94 Alſo, meine Herren, wir ſind nicht zu ſchnell in un⸗ ſeren Schulbauten vorwärts gegangen, ſondern weit eher zu langſam. Auch iſt das an ſich ein ſehr unrentables Geſchäft; denn durch dieſes langſame Vorwärtsſchreiten in bezug auf die Schulbauten geben wir nicht nur die teuren Mieten für die Schulräume aus, ſondern wir werden auch noch, wie wir das aus Erfahrung wiſſen, zu koſtſpieligen Umbauten in den Häuſern, die wir anmieten, genötigt, was dazu beiträgt, daß die Unter⸗ bringung von Schulklaſſen in Mietsräumen nicht ge⸗ rade zu den billigen Einrichtungen gehört. Meine Freunde werden auf keinen Fall zuſtim⸗ men können, daß das Jahr 1913 einen Wendepunkt in der Entwicklung Charlottenburgs, wie der Herr Kämmerer ſich ausdrückte, inſofern bedeuten ſoll, daß an die Löſung ſozialer Fragen in anderer Weiſe her⸗ angegangen werden ſoll wie früher. Der Herr Käm⸗ merer ſagte zwar in vorſichtiger Weiſe, die ſozialen Aufgaben, die die Stadt bisher in die Hand genom⸗ men hat, ſollten in gleicher Weiſe ausgebaut werden; der Magiſtrat würde ſich aber davor hüten, an neue ſoziale Aufgaben, die ſich durch die Entwicklung auf⸗ drängen, heranzugehen. Meine Freunde ſind der Meinung, daß die Finanzlage der Stadt eine ſolche Politik in keiner Weiſe rechtfertigen kann und recht⸗ fertigen darf, ſondern wenn ſich mit der Entwicklung Charlottenburgs neue Aufgaben auf ſozialem Ge⸗ biete herausſtellen, dann hat gerade eine ſo bevorzugt liegende Stadt wie Charlottenburg die Verpflichtung, vor ſolchen neuen Aufgaben auch nicht zurückzu⸗ ſchrecken. (Sehr richtig!) Die Forderungen, die die Arbeiterklaſſe, die minder⸗ bemittelten Schichten der Bevölkerung an die Stadt⸗ verwaltung ſtellen, ſind in der Tat noch lange nicht auch nur annähernd erfüllt. Der Herr Kämmerer wies ſelbſt darauf hin, daß wir im nächſten Jahre wieder den Normaletat zu beraten, wahrſcheinlich zu revidieren haben würden. Auch die Löhne der Arbeiter werden wir dabei mit zu revidieren haben. Auf allen dieſen Gebieten werden wir verſuchen, den Magiſtrat, wenn er nicht von ſelbſt eine Initiatave ergreift, vorwärts zu drängen. Dabei wird es uns natürlich nicht ſchrecken, wenn wir über die 100% hinausgehen müſſen. Das iſt eine Erklärung, die wir bereits vor Jahren abgegeben haben, als dieſe Frage hier zuerſt auftauchte. Da⸗ mals wurde auch von liberaler Seite mehrfach ge⸗ ſagt: wir werden die 100% niemals als ein noli me tangere betrachten, ſondern wenn die Notwendig⸗ keit ſich herausſtellt, werden wir über 100% hinaus⸗ gehen. Der Magiſtrat ſelbſt ſcheute das damals, un, Herr Kollege Wöllmer hat nicht unzutreffend auf die Rede des Herrn Kämmerers vom Jahre 1910 un“ darauf hingewieſen, daß der Herr Kämmerer ſelbſt Reſerven zur Balanzierung des Etats in Anſpruck nahm, die nach ſeiner heutigen Rede nicht benutzt werden dürfen, wenn eine geſunde Finanzgebarun ſtatthaben ſoll. Aber wenn der Magiſtrat nun durch die Ent⸗ wicklung zu einer beſſeren Einſicht gekommen iſt und unſere Finanzen auf geſundere Grundlagen ſtelle⸗ will, und zwar in der ſicheren Vorausſicht, daß, wenr es jetzt nicht geſchieht, die Finanzen noch viel un⸗ geſunder werden müſſen, ſo iſt das ein Weg, auf dem wir ihm nur folgen können. Es iſt ja bei dem Sitzung vom 19. Februar 1913 diesjährigen Etat gar nicht mehr die Rede davon