Sitzung vom 17. Er ſagte, daß ich das Wort gebraucht hätte, ich hätte bedauert, das vorige Mal nicht zu Worte ge⸗ kommen zu ſein, und er hat dann die Behauptung daran geknüpft, daß darin eine gewiſſe Kritik meiner politiſchen Freunde läge. Nun, der Herr Kollege Hirſch als Abgeordneter wird wiſſen, daß es im Par⸗ lament Dutzende und Hunderte von Malen vorkommt, daß jemandem das Wort abgeſchnitten wird durch den Schluß der Debatte und daß er ſeinem Bedauern darüber Ausdruck gibt, daß er nicht mehr zum Worte hat kommen können, ohne daß in dieſem Bedauern irgendeine Kritik des Vorgehens der Mehrheit liegen ſoll. Auch in meinen damaligen Worten lag keines⸗ wegs eine Kritik des Vorgehens der Mehrheit, die nach ſtundenlangen Debatten — das muß ohne wei⸗ teres zugegeben werden — ganz objektiv und ſach⸗ gemäß zu der Ueberzeugung gelangt war, daß nun eben genug des Redens ſei und man Schluß machen ſolle. Darunter muß naturgemäß im gegebenen Falle der einzelne leiden. So geſchah es hier. In meinen damaligen Worten lag nicht das Mindeſte von kriti⸗ ſcher Stellungnahme gegen den Schluß der Debatte. Dann wandte ſich Herr Hirſch dagegen, daß ich geſagt hätte, die Stellungnahme der Sozialdemokratie ſei das Wunderlichſte, was mir ſeit langen Jahren bei der Sozialdemokratie paſſiert ſei. Es iſt wohl im weſentlichen meine Aufgabe, dieſes von mir da⸗ mals gebrauchte Wort mit wenigen Ausnahmen auf⸗ recht zu erhalten. Ich meine in der Tat: auch nach den heutigen Bemerkungen des Herrn Kollegen Hirſch habe ich nicht die Auffaſſung, daß ich von dem da⸗ maligen Wort, das ich gebraucht habe, etwas zurück⸗ zunehmen hätte. Ich halte es allerdings für recht merkwürdig, daß eine Partei wie die ſozialdemokratiſche, die ſich das Wohl und die Förderung der Arbeiterſchaft auf das Panier geſchrieben hat, eine Vorlage ablehnen will, die doch unzweifelhaft der Arbeiterſchaft gewiſſe Vor⸗ teile gewährt, wenn ſie auch ebenſo unzweifelhaft den Wünſchen ſowohl der Herren von der Sozialdemokratie wie auch den Wünſchen von anderer Seite — wir haben das ja eben aus dem Munde des Herrn Kol⸗ legen Wöllmer gehört — und auch meinen Wünſchen durchaus nicht voll entſpricht. Das iſt wieder ein⸗ mal die „Alles ⸗oder nichts⸗Politik“, die hier von der Sozialdemokratie geübt wird gegen⸗ über einer Vorlage, die unzweifelhaft bis zu einem gewiſſen Grade doch geeignet iſt, gewiſſen Schichten der Arbeiterſchaft im Notfalle, und zwar im ſchlimm⸗ ſten Notfalle, den es gibt, nämlich im Falle der un⸗ verſchuldeten Arbeitsloſigkeit, zu Hilfe zu kommen. Wir ſtehen bei dieſer Vorlage doch vor der Tatſache, daß ſie helfen will den unorganiſierten und den ſchlecht bezahlten Arbeitern gegen die unverſchuldete Arbeitsloſigkeit, und ferner vor der Tatſache, daß ſie den gewerkſchaftlich Organiſterten, die bereits gegen Arbeitsloſigkeit verſichert ſind, einen doch gewiß äußerſt willkommenen Zuſatz zu der Verſicherungs⸗ ſumme, die ſie dort erhalten, gewähren will. Es iſt doch wunderbar, daß die Sozialdemokratie das bis⸗ chen, das hier gegeben wird, nicht ergreift, um dann bei ſpäteren Gelegenheiten das Ganze weiter auszu⸗ bauen und durch neue Anträge und Anregungen da⸗ hin