Sitzung vom 22. Januar 1913 vieler Exiſtenzen geſchehen. Erſt in den letzten Tagen habe ich nach dieſer Richtung hin wieder Er⸗ fahrungen ſammeln können. Es ſind junge Leute mit Tränen in den Augen zu mir gekommen, die vier Jahre lang in der Schule ſitzen. Die Eltern, kleinere Leute und Beamte, haben das Geld aufgewendet, und jetzt ſagt der Vater: aber lieber Junge, liebe Tochter, jetzt mußt du endlich einmal Geld verdienen; 4 Jahre unterhalte ich dich doch bereits. Und nun kommen dieſe Unglücksmenſchen zum Direktor und mir mit der Klage: wir müſſen Geld verdienen, was ſollen wir anfangen. Und wir müſſen ihnen ſagen: nichts könnt ihr anfangen, ihr habt zwar 4 Jahre auf der Kunſtgewerbeſchule geſeſſen, aber ihr ſeid keine tüch⸗ tigen Handwerker, kein Handwerksmeiſter kann euch beſchäftigen! (Sehr richtig!) So ſtehen die jungen Leute dann auf der Straße, nachdem ſie vier Jahre lang die Mittel ihrer Eltern verbraucht haben. Das iſt der Fluch, wenn man auf große Zahlen hinarbeitet. Und wenn Sie nun be⸗ denken, daß die Schule mit über 1000 Schülern da⸗ geſtanden hat, dann werden Sie ermeſſen können, wieviele unglückliche Exiſtenzen daraus hervor⸗ gegangen ſind. 6 Ganz anders, meine Herren, wird die Sache in der Zukunft ſein. In der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung operiert man nicht gern mit Bildern; ich muß aber doch eins gebrauchen. Sehen Sie, ein junger Baum, der in überreichem Boden ſteht, treibt geile Zweige — der Gärtner nennt ſie Waſſertriebe —, die feine Blüten bringen und keine Frucht tragen. Und was muß er tun? Er ſchneidet ſie herunter. Der ganze üppige Wipfel iſt nun verunſtaltet, ein Beſen. Aber im nächſten und übernächſten Jahre kommen dann die Früchte, und ſo wird es auch mit unſerer Schule gehen. Meine Herren, wir müſſen herunter⸗ ſchneiden, was nicht hingehört, und die Eltern find uns jetzt ſchon dafür dankbar, wofür wir alle Tage Beweiſe erleben. Denn die Leute kommen und ſagen: hättet ihr uns das nur vorher geſaat. Wie werde ich vier Jahre lang mein Kind nutzlos auf die Schule ſchicken! Wir können augenblicklich mit 980 Schülern rechnen; nach meiner und des Direktors Schätzung werden wir auf ungefähr 600 Schüler herunterſin⸗ ken. Nun, nehmen wir den Schmerz einmal hin, ſo haben wir doch aber 600 wirklich brauchbare, hand⸗ werklich vorgebildete Schüler auf der Anſtalt, die etwas erreichen. Unſere Schule wird in wenigen Jahren, das glaube ich ganz beſtimmt zuſichern zu können, eine der erſten in Deutſchland ſein. Aber in der Weiſe, wie es bisher war, geht es nicht fort. Wenn nun der Herr Vorredner das Metall⸗ gewerbe uſw. ſo ſcharf hervorhob, ſo muß ich ihn darauf hinweiſen, daß die Angehörigen dieſes Ge⸗ werbes eben in unſere Gewerbeſchulen hineingehören. Sie ſind Handwerker, nicht Kunſthandwerker. Wir werden von der gewerblichen Fortbildungsſchule noch weiter, damit ſie nicht ein Monſtrum an Größe wird, die Handelslehranſtalt und die Schulanſtalt für die ungelernten Arbeiter und für die aus den Fabrik⸗ betrieben, die ſich dort weiter bilden wollen, ab⸗ trennen. Ich kann Ihnen verſichern, daß gerade die Arbeiterkurſe für die Direktion der Schule und für mich eine Freude bilden, wenn wir ſehen, wie brav und mit