Sitzung vom 19. Februar 1913 Weiter glaube ich auch, daß wir der Bevölkerung verſprechen können, daß wir das Sparſamkeitsprinzip, das ſpeziell einige Kollegen aus meiner Fraktion ſchon ſeit einigen Jahren predigen, in aller Schärfe auch bei dieſem Etat und in Zukunft zum Durchbruch bringen werden. (Sehr richtig!) Wir werden daran feſthalten, jede Poſition auf ihre Notwendigkeit zu prüfen, alles unter die Lupe zu nehmen, und wir hoffen, auf dem Wege eine Verbeſſe⸗ rung des Etats herbeiführen zu können. (Bravo!) Stadtv. Dr Borchardt: Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Stadthagen klangen ein klein wenig wie aus dem Fenſter hinausgeſprochen, (Sehr richtig!) ſo ein bißchen nach einer Wahlrede, daß die Bevölke⸗ rung nur ja diejenige Fraktion wählen ſolle, die auf keinen Fall die 110 % Steuern beſcheren wird. Ge⸗ nau in derſelben Richtung bewegten ſich dann wohl auch die Antworten auf die Zurufe von der äußerſten Linken, daß da die Leute ſäßen, denen es eine ſo große Luſt wäre, Steuern zu bewilligen, die gern auf 110, vielleicht 120 und 150 % Einkommenſteuerzu⸗ ſchläge gehen würden. Ich weiß nicht, woher der Herr Kollege Stadthagen dieſe Kenntnis nimmt, daß meine Freunde ſo gern bereit wären, rein aus Bewilligungs⸗ luſt an neuen Steuern weit über 100 % hinauszu⸗ gehen. Herr Kollege Stadthagen wird ja doch wohl wiſſen, daß die Einkommenſteuern bei uns in einer ſo außerordentlich unſozialen Weiſe erhoben werden, und zwar leider erhoben werden müſſen, daß die Steuern auch die allerniedrigſten Einkommen in ſehr ſcharfer Weiſe treffen. Wir ſtehen bei uns nun ein⸗ mal unter dem geſetzlichen Zwang, das ſteuerfreie Einkommen nicht auf über 900 ℳ feſtſetzen zu kön⸗ nen, und ſo müſſen wir auch die Einkommen, die 900 ℳ auch nur um einiges Wenige überſteigen, alſo von 1000 und 1200 ℳ, mit Steuerſätzen belegen, wohingegen die Progreſſion der Steuer nach oben außerordentlich gering iſt. Meine Herren, ſo lange ſolche Zuſtände herrſchen, ſo lange wir nicht ein Rein⸗ einkommen bis zu 3000 ℳ vollkommen ſteuerfrei laſſen können, ſo lange wird ja wohl Herr Kollege Stadthagen uns doch wohl glauben, daß wir nicht gerade leichten Herzens die direkten Steuern ver⸗ mehren, wenn wir auch allerdings bereit ſind, not⸗ wendige Ausgaben aus direkten Steuern zu bewil⸗ ligen und nicht etwa allerlei mögliche und unmögliche indirekte Steuern ſtatt deren einzuführen. Alſo, wie geſagt, leichten Herzens werden wir in eine Erhöhung des Steuerſatzes auch nicht willigen können, und wir haben darüber auch niemals einen Zweifel gelaſſen. Aber einen Vorwurf möchte ich dem Magiſtrat daraus nicht machen, daß er dadurch eine Beunruhigung in die Bevölkerung getragen hat, daß hier in Charlottenburg die Steuer über 100 % hin⸗ ausgehen ſoll. Ganz im Gegenteil, ich möchte dem Magiſtrat weit eher Dank ausſprechen, daß er dafür ſorgt, daß in der Bevölkerung über die finanzielle Lage der Kommune Klarheit verbreitet wird. Wenn deswegen einige Leute weniger nach Charlottenburg 93 ziehen, ſo kann ich das nicht ſo außerordentlich tragiſch nehmen. Ich glaube nicht daran, daß einige Prozent mehr oder weniger an direkten Steuern ein ſo aus⸗ ſchlaggebendes Moment für die Wahl des Wohnortes ſind. (Widerſpruch.) Charlottenburg wird nicht deswegen von vielen bevorzugt, weil es eben an 100 % feſthält, ſondern weil die beſondere Lage von Charlottenburg eine ganze Reihe von Leuten veranlaßt, lieber in Char⸗ lottenburg als in dem etwas weiter gelegenen Wil⸗ mersdorf zu wohnen. An ſich wird ja in Wilmersdorf durchaus nicht eine höhere, eher noch eine niedrigere Steuer als in Charlottenburg erhoben. Auch wenn in Charlottenburg der Steuerſatz etwas höher gewor⸗ den ſein wird, auch dann wird Charlottenburg den Vorzug ſeiner Lage, den Vorzug der allgemeinen Entwicklung, den Vorzug, der durch die ganze Ver⸗ waltung der Stadt geboten wird, noch immer beſitzen und dadurch eine ſtarke Anziehungskraft ausüben. Vor allen Dingen iſt die Frage des Schulbeſuchs, der nötigen Vorſorge für Schulen für diejenigen, die ihren Wohnort wechſeln, die ihren Wohnort in der Nähe von Berlin ſtatt in Berlin ſelbſt aufſchlagen wollen, viel wichtiger als die Frage eines mehr oder minder hohen Kommunalſteuerzuſchlags. Da iſt es ja außerordentlich charakteriſtiſch, daß gerade auf dem Gebiet des Schulbaues Herr Kollege Dr Stadthagen das Tempo etwas zu ſchnell findet. Er meint, wir ſollten mit den Schulbauten viel lang⸗ ſamer vorgehen, wir hätten ein zu ſchnelles Tempo eingeſchlagen. Meine Herren, ein zu ſchnelles Tempo in den Schulbauten angeſichts eines Etats, der uns nachweiſt, daß wir 70 000 %ℳ als Miete für Schul⸗ räume ausgeben! Für 70 000 %ℳ haben wir auch in dieſem Jahre wieder Klaſſenräume gemietet, um die Gemeindeſchüler unterzubringen. Und da wird von Herrn Kollegen Dr Stadthagen behauptet: wir ſeien mit den Schulbauten zu ſchnell vorgegangen. Dabei ertönen von den Bürgern, die ihre Kinder in dieſe gemieteten Schulräume hineinſchicken müſſen, ſtändig Klagen über den Zuſtand der Räume. (Sehr richtig!) Ich will das nicht unterſuchen, ich weiß nicht, wie weit dieſe Klagen berechtigt ſind; aber denken kann ich mir ſehr wohl, daß wir in den gemieteten Schul⸗ räumen nicht in der Weiſe für die notwendigen hygieniſchen Einrichtungen Sorge tragen können, wie in den Schulen, die wir ſelber herrichten. Ich begreife es ſehr wohl, daß die Eltern derjenigen Kinder, die in ſolchen gemieteten Klaſſen untergebracht werden, das als einen Nachteil empfinden, ſich gewiſſermaßen zurückgeſetzt, als Bürger zweiter Klaſſe fühlen. (Widerſpruch.) Meine Herren, ich habe erſt heute wieder einen Brief mit Klagen über die Mietsräume in der Lützower Straße erhalten, und es iſt ja auch ganz klar, daß wir in dieſen Mietsräumen nicht diejenigen Einrich⸗ tungen treffen können, wie uns das in unſeren eigenen Räumen möglich iſt. (Sehr richtigl)