480 gerade die gefährlichen, die ſchwierigen Riſiken zu tragen haben wird. Aber einen Verſuch will ich machen. Nachdem ſoviel darüber geſprochen und ver⸗ handelt worden iſt, ſollten wir es wagen, den einen Schritt zu tun. Wir können dann hoffen, daß ſpäter ein Ausbau diejenigen Unterlaſſungsſünden, die wir begangen haben, und die Fehler, die in der Vorlage enthalten ſind, allmählich wieder gutmacht. Tun Sie wenigſtens den erſten Schritt und nehmen Sie dieſe Magiſtratsvorlage an, auch wenn ſie zunächſt nicht viel Nutzen verſpricht! Stadtv. Hirſch (perſönliche Bemerkung): Herr Kollege Erdmannsdörffer hat es als deplaciert be⸗ zeichnet, daß ich, wie er ſagte, zum hunderſten und tauſendſten Male über die Neutralität der Gewerk⸗ ſchaften geſprochen habe. Ich möchte demgegenüber nur feſtſtellen, daß ich zu dieſen Aeußerungen gezwun⸗ gen war, nachdem in der vorigen Sitzung nicht weniger als drei Freunde des Herrn Kollegen Erdmanns⸗ dörffer die Erörterung darüber angefangen und dann dieſelben Liberalen den Schluß der Debatte herbei⸗ geführt haben, wodurch es mir unmöglich war, auf die Angriffe zu erwidern. Ich halte es für meine Pflicht, wenn derartige unerhörte Angriffe, wie in der vorigen Sitzung, laut werden, zu erwidern, bei welcher Gelegenheit es mir paßt. Vorſteher Kaufmann: Zu Artikel 2 — Sie er⸗ laſſen mir wohl die Vorleſung, Sie haben ja alle den Wortlaut vor ſich — wird das Wort nicht verlangt. (Artikel 2 wird angenommen.) Artikel 3. Stadtv. Dr. Borchardt (zur Geſchäftsordnung): Ich möchte beantragen, die Diskuſſion über Artikel 3 und 4 zu verbinden. Vorſteher Kaufmann: Widerſpruch dagegen wird wohl nicht erhoben. Ich eröffne alſo die Diskuſſion über Artikel 3 und 4. Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren! Im Artikel 4 iſt eine Reihe von Beſtimmungen vorge⸗ ſehen, welche die Kaſſe davor ſchützen ſollen — wie ll man ſagen: zuviel Mitglieder zu bekommen. Sie wünſchen nach der Vorlage eine Kaſſe, deren Mit⸗ gliederzahl außerordentlich beſchränkt ſein ſoll. Das kommt auch ſpäter in einem anderen Artikel zum Ausdruck, worin vorgeſehen iſt, daß die Mitglieder⸗ liſte jederzeit geſchloſſen werden kann. Sie wollen zwar eine Kaſſe gründen, die den Namen Kaſſe hat, aber Mitglieder ſoll ſie nicht haben, wenigſtens nicht beſonders viele Mitglieder. Dieſer Wunſch iſt ja begreiflich bei einer ſolchen Kaſſe, der, wenn ſie ziemlich frei zugängig iſt und wenn ſie wirklich einigermaßen Leiſtungen an die Mitglieder gewährt, eine außerordentlich große Zahl ſolcher Arbeiter zu⸗ ſtrömen würden, die ſehr häufig arbeitslos ſind, die, wie man im verſicherungstechniſchen Sinne ſagen müßte, ſchlechte Riſiken ſind. Gegen ſolche ſchlechte Riſiken ſoll die Kaſſe geſchützt ſein, und daher wird ſie mit einem großen Zaune verſehen, über den eigentlich ſo leicht überhaupt kein Arbeiter hinüber und der Kaſſe als Mitglied beitreten kann. Gedacht ſcheint mir dieſe Beſtimmung als ein Schutz gegen die ſogenannten Saiſonarbeiter, die mit Sitzung vom 17. Dezember 1912 einer großen Regelmäßigkeit zu gewiſſen Zeiten des Jahres arbeitslos ſind, die aber — ja, wie ſoll man ſagen — ein Anrecht auf Arbeitsloſenunterſtützung nicht haben. Das würde doch nur dann zutreffen, wenn dieſe Saiſonarbeiter ſo außerordentlich hohe Löhne in der Saiſon bezögen, daß ſie dadurch für die Zeit der Arbeitsloſigkeit gleich mit bezahlt werden. Ich möchte eher ſagen, daß man ſich gegen dieſe Saiſonarbeiter deswegen ſchützen will, weil ihre Ver⸗ ſicherung gegen Arbeitsloſigkeit ſo außerordentlich ſchwierig iſt, daß es bisher noch nicht einmal ihren Gewerkſchafren gelungen iſt, eine Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung für dieſe Arbeiter einzurichten. (Rufe: Na eben!) — Die Herren, die mir „Na eben!“ zurufen, unter⸗ ſtreichen damit gerade den Grund, der dafür ſpricht, Arbeitsloſenunterſtützung nur Hand in Hand mit den Gewerkſchaften, was eben gerade abgelehnt wind, ins Leben zu rufen. Lehnt man das aber ab, und will man ſich nun trotzdem gegen den Eintritt der⸗ jenigen Arbeiter ſchützen, die auch gewerkſchaftlich nicht verſichert ſind, ja, meine Herren, dann bleibt eigentlich kaum noch ein Arbeiter übrig, der der Kaſſe beitreten kann, um ſo weniger, wenn Sie den Schutz gegen die Saiſonarbeiter in die Form kleiden, daß Sie überhaupt keinen Arbeiter aufnehmen, der nicht bereits zwei Jahre lang regelmäßig beſchäftigt, regelmäßig eine längere Zeit hindurch nicht arbeits⸗ 1os war, der alſo, wie es hier heißt, mindeſtens 48 Beitragswochen in jedem Jahr geklebt hat. Nun, meine Herren, damit errichten Sie den Schutzwall weit über den Rahmen der Saiſonarbeiter hinaus, eigentlich gegen alle Induſtriearbeiter. Eine Kaſſe, die ſich mit einem derartigen Schutz umgibt, daß ſie überhaupt keine Mitglieder aufnimmt, von der iſt doch wirklich nicht zu ſagen, daß ſie etwas oder etwas Geringes ſchafft, was man annehmen ſoll, ſondern daß ſie nicht nur nichts, ſondern viel weniger als nichts ſchafft. Denn ſie ſchafft deshalb weniger als nichts, weil ſie einen Schein, weil ſie den Namen einer Abeitsloſenunterſtützungskaſſe ſchafft, die in der Tat aber keine Arbeitsloſen unterſtützt. Sie könnten, wenn Sie den Artikel ſo annehmen, wie er hier vor⸗ geſchlagen iſt, in Artikel 3 sub b getroſt den jährlichen Zuſchuß, der auf 10 000 ℳ gegriffen iſt, auch auf 1000 ℳ, ja, Sie könnten ihn, glaube ich, auch auf 100 ℳ herunterſetzen, und er wird immer noch nicht aufgebraucht ſein. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn Sie dagegen wirklich eine Arbeitsloſenunter⸗ ſtützungskaſſe ſchaffen, dann reicht natürlich der Zu⸗ ſchuß von 10 000 ℳ nicht aus. Wenn Sie alſo ohne Zuſammenhang mit den Gewerkſchaften an dieſes ſchwierige Problem heran⸗ gehen und nun wirklich eine Kaſſe ſchaffen wollen, der auch Arbeiter beitreten ſollen, dann müſſen Sie dazu auch die Möglichkeit gewähren, indem ſie unſeren Antrag annehmen und jeden Arbeiter und Ange⸗ ſtellten für aufnahmeberechtigt erklären, der ſeit weni s 6 Monaten in Charlottenburg wohnhaft iſt, und den Reſt des Artikels wegſtreichen. Nehmen Sie das aber an, dann iſt es klar, daß Sie mit 10 000 ℳ nicht ausreichen. Die Summe, die Sie * einſetzen, kann dann auch nur gegriffen ſein, aber 100 600 ℳ werden dann nicht zu wenig ſein. Des⸗ dulb haben wir dieſen Antrag geſtell. 4