Sitzung vom 22. Januar 1913 11 Sie werden, ſehr verehrter Herr Stadtrat, wenn Sie heute auf die 25 Jahre Ihrer Tätigkeit zurück⸗ blicken, dies nicht anders tun können als mit einem Gefühl innerer Befriedigung. Ich glaube, Sie wer⸗ den die Stunde ſegnen, in der Sie zum erſten Mal in dieſes Haus eintraten und zur Tätigkeit in dem⸗ ſelben berufen wurden; auch Sie werden empfinden, daß die Aufgaben, die Sie hier fanden, die Arbeiten, die Sie erwarteten, Ihrem ganzen Leben eine rei⸗ chere Ausgeſtaltung und eine Bereicherung gaben, die Sie heute nicht miſſen möchten. Wenn ich ſo in Ihnen richtig geleſen habe, wenn ich die Ge⸗ danken, die Sie jetzt und in dieſen Tagen bewegt haben, richtig deute, ſo kann ich nur noch mit dem Wunſche ſchließen, daß Ihnen dieſe Tätigkeit mit ihren Freuden und auch mit ihren Kämpfen noch lange erhalten bleibe. (Bravol) Stadtälteſter und Stadtrat Dr. Jaffé: Hochver⸗ ehrter Herr Oberbürgermeiſter! Hochverehrter Herr Stadtverordnetenvorſteher! Nehmen Sie meinen aufrichtigſten, herzlichſten Dank für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben, für die herz⸗ lichen Wünſche, die Sie mir ausgeſprochen haben. Und Sie, meine Herren, empfangen Sie meinen Dank da⸗ für, daß Sie durch Ihren Beifall den Worten der beiden Herren zugeſtimmt haben. Bei Ehrungen, wie ſie mir am heutigen Tage zuteil werden, iſt es nicht zu vermeiden, daß Ueber⸗ treibungen ſtattfinden. Sie ſowohl, Herr Oberbür⸗ ermeiſter, als auch Sie, Herr Stadtverordnetenvor⸗ ſtche, haben meine Verdienſte um die Stadt in ein viel zu helles Licht geſtellt. Jeder Jubilar muß ja bei ſolcher Gelegenheit einen tüchtigen Abſtrich vor⸗ nehmen, und ſo müſſen Sie auch mir geſtatten, einen guten Teil der Lobeserhebungen, die Sie mir haben zuteil werden laſſen, abzulehnen. Ich habe der Stadt Eharlottenburg nicht nur gebracht, ich habe von der Stadt Charlottenburg viel empfangen. Wer 25 Jahre in einer ſtädtiſchen Ver⸗ waltung, wie der unſrigen, tätig war, wer mit In⸗ tereſſe allen Ereigniſſen gefolgt iſt, der weiß, wie⸗ viele Kenntniſſe, wieviele Erfahrungen er dieſer Arbeit zu danken hat. Und das iſt es, was die Luſt an der Arbeit hervorruft und immer aufs neue In⸗ tereſſe erweckt. Als ich vor 25 Jahren in die Stadtverordneten⸗ verſammlung eintrat, da war Charlottenburg eine kleine Stadt, hatte kaum den ſechſten Teil der heutigen Einwohnerzahl aufzuweiſen, und unſer damaliger Oberbürgermeiſter Fritſche war ſtolz darauf, als er den erſten Millionenetat uns vorlegen konnte. Meine Herren, wenn Sie das mit den heutigen Verhältniſ⸗ ſen vergleichen, wenn Sie bedenken, daß es mir ver⸗ gönnt war, dieſe 25 Jahre an der beiſpielloſen Ent⸗ wicklung unſerer Stadt mitzuarbeiten ich müßte mich ja für einen völlig unfähigen Menſchen er⸗ klären, ſollte ich zugeben, daß ich nicht auch ein klein wenig zu der Entwicklung der Stadt beigetragen habe. Nach meinen Kräften iſt das immer geſchehen. Ob das Können mit dem Wollen ſtets im Einklang war, das iſt eine andere Frage. Daß