476 Anſicht doch in allererſter Linie nötig, die Arbeits⸗ loſigkeit derjenigen Elemente zu bekämpfen, die nicht in der Lage ſind, ſo hohe Beträge auszugeben. Denn für die anderen, die das können, iſt eben in gewiſſer Weiſe geſorgt; die können ſelber für ſich ſorgen. Für diejenigen, die nicht ſo ſtehen, die geringere Löhne haben, muß geſorgt werden. Dieſen Weg gent die Magiſtratsvorlage auch nicht in dem Maße, daß wir ihr zuſtimmen können; ſie bevorzugt eben die beſſer geſtellten Gewerbe. Ich riskiere, mir das Zeugnis durch Herrn Kollegen Hirſch zuzuziehen, daß ich auch heute nichts gelernt habe. (Stadtv. Hirſch: Sehr richtigl) Ich muß ihm aber trotzdem ſagen, daß auch ſeine heutigen Ausführungen mich in keiner Weiſe davon überzeugt haben, daß die freien Gewerk⸗ ſchaften nicht — ich will einmal ſagen, eine ſo⸗ zialdemokratiſche Färbung haben. Er hat gemeint, die beiden, Partei und Gewerkſchaften, ſollen ſich ergänzen. Meine Herren, ſollen ſie ſich vielleicht zu einem Großblock ergänzen mit dem ſchwarzblauen Block? Ich glaube nicht, daß das die Anſicht des Herrn Kollegen Hirſch ſein wird. Er hat ferner geſagt: „Parteimann ſoll der Gewerkſchaftler ſein!“ Ich nehme nicht an, daß er meint, daß er konſervativer Parteimann ſein ſoll. (Stadtv. Hirſch: Nicht einmal nationalliberalerl) — Sehr richtig, ich glaube, auch das will er nicht; er will auch nicht, daß er freiſinniger Parteimann ſei, ſondern er will nur, daß er ſozialdemokratiſcher Parteimann ſein ſoll. Als Glied des ſozialpolitiſch rückſtändigſten Teiles der Verſammlung, wie es ſo ſchön Herr Kollege Hirſch ausdrückte, habe ich mich durch ſeine Ausführungen in keiner Weiſe überzeugen laſſen können, daß die ſozialdemokratiſche Färbung nicht vorhanden iſt. Ich glaube, wenn das Jeſuiten⸗ geſetz etwa aufgehoben werden wird, dann wird Herr Kollege Hirſch, nach ſeinen heutigen Ausführungen zu urteilen, ſehr warm von den Anhängern Loyolas als Schüler begrüßt werden! Ich glaube, er würde dort ein ſehr dankbares Feld der Betätigung finden. Ich möchte zum Schluſſe nur erklären, daß wir gegen die Vorlage ſtimmen werden. Ich weiß nicht, ob wir uns einſtimmig ſo verhalten werden; aber im weſentlichen werden wir ſo ſtimmen. Ich bitte auch meine Fraktionsfreunde und die anderen Herren der Verſammlung, die Anträge, die die ſozialdemokra⸗ tiſche Fraktion geſtellt hat, und ebenſo den Antrag des Herrn Kollegen Wöllmer abzulehnen. Ich darf das hier gleich in der Generaldebatte ſagen, um nicht zu den einzelnen Paragraphen noch einmal das Wort nehmen zu müſſen. Ich habe ja vorhin ſchon die Tendenz wenigſtens einiger dieſer Anträge ſkizziert. Ich bitte Sie demnach, die Vorlage auch heute in zweiter Leſung, ſowohl im einzelnen wie in der Geſamtabſtimmung, abzulehnen. (Bravol) Stadtrat Dr. Spiegel: Meine Herren! Ich glaube, wenn wir jetzt acht Tage lang hintereinander dieſe Diskuſſion fortſetzen, dann würden ſich in dieſer Verhandlung ebenſowenig wie in den früheren die beiden Parteien darüber einigen, ob die Gewerkſchaf⸗ ten politiſche oder unpolitiſche Körperſchaften ſind. Sitzung vom 17. Dezember 1912 Ich glaube aber wirklich, daß dieſe Irage mit der Vorlage, die