Sitzung vom 19. Februar 1913 Im Vordergrund der Erörterungen ſteht ſelbſt⸗ verſtändlich auch bei dieſem Etat die Frage, ob die Gemeindeeinkommenſteuer von 100% auf 110% er⸗ höht werden ſoll. So war es im Jahre 1911, als der Magiſtrat dieſen Antrag brachte, dann im Jahre 1912 und nun auch im Jahre 1913. Der Herr Kämmerer hat mit dem ganzen ſchweren Geſchütz ſeiner Redekunſt und ſeiner Gründe für den Antrag des Magiſtrats gekämpft, und er hat ferner eine Aenderung unſerer Finanzgebarung, unſer Finanz⸗ politik gefordert. Er will dieſes Ziel durch eine Er⸗ höhung des Steuerzuſchlages und gleichzeitig auch durch Anſammlung von Fonds erreichen. Er hat den Ruf nach Sparſamkeit auf allen Gebieten des ſtädtiſchen Lebens erſchallen laſſen, er hat davor ge⸗ warnt, die fortlaufenden Ausgaben allzu ſchnell an⸗ wachſen zu laſſen. Er meint, daß auch bezüglich der Ausgaben für ſoziale Zwecke ein Wendepunkt ein⸗ getreten wäre. Die ſozialen Aufgaben, die ſich die Stadt geſtellt hat, ſollten nicht vernachläſſigt, aber neue Aufgaben auf dieſem Gebiet nicht begonnen werden. Meine Herren, die drei Jahre 1911, 1912 und das nun vor uns liegende Jahr ſtehen in bezug auf die Finanzgebarung, die der Magiſtrat vorſchlägt, in einem organiſchen Zuſammenhang. Im Jahre 1911 wurde uns die Erhöhung der Einkommenſteuer vorgeſchlagen, um gleichzeitig mit Berlin und den übrigen Vororten eine Vereinbarung über eine ein⸗ heitliche Regelung der Steuerſätze herbeizuführen. Es ſollten aber die 10% Plus bei uns einem Sammel⸗ fonds zugeführt bzw. zur Abtragung oder zur Ver⸗ meidung von Schulden verwendet werden. Der An⸗ trag des Magiſtrats im Jahre 1912 auf Erhöhung der Einkommenſteuer wurde weniger von dieſem Geſichtspunkt aus begründet, ſondern es wurde mehr darauf hingewieſen, daß alle Ausgaben, die der Magi⸗ ſtrat verlangt, notwendig ſeien, daß Abſtriche nicht mehr möglich ſind, und daß eine willkürliche Herab⸗ ſetzung der Mehrforderungen die Flüſſigmachung von Mitteln für ſpätere notwendige Ausgaben nur ver⸗ zögere. In dieſem Sinne iſt ja auch die Begründung der Magiſtratsvorlage über die Erhöhung der Ein⸗ kommenſteuer im Jahre 1913 gehalten. Der Herr Kämmerer hat nun mit ſeinen Aus⸗ führungen über den Etat den Gedanken einer Aen⸗ derung der Finanzgebarung in Char⸗ lottenburg verbunden und hierbei warnend nicht nur uns gegenüber, ſondern auch den Stadtverordneten⸗ verſammlungen bzw. den Gemeindekörperſchaften Groß⸗Berlins gegenüber darauf hingewieſen, daß deren Finanzgebarung in den letzten Jahren in bezug auf Vorſicht und, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, Solidität vielleicht zu wünſchen übrig gelaſſen hat. Meine Herren, wenn ich zur Entwicklungsge⸗ ſchichte dieſer drei Steuerjahre kurz auf die Frage der Vereinbarung mit den anderen Städten und Her⸗ beiführung eines gleichen Steuerſatzes der Gemeindeeinkommenſteuer mit Ber⸗ lin und den übrigen Vororten eingehen darf, ſo läßt ſich in dieſer Beziehung manches dafür, aber auch manches dagegen anführen. Was wäre geſchehen, wenn wir im Jahre 1911 dem Antrage des Magiſtrats gefolgt wären? Es wäre für uns jehr bequem geweſen, damals dem Magiſtrat zu folgen, weil wir der Bürgerſchaft gegenüber für die Ergohung der Einkommenſteuer die Verantwortung dem Magiſtrat hätten