welchem Eifer die Leute arbeiten. Wenn 29 wir nun die Gewerbeſchule von den anderen los⸗ gelöſt haben, werden die Metallarbeiter und alle, die ſonſt im Gewerbe ſtehen, vollauf befriedigt werden können, wenn die höhere gewerbliche Abteilung, die als ſogenannte Gewerbeſchule gedacht iſt, mit qualifizierten Lehrkräften ſich auf der gewerblichen Pflichtfortbildungsſchule aufbaut. Sie muß ſich na⸗ türlich von der Unterſtufe durch höher geſteckte Ziele und umfaſſendere Leiſtungen abheben. Das Ziel wird ſein, tüchtige Handwerksmeiſter und gute Mon⸗ teure auszubilden. Nun iſt hier die Baugewerkſchule wiederholt ge⸗ nannt worden. Meine Herren, ich bin auch nach der Seite hin vorſichtig geweſen und habe mich gefragt, wie ſich nach dieſer Richtung hin die Entwicklung in der Vergangenheit und bis zu dieſem Augenblicke geſtaltet hat. Ich bin deswegen an die Schulleitung der Gewerbeſchule mit Fragen herangetreten, und da hat mir Herr Direktor Haeſe erklärt: Wenn hier in Charlottenburg der Gedanke auftauchen und durch⸗ geführt werden ſollte, eine Baugewerbeſchule einzu⸗ richten, ſo würde die Schule abſolut unbevölkert bleiben; man würde keinen Zuſtrom dafür haben. Die Elternkreiſe, die in Frage kommen, ſind derart, doß ſie ihre Jungen nicht auf die Baugewerkſchule ſchicken. Ich habe wiederholt, den Anregungen des Herrn Vorredners Rieſenberg folgend, die Frage mit Lehrern der Gewerbeſchule und auch mit dem Direktor ventiliert. Ich habe leider die Notizen noch nicht zur Hand, die ich mir ſoeben wollte holen laſſen; ich habe mir eine Aufſtellung gemacht, wie ſich die Anſtalten der Frequenz nach ſtellen werden. Da hat ſich das überraſchende Ergebnis gezeigt, daß dieſe drei An⸗ ſtalten, wie wir ſie uns jetzt denken: Gewerbeſchule, Handelslehranſtalt, Arbeiterfortbildungsſchule, alle mit einer annähernd gleich reichlichen Zahl von Schülern verſehen ſein werden. Die Handelslehr⸗ anſtalt wird 1200 bis 1500 Schüler haben, die Ar⸗ beiterſchule ihre 1300, 1400 Schüler. Das iſt für einen Direktor ein ganz gutes Penſum, das er ver⸗ waltungsmäßig abzuwickeln hat. Die Gewerbeſchule natürlich wird noch größer ſein. Heute hat ſie 3800 Schüler. Sie wird dann nicht mehr ein ſolches Mon⸗ ſtrum ſein, ſie wird gegliedert vor Ihnen ſtehen als eine Pflichtfortbildungsſchule und eine höhere Ge⸗ werbeſchule, die darauf baſiert iſt und die allen An⸗ ſprüchen vollauf genügen wird durch ihre höheren Ziele, höheren Leiſtungen, durch ein tüchtiges, höher vorgebildetes Lehrermaterial. Ich glaube, daß das in Ihren Wünſchen liegt. Vorſteher Dr Frentzel: Meine Herren! Der Herr Referent hat beantragt, die Vorlage des Magi⸗ ſtrats einem Ausſchuſſe von 15 Mitgliedern zu über⸗ weiſen. (Die Verſammlung beſchließt demgemäß.) Für den Ausſchuß werden vorgeſchlagen die Her⸗ ren Dr Borchardt, Dr. Damm, Ir Frentzel, Gutt⸗ mann, Harniſch, Dr Liepmann, Münch, Neukranz, Otto, Richter, Rieſenberg, Schwarz, Dr Stadthagen, Stulz und Zander. Ich ſtelle feſt, daß die Herren gewählt ſind. Ich möchte Ihnen weiter mitteilen, daß jetzt auch die Vorſchläge für den zu Nummer 4 der Tages⸗ ordnung zu wählenden Ausſchuß vorliegen; ſie lauten: Bollmann, Brode, Dunck, Haack, Harniſch, Kern, Klick, Laskau, Dr Liepmann, Neumann, Pan⸗