wir Ihnen gemacht haben, im Grunde herzlich wenig zu tun hat; denn die Tätigkeit der Gewerkſchaften, die wir in unſerer Vorlage anerken⸗ nen und der wir eine Benutzung unſerer ſtädtiſchen Kaſſe nicht verſchließen wollen, iſt jedenfalls keine politiſche, ſondern eine auf rein wirtſchaftlichem Ge⸗ biete liegende, wie auch von allen Seiten dieſes Hauſes durchaus anerkannt wird. Wir können uns alſo ruhig über die Frage hinwegſetzen, ob ſonſt an den Gewerkſchaften das eine oder das andere iſt, was dem einen oder dem andern von uns nicht gefällt. Wir Wir können uns umſo eher darüber hinwegſetzen, als ſelbſt ein ſcharfes Auge, wenn es nur einigermaßen objektiv blickt, in dieſer Vorlage ganz gewiß keine Be⸗ günſtigung der Gewerkſchaften vor irgendwelchen an⸗ deren Perſonenkreiſen finden kann. Der Herr Stadtverordnete Dr Stadthagen hat allerdings eben die entgegengeſetzte Behauptung daran geknüpft, daß die Berufsvereinigungen für ihre Mitglieder für die Anwartſchaft auf das halbe Tagegeld nicht die Hälfte des Wochengeldes, ſondern nur etwas weniger beitragen ſollen, nämlich ſtatt 12½ Pf. nur 10 Pf. Ich habe mir erlaubt, in der vorigen Sitzung Ihnen vorzurechnen, daß und wes⸗ halb in dieſer kleinen Herabſetzung eine irgendwie weſentliche Begünſtigung nicht gefunden werden kann, daß die Begünſtigung eben nur darin liegt, daß überhaupt eine Verſicherung auf halbes Tagegeld genommen werden kann und daß dieſe Vergünſti⸗ gung ſich dadurch rechtfertigt, daß für die andere Hälfte bereits durch die Berufsvereinigungen Vor⸗ ſorge getroffen iſt. Aber ich habe auch ferner hinzu⸗ gefügt, daß der Satz von 10 Pf. Wochengeld immer⸗ hin ein gegriffener wäre: ich habe mich bemüht, ihn zu verteidigen und ihn als gerechtfertigt hinzu⸗ ſtellen, habe jedoch hinzugefügt, daß das kein noli me tangere in der Vorlage ſei, daß ſich über Vorſchläge auf Aenderung dieſes Satzes reden ließe. Es bleibt danach wirklich keine Begünſtigung be⸗ ſtehen, die es rechtfertigte, über der Frage nach der Natur der angeblich zu begünſtigenden Gewerkſchaften das Weſentliche der Vorlage zu vergeſſen, Und das Weſentliche der Vorlage iſt, daß wir für unſer Teil verſuchen wollen, in dem Maße, das uns nach den letzten Beſchlüſſen der Stadtverordnetenverſammlung noch möglich iſt, den Uebelſtänden der Arbeitsloſig⸗ keit entgegenzutreten, ſie bekämpfen zu helfen, wenig⸗ ſtens Verſuchsmaterial dazu zu liefern, auf welchem Wege ihnen beizukommen iſt. Der große Peſſimis⸗ mus von der einen wie von der andern Seite ſcheint mir der Vorlage gegenüber nicht gerechtfertigt zu ſein. Der Magiſtrat iſt der Anſicht und mit ihm war es die gemiſchte Deputation, mit Ausnahme der, wie Sie ja wiſſen, verhinderten Herren von der ſozialdemokratiſchen Seite, daß man dieſen Weg wohl begehen und verſuchen könne, ob auf dieſem Wege etwas zu erreichen ſei. Stadtv. Erdmannsdörffer: Meine Herren! Der Herr Kollege Hirſch hat in dem ihm eigenen liebens⸗ würdigen Tone (Heiterkeit) ſeine Ausführungen mit einer kleinen Polemik gegen mich begonnen, auf die ich nun leider antworten muß, obwohl ich anfangs nicht die Abſicht hatte, heute in dieſem Stadium der Verhandlung zu ſprechen.