zu wirken, daß die Einrichtung beſſer und voll⸗ kommener ausgeſtaltet wird. Herr Kollege Hirſch hat geſagt: wir ſind konſe⸗ quenter als die Herren von der andern Seite; wenn die Gewerkſchaften von der Verſicherung ausgeſchloſſen werden, ſo hat die ganze Geſchichte für uns keinen Dezember 1912 477 Wert. Meine Herren, das iſt auch ein merkwürdiger Standpunkt. Selbſt wenn die Gewerkſchaften ausge⸗ ſchloſſen würden, was meines Erachtens nicht der Fall iſt, ſo beſtände doch immerhin für nicht gewerk⸗ ſchaftlich organiſierte Leute, alſo auch für Arbeiter, die Möglichkeit, ſich auf dem Wege der ſtädtiſchen Kaſſe gegen die Arbeitsloſigkeit zu verſichern, und ich meine, die nicht gewerkſchaftlich organiſierten Arbeiter müßten doch den Herren von der Sozialdemokratie genau ſo ans Herz gewachſen ſein wie die gewerk⸗ ſchaftlich organiſierten. Oder ſollte ich mich darin täuſchen? Ich glaube nicht, daß ich mich in dieſer Auffaſſung täuſche! (Heiterkeit.) Es iſt aber auch nicht richtig, daß die Gewerk⸗ ſchaften ausgeſchloſſen ſind. Es war mir ſehr inter⸗ eſſant, vom Herrn Kollegen Stadthagen zu hören, daß die Gewerkſchaften hier eminent bevorzugt ſeien. Alſo: ganz ausgeſchloſſen auf der einen Seite, koloſſal be⸗ vorzugt auf der andern Seite! Ich glaube, Herr Stadtrat Spiegel hat durchaus das Richtige getroffen, als er ſagte: es liegt weder ein Ausſchluß noch eine Bevorzugung vor, ſondern es beſteht eine paritätiſche Behandlung der Gewerkſchaften. (Zuſtimmung.) Die Gewerkſchaften können ſich en masse ebenſo an dieſer Arbeitsloſenverſicherung beteiligen wie irgendeine andere Organiſation der Arbeitnehmer, wie auch die Arbeitgeber in der Lage ſind, für ihre geſamte Arbeitnehmerſchaft eine Verſicherung abzu⸗ ſchließen. Alſo auch nach dieſer Richtung hin hat Herr Kollege Hirſch nicht recht: die Gewerkſchaften ſind nicht ausgeſchloſſen, ſie können ſich unter relativ noch recht günſtigen Bedingungen in corpore der Verſiche⸗ rung anſchließen und dadurch für ihre Mitglieder etwas ganz Hübſches und Erſprießliches herausholen, wie es die 75 § pro Tag doch immerhin ſind. Der Herr Kollege Hirſch — auch das hat ja Herr Stadtrat Spiegel ſchon erwähnt — hat den weitaus größten Teil ſeiner Rede damit zugebracht, wieder einmal zum hundertſten und tauſendſten Mal die Frage vor uns zu erörtern, ob die Gewerkſchaften politiſch neutral ſind oder nicht. (Stadtv. Hirſch: Damit hat Ihr Freund Dr Rothholz angefangen!) — Heute haben Sie angefangen! — Ich muß offen geſtehen: in dieſem Stadium der Angelegenheit da⸗ mit noch einmal anzufangen, das finde ich ein ganz klein wenig deplaciert — wenn Sie mir das Wort nicht übelnehmen. 2 (Stadtv. Hirſch: Nein! — Heiterkeit.) 1— Für mich und für meinen Standpunkt iſt die Frage, ob die Gewerkſchaften politiſch neutral ſind oder ob ſie Glieder der Sozialdemokratie ſind, bei dieſer Vorlage furchtbar gleichgültig und irrele⸗ vant. Ich habe mir erlaubt, das bereits in meiner Rede am 22. Mai auseinanderzuſetzen. Ich habe da⸗ mals für die Magiſtratsvorlage geſtimmt — ich be⸗ daure lebhaft, daß ſie nicht zuſtande gekommen iſt —, das Genter Syſtem mit einer gewiſſen Bevor⸗ gung, (Zuruf bei den Sozialdemokraten)