472 Und, meine Herren, dieſe Gebilde, die ſo ſegensreich gewirkt haben, wollen Sie von der Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung ausſchließen, und dann wollen Sie ſich hin⸗ ſtellen und ſagen: ſeht einmal, was wir große Sozial⸗ politiker für eine ſegensreiche Einrichtung geſchaffen haben! Nein, meine Herren, wenn Sie dieſe Ein⸗ richtung ſchaffen, dann haben Sie etwas ins Leben erufen, womit Sie ſich vor der Oeffentlichkeit nich t ſehen laſſen können. Selbſt Herr Kollege Rothholz gab bei aller Ab⸗ neigung gegen die gewerkſchaftliche Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung zu, daß die Gewerkſchaften auf dem Gebiete der Arbeitsloſenfürſorge Leiſtungen aufzuweiſen haben. Vorſichtig fügte er hinzu, daß die Gewerk⸗ ſchaften das Problem der Arbeitsloſenunterſtützung allerdings nicht löſen können. Damit hat Herr Kollege Rothholz uns etwas ganz Neues erzählt, das haben wir bisher noch gar nicht gewußt. Glauben Sie wirklich, daß wir, bevor wir die Ausführungen des Herrn Kollegen Rothholz gehört haben, der Meinung waren, die Gewerkſchaften könnten das Problem der Arbeitsloſenverſicherung löſen? Nein, meine Herren, das haben die Gewerkſchaften längſt eingeſehen, Sie haben ſich wiederholt, ſchon im Jahre 1902 auf dem Kongreß in Stuttgart, mit der Frage der Arbeitsloſenunterſtützung beſchäftigt und es da⸗ mals als Pflicht von Reich, Staat und Gemeinde er⸗ klärt, die Arbeitsloſenunterſtützung einzuführen. Alſo das, was Sie hier als funkelnagelneue Weisheit ver⸗ zapfen, haben die Gewerkſchaften ſchon vor Jahr⸗ zehnten gewußt. Sie haben immer erkannt, daß das, was ſie geſchaffen haben, nur ein Notbehelf iſt und haben ihre Foderungen an die geſetzgebenden Körper⸗ ſchaften, an Reich und Staat und an die Gemeinden geſtellt. Meine Herren, ich beſchränke mich auf dieſe Ausführungen; ich hielt ſie für nötig, einmal um die Angriffe auf die Gewerkſchaften zurückzuweiſen, und zweitens um Ihnen Gelegenheit zu geben, vorurteils⸗ 1os unſere ablehnende Haltung würdigen zu können. Meine Herren, wir ſind uns der Verantwortung, die auf uns laſtet, voll bewußt; wir wiſſen, daß das Schickſal der Vorlage ſchließlich von unſeren Stimmen abhängt. Aber ſelbſt auf die Gefahr hin, daß Herr Kollege Stadthagen, wie er das in der vorigen Sitzung getan hat, wenn wir die Vorlage ablehnen, uns den Vorwurf macht, daß wir Sozialdemokraten alle ſozialpolitiſchen Geſetze ablehnen — ſelbſt auf die Gefahr dieſes Vorwurfs hin, ſind wir für die Ma⸗ giſtratsvorlage nicht zu haben. Wir erkennen unumwunden an, daß der Magi⸗ ſtrat von dem Streben beſeelt war, etwas zu ſchaffen. Aber er befindet ſich auf einem falſchen Wege. Er folgt ja auch nicht dem Zuge ſeines Herzens — ſonſt hätte er nicht von der gewerkſchaftlichen Unterſtützung Abſtand genommen —, ſondern er hat ſich von dem ſozialpolitiſch rückſtändigen Teile dieſer Verſammlung drängen laſſen. Meine Herren, wir lehnen die Vor⸗ lage ab, weil wir überzeugt ſind, daß die Kaſſe ein Fiasko erleiden wird, und weil wir einer wirklichen Arbeitsloſenunterſtützung den Weg ebnen wollen. Der Weg hierzu aber wird verſperrt, wenn wir jetzt einen Verſuch am untauglichen Objekt mit untaug⸗ lichen Mitteln vornehmen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Vorſteher Kaufmann: Meine