zuſchieben können, da überdies 8̃ die Vorlage des Magiſtrats infolge einer Anregung der Aufſichtsbehörde an das Plenum der Stadtver⸗ ordnetenverſammlnug gelangte. Wir haben es 1911 für unſere Pflicht gehalten, jene Vorlage abzulehnen, weil wir glaubten, der Bürgerſchaft gegen⸗ über nicht verantworten zu können, ihr neue Steuerlaſten aufzubürden, ſolange wir noch über reichliche Re⸗ ſerven verfügten. Meine Herren, was hätte ſich bei uns ereignet, wenn 1911 der Antrag des Magiſtrats angenommen wäre? Wir hätten Fonds geſammelt oder wir wären zu einer Erhö⸗ hung der Ausgaben gelangt, und ich fürchte ſehr, daß das letztere der Fall geweſen wäre. Wenn erſt genügende Fonds da ſind, ſo wird über ſie auch bald von der Verwaltung verfügt. Das ſehen wir ja bei dem Sammelfonds von 650 000 ℳ im neuen Etat. Ueber einen Teil dieſes Geldes iſt be⸗ reits mit unſerer Zuſtimmung und über einen anderen Teil vorbehaltlich unſerer Zuſtimmung verfügt wor⸗ den. Meine Herren, das iſt ja eben die Frage, ob den Anregungen des Herrn Kämmerers in bezug au Aenderung unſerer Finanzgebarung, in bezug a] Sparſamkeit uſw. dadurch zum Erfolg verholfen wird, daß Sie die Steuern erhöhen, oder ob dieſes Ziel nicht beſſer erreicht wird, wenn wir auch noch für das Jahr 1913 die Reſerven, die wir beſitzen, heranziehen. Wie wäre nun das Verhältnis zu den anderen Gemeinden geweſen? Nehmen Sie einmal den Fall an, es wäre eine Steuervereinbarung mit dieſen ge⸗ troffen und irgend eine Gemeinde inzwiſchen vielleicht durch ein nicht ſehr glückliches wirtſchaft⸗ liches Unternehmen in die Lage gebracht worden, nicht mit 110% auskommen zu können, ſondern jetzt gezwungen geweſen, vielleicht 115, 120 % zu erheben. Hätten die anderen Gemeinden dann das Gleiche tun müſſen? Ich meine, der Gedanke der Steuerverein⸗ barung, ſo beſtechend er ja auf den erſten Augenblick ſein mag, hat finanziell gerade etwas ſehr Bedenk⸗ liches; es würde eine Schraube ohne Ende ſein und zu einer Entwicklung führen können, die nicht im Intereſſe der Gemeinden liegen kann. Deshalb hat ja auch der Herr Kämmerer heute meines Erachtens mit Recht dieſen Gedanken voll⸗ kommen fallen laſſen und hervorgehoben: „meine Herren, prüfen Sie unſern Etat und die Frage der Erhöhung der Einkommenſteuer nur nach unſeren Verhältniſſen und werfen Sie den Blick weder nach rechts noch nach links“. Auch wir ſind ſchon im Jahre 1912 zu der Ueberzeugung gekommen, daß wir eben⸗ falls nur auf Grund unſerer Verhält⸗ niſſe den Etat prüfen und die Frage ent⸗ ſcheiden ſollen, ob die Einkommenſteuer erhöht wer⸗ den muß. Der Herr Kämmerer hat ja heute unſeren vorjährigen ablehnenden Beſchluß als einen Fehler bezeichnet. Ich bin nicht dieſer Anſicht; ich weiß nicht, wie wir der Bürgerſchaft gegenüber die Ver⸗ antwortung hätten übernehmen können, wenn wir 1912 die Steuer erhöht hätten. Sind irgend welche wich⸗ tigen Ausgaben von uns verweigert worden, haben wir nicht mit geringen Ausnahmen alles bewilligt, was der Magiſtrat forderte? Nein, es ſind keine Ab⸗ ſtriche weſentlicher Natur, von denen hier geſprochen wurde, gemacht worden. Es ſind vielleicht nur hier und da Ausgaben verweigert worden, von deren Not⸗ wendigkeit ſich die Stadtverordnetenverſammlung bzw. der Ausſchuß nicht hat überzeugen können.