Sitzung vom 19. Februar 1913 hin, die der Herr Kämmerer ſoeben für das Jahr 1914 haben gegeben hat. Man hat die früheren Ausführungen meiner Freunde und von mir darüber als Kaſſandra⸗ rufe bezeichnet. Meine Herren, ich möchte mich mit Kaſſandra nicht verglichen ſehen, nicht wegen der Be⸗ merkung, die der Herr Kämmerer vorhin über die Beſſerwiſſer und die Vorweisheit gemacht hat — eine derartige Kritik laſſe ich mir ſehr gern gefallen⸗ (Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Sie war gar nicht auf Sie gemünzt!) — Sie war alſo gar nicht auf mich gemünzt; ich würde ſie ſonſt auch gern auf mich beziehen ſondern weil ich glaube, daß die Anſichten, die ich über unſere Finanzen und die Zukunft der Finanzkraft unſerer Stadt geäußert habe, inſofern mit den Vorausſagun⸗, gen Kaſſandras nicht verglichen werden können, als nach meiner Deutung eine Aenderung noch möglich iſt, und ich glaube, daß wir noch einlenken können. Auf meine Vorausſagungen paſſen alſo nicht die Worte, die der Dichter Kaſſandra ſagen läßt: „Warum gabſt du mir zu ſehen, was ich doch nicht wenden kann!“ (Heiterkeit.) Es iſt noch Zeit zur Umkehr und zu einer größeren Sparſamkeit! Wir können noch mit einer vorſich⸗ tigeren Finanzgebarung auskommen! Dazu, meine Herren, gehört allerdings ein hörbarer und/ fühlbarer Ruck, und daß dieſer von Ihnen mitgemacht wird, darauf richtet ſich mein Appell. Ich ſtimme hinſichtlich der allgemeinen Geſichts⸗ punkte vollkommen mit den vom Herrn Kämmerer geltend gemachten überein. Ich möchte ihm nur auf ſeine Ausführungen darüber, daß ein höherer Pro⸗ zentſatz der Einkommenſteuer unſchädlich ſei, folgen⸗ des erwidern. Meiner Anſicht nach dürfen wir auf dieſen höheren Prozentſatz jedenfalls nicht eher ein⸗ gehen, als die anderen Nachbargemeinden denſelben Schritt tun. Denn gerade die Ausführungen, die wir über den Bevölkerungszuwachs und über die geringe Anzahl von verfügbaren Wohnungen gehört haben, zeigen, daß es ein ſehr gefährliches Experiment wäre. Zweitens: die größeren Ausgaben, die uns eventuell durch den Zweckverband für nächſtes Jahr ſchon drohen können und auf die auch bereits der Herr Kämmerer zur Begründung ſeines Vorſchlages hin⸗ gewieſen hat, müſſen dann zur Erhöhung der Steuern führen, alſo zu einer weiteren Steigerung, die wir eingeführt hätten, als es noch nicht abſolut notwendig war. Drittens möchte ich Sie daran er⸗ innern, daß wir vor einer Erhöhung der Reichsſteuern ſtehen, die aus allgemeinen Staatsrückſichten durchaus geboten iſt, ſodaß nicht nur in einer, ſondern in doppelter, ja vielleicht, ſollte das neue Einkommenſteuergeſetz durchgehen, in drei⸗ facher Beziehung größere Anforderungen an die Steuerkraft unſerer Bevölkerung geſtellt werden müſſen. 4145 71 Zu vermeiden iſt dieſe Erhöhung um 10 %, wenn wir zu einer ſparſameren Wirtſchaft auch bei den laufenden Ausgaben zurückkehren: und da läßt ſich bei einzelnen Poſten des Etats viel erinnern. Ich möchte nur erwähnen: hier werden 1000 dℳ 20 Adreßbücher gefordert. Das ſind 85 Adreßbücher. as glauben Sie denn, wieviel Adreßbücher 3. B. ein großes Gericht oder eine große Königliche Behörde 97 2 Wir haben uns bei den Prozeßabteilungen des Amtsgerichts Charlottenburg das Adreßbuch im⸗ mer aus der Generalabteilung holen laſſen müſſen, und hier wollen Sie für 36 Stellen — da rechne ich die Zahlſtellen und die Kaſſenſtellen mit — 85 Adreß⸗ bücher anſchaffen; das iſt doch überflüſſig. Ferner möchte ich darauf hinweiſen, daß im vorigen Jahre 45 000 ℳ, in dieſem Jahre 50 000 ℳ für Formulare angeſetzt werden. (Stadtrat und Kämmerer Scholtz: Das ſpart ſogar!) So, wenn der Anſatz dieſe Abſicht in der Tat ver⸗ wirklichen ſoll, dann ziehe ich meinen Widerſpruch zurück. Meine Herren, wir werden — des bin ich ſicher im Ausſchuß das Ziel der hundertprozentigen Ein⸗ kommenſteuer erreichen. Ich will auf die einzelnen Vorſchläge, die hier dafür gemacht ſind, nicht zurück⸗ kommen. Ich will auch nicht darauf hinweiſen, daß die Bierſteuer doch eigentlich gar nicht ſo zu verachten iſt; denn da ſie in Berlin 1½ Millionen bringen ſoll, würden wir doch mindeſtens 100 000 % daraus ziehen können, ohne den Konſum und das Schank⸗ gewerbe zu ſchädigen. Ich möchte nur noch einmal betonen, daß auch meine Freunde und ich das, was der Herr Kämmerer einen geſunden Fortſchritt nennt, durchaus mitmachen wollen, daß wir Engherzigkeit nicht zu zeigen, insbeſondere die Kulturaufgaben nicht zu vernachläſſigen brauchen und trotzdem den alten Satz von 100 % beibehalten können. Wenn Sie das bewirken, meine Herren, ſorgen Sie am beſten für die Zukunft; denn die beſte Reſerve iſt die Möglichkeit der Anſpannung der Steuerkraft. (Sehr richtig!) Erhalten Sie dieſe, dann bauen Sie vor für ſchlechte Zeiten und für die Deckung unerwarteter großer Ausgaben in ſpäteren Jahren. (