unterſtützungen, die auf der Reiſe befindlichen Mitgliedern zugute ge⸗ kommen ſind, alſo auch arbeitsloſen Mitgliedern. Das macht zuſammen eine Summe von mehr als zwei Millionen Mark. Im Jahre 1909 ſind für Arbeitsloſenunterſtützungen 1 935 035 ℳ und für Reiſeunterſtützungen 38 547 ℳ, zuſammen alſo an⸗ nähernd zwei Millionen Mark gezahlt worden. Das heißt, in dieſen beiden Jahren allein haben die freien Gewerkſchaften in Berlin, Charlottenburg, Neukölln und Schöne⸗ berg eine Summe von mehr als vier Millionen Markfür die Unterſt ützung arbeitsloſer Mitglieder ausgegeben. Meine Herren, ich laſſe ganz beiſeite, was ſonſt noch für Krankenunterſtützungen, Invalidenunter⸗ ſtützungen, Notfallunterſtützungen und dergleichen von den Gewerkſchaften aufgewendet wird; allein ſchon dieſe 4 Millionen Mark, die für Arbeitsloſen⸗ unterſtützungen verausgabt ſind, ſind doch ein Beweis dafür, wie ungeheuer ſegensreich die Gewerkſchaften gewirkt haben, und ferner ein Beweis für die Rich⸗ tigkeit meiner Behauptung, daß, wenn die Gewerk⸗ ſchaften auf dem Gebiete der Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung nicht ſo vorbildlich geweſen wären, dann den Kommunen ganz ungeheure Laſten in Form höherer Ausgaben auf dem Gebiete der Armenverwaltung entſtanden wären. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)