Herren! Ich möchte Ihnen betreffs der weiteren geſchäftlichen Ver⸗ handlung einen Vorſchlag machen. Es ſind ſo viele Sitzung vom 17. Dezember 1912 Abänderungsanträge zu den einzelnen Artikeln der Vorlage geſtellt, duß die Herren, wenn ich den An⸗ tragſtellern jetzt das Wort zur Begründung ihrer An⸗ träge geben wollte, es im einzelnen nicht verſtehen würden. Ich bin der Anſicht, daß wir jetzt in die Einzelberatung eintreten ſollen, wobei ich natürlich jedem Redner, geſtatte, in die Generaldiskuſſion zu⸗ rückzugreifen. Beim Artikel 1 iſt ja die Möglichkeit gegeben, alles das, was generell auszuführen iſt, zu ſagen. Ich halte es für klarer und ſchneller zum Ziel führend, wenn wir die Anträge bei den einzelnen Ar⸗ tikeln, zu denen ſie geſtellt ſind, erledigen. Ich würde dann erſt bei der Schlußabſtimmung den Antrag auf namentliche Abſtimmung über die Geſamtvorlage bringen. Ich erbitte mir alſo Ihr Einverſtändnis, daß ich jetzt die Artikel einzeln verleſe. Die Herren melden ſich dann zu den einzelnen Artikeln zum Wort; ſie können auch, wie geſagt, zur Generaldiskuſſion zurückkehren. Bei Artikel 1 iſt ja ſchon Gelegenheit gegeben, über die Frage, ob eine Kaſſe gegründet werden ſoll oder nicht, zu ſprechen. Wir erſparen uns dadurch Zeit und wer⸗ den die zu den betreffenden Artikeln geſtellten An⸗ träge viel klarer verſtehen können. Stadtv. Dr Stadthagen (zur Geſchäftsordnung): Meine Herren! Ich möchte bitten, die Generaldebatte auf Artikel 1 zu beſchränken. Wir können nicht bei jedem Artikel eine neue Generaldebatte haben. Es wird ſich empfehlen das ging nicht ganz klar aus den Worten des Herrn Vorſtehers hervor —, nur bei Artikel 1 die Generaldebatte vorzunehmen. Dann würde die Abſtimmung über Artitel 1 erfolgen, da⸗ rauf kämen die anderen Artikel zur Beſprechung und dabei die einzelnen Anträge. Vorſteher Kaufmann: Herr Kollege Stadt⸗ hagen hat mich vollſtändig richtig verſtanden. Ich will jetzt in die Spezialdiskuſſion eintreten und beim Artikel 1 jedem Redner die Generaldiskuſſion ge⸗ ſtatten. Dann würden wir weiter Artikel für Ar⸗ tikel abſtimmen und zuletzt in namentlicher Abſtim⸗ mung über die ganze Vorlage. — Einen Widerſpruch höre ich nicht. Ich verleſe jetzt Artikel 1: 2 Bei dem ſtädtiſchen Arbeitsnachweis wird eine Arbeitsloſenverſicherungskaſſe für männ⸗ liche und weibliche Perſonen gegründet. Stadtv. Wöllmer (zur Geſchäftsordnung): Ich nehme an, daß erſt die Herren Antragſteller nun ihre Amendements begründen werden. Vorſteher Kaufmann: Herr Kollege Wöllmer, Sie haben mich nicht richtig verſtanden. Zu Artikel 1 iſt kein Abänderungsantrag geſtellt, und wir haben uns eben darüber verſtändigt, daß diejenigen Redner, die noch zur Generaldiskuſſion ſprechen wollen, ſich jetzt bei Artikel 1 zum Worte melden. Da Sie zum Worte notiert waren, habe ich angenommen, Sie wollen noch zur Generaldiskuſſton ſprechen. Es bleibt ja jedem Redner die Möglichkeit, nachher bei der Spezialdiskuſſion, wo die Begründung der Abände⸗ rungsanträge erfolgt, zu den Abänderungen nochmals das Wort zu nehmen. Um aber nicht endlos zu ver⸗ handeln, würde ich bei den ſpäteren Artikeln ein Rückgreifen auf die Generaldiskuſſion nicht mehr ge⸗ ſtatten. Stadtv. Dr Borchardt (zur Geſchäftsordnung): Nur würde ich bitten, die Abſtimmung über Artikel 1