Sie dieſe meine Leiſtungen ſo hoch anerkannt haben, erfüllt mich mit großer Freude. Es tut einem wohl, an dem Tage, an dem man auf einen derartigen Abſchnitt ſeines Lebens zurückblickt und auf die Arbeit, der man ein gut Teil ſeiner Kraft gewidmet hat, von den Män⸗ nern, die die Tätigkeit zu beurteilen vermögen, ein Wort der Anerkennung zu hören. Und ſo haben mich Ihre Ausführungen, wenn ich auch weiß, daß vieles der heutigen Feſtesſtimmung zuzuſchreiben iſt, doch außerordentlich erfreut. Nehmen Sie meinen herz⸗ lichſten Dank dafür. Haben Sie mein Tun und Schaffen bisher 1 1t Nachſicht beurteilt, meine Herren, ſo muß ich Sie bitten, das in Zukunft in um ſo reichlicherem Maße zu tun. Mein hohes Lebensalter bringt es mit ſich, daß die körperlichen und geiſtigen Kräfte nachlaſſen; die Anſprüche, die man an ſich ſelber ſtellen kann, werden geringer, und die Anſprüche, die Sie an mich in Zukunft ſtellen dürfen, müſſen ebenfalls geringer werden. Aber das will ich Ihnen verſprechen, daß ich nach beſten Kräften und nach beſtem Können, ſo⸗ lange Sie mich hier an dieſer Stelle haben wollen, gern für die Stadt Charlottenburg, die mir ſo ſehr ans Herz gewachſen iſt, weiter arbeiten will. Noch einmal Ihnen allen meinen herzlichſten, aufrichtig⸗ ſten Dank! (Allſeitiges lebhaftes Bravo.) Vorſteher Dr Frentzel: Wir treten in die Tages⸗ ordnung ein. Punkt 1: Mitteilung betr. unvermutete Prüfung der ſtädti⸗ ſchen Kaſſen am 8. Januar 1913. (Die Verſammlung nimmt Kenntnis.) Punkt 2 der Tagesordnung: Mitteilung betr. Niederſchlagung von Schuldbeträgen bis zu 1 ℳ. Druckſache 3. (Die Verſammlung nimmt Kenntnis.) Punkt 3 der Tagesordnung: Mitteilung betr. Entwicklung der Jugendpflege in Charlottenburg im Jahre 1912. — Druckſache 4. Stadtv. Stulz: Meine Herren! Im Namen meiner Freunde muß ich dem Befremden und der Verwunderung darüber Ausdruck geben, daß in dem Bericht, der uns hier vorgelegt wird, der Arbeiter⸗ jugendheim⸗Verein, alſo diejenige Pflegſtätte der Jugend, die ſich die Charlottenburger Arbeiterſchaft gegeben hat, mit keinem Worte erwähnt iſt; ja, ſie iſt nicht einmal in dem Verzeichnis zu finden, das der Druckſache beigegeben iſt. Man hört ſoviel in dieſen Tagen von dem ſozialen Empfinden, das man hegt, und von dem wohlwollenden Herzen, das man für die arbeitenden Klaſſen im Buſen trägt. Davon iſt hier wirklich nichts zu merken. Man ſollte doch meinen, daß es die elementarſten Forderungen der Billigkeit als ſelbſtverſtändlich erſcheinen laſſen, daß das Arbeiterjugendheim von Charlottenburg, die In⸗ ſtitution, die ſich die Arbeiterſchaft Charlottenburgs unter großen Opfern geſchaffen hat und die aner⸗ kanntermaßen ſchon ganz Hervorragendes für die ſittliche, die intellektuelle Hebung der arbeitenden Jugend geleiſtet hat, mindeſtens ebenſo berückfichtigt würde wie die anderen Stätten der Jugendpflege, unter denen ſich doch manche befinden, die in der Jugendpflege keine weitere Aufgabe ſuchen als die Heranzüchtung eines öden Hurrapatriotismus.