über 100% hinauszugehen, um die überſchießender 10% zu einem Fonds anzuſammeln, um gemeinſam mit den anderen Kommunen denſelben Steuerſatz zu behalten; es iſt gar nicht mehr die Rede davon, des Geſamtintereſſes von Groß⸗Berlin wegen über die 100% hinauszugehen, ſondern allein der Etat von Charlottenburg, ſo wie er vorliegt, iſt geprüft worden, und die Bedürfniſſe von Charlottenburg ver⸗ langen gebieteriſch von uns, daß wir über den bi⸗ herigen Steuerſatz hinausgehen, wenn wir nicht etwa indirekte Steuerquellen eröffnen oder an notwendigen Ausgaben in ſtarker Weiſe Abſtriche machen wollen. (Sehr richtig!) Herr Kollege Dr Stadthagen — oder war es Herr Kollege Wöllmer, der auf die einmaligen Aus⸗ gaben hinwies — iſt nicht darauf eingegangen, daß der Herr Kämmerer ſagte, beim Straßenbau ſei dies⸗ mal abſolut gar nichts eingeſetzt, wenn man nicht die Rate für den Spandauer Berg, die wahrhaftig nicht mehr aufſchiebbar iſt, anführen will. In rrü⸗ heren Jahren machte man an dieſem Kapitel Ab⸗ ſtriche, indem man die Ausgaben auf das nächſte Jahr verſchob oder indem man ſagte: der Etat wird uns ja noch Ueberſchüſſe bringen, es wird ſich ja bei der Abrechnung herausſtellen, daß wir mehr Ueber⸗ ſchüſſe bekommen, als erwartet worden ſind, und dann wollen wir aus dieſen Mitteln die notwendigen Aus⸗ gaben bei dem Kapitel decken. In dieſem Jahre finden wir in dem Etat nicht eine einzige Angabe dafür, und wir müßten diesmal meiner Empfin⸗ dung nach, wenn es im Etatsausſchuß wirklich ge⸗ lingt, noch neue Mittel nachzuweiſen, dieſes Kapitel ſtärken, und auch eine andere Reihe von Aufgaben für Ausgaben wird ſich leicht nachweiſen laſſen. Die Finanzmiſere — wenn man ſich ſo aus⸗ drücken will —, unter der wir leiden, iſt ja nicht eine ganz beſondere Charlottenburger Eigentümlich⸗ keit. Der Herr Kämmerer wies auf das Anwachſen unſeres Schuldendienſtes hin. Die geſamte Finanz⸗ politik der Gegenwart beruht ja auf einem ſolchen Schuldenmachen. Wie im Staat und im Reich ſo iſt es genau in den Kommunen, daß wir uns die not⸗ wendigen Mittel durch Kredite ſchaffen und dann in der Form der Verzinſung einen Tribut an die⸗ jenigen zahlen, die uns dieſe Kredite gewährt haben, an Leute, die mit der Entwicklung der Stadt gar nichts zu tun haben. Das iſt aber eine Einrichtung, die mit unſerem geſamten Geſellſchaftsſyſtem aufs engſte und organiſch zuſammenhängt. Wir können uns innerhalb einer einzelnen Kommune nicht davon freimachen, innerhalb einer einzelnen Kommune können wir natürlich nicht eine grundſätzlich andere Finanzgebarung herbeiführen, deren Vorausſetzung eine ganz andere Wirtſchaftsordnung wäre. Darum können wir auch weder den einzelnen Parteien noch dem Magiſtrat einen Vorwurf daraus machen. Wir werden mit dieſer Anleihewirtſchaft in derſelben Rich⸗ tung auch ſolange fortfahren müſſen, ſolange wir innerhalb der gegenwärtigen Geſchichtsperiode, inner⸗ halb der kapitaliſtiſchen Epoche leben. Freilich würden wir auch innerhalb dieſer Epoche gerade auf dem Gebiete der Finanz⸗ gebarung, auf dem Gebiete der Erſchließung direkter Steuerquellen ſehr erheblich vorwärts kommen, wenn es uns gelänge, die Geſetz⸗ gebung dahin zu beeinfluſſen, daß das Kommunal⸗ ſteuergeſetz anders geſtaltet und in einer Richtung ausgebaut wird, wie ich es ja zu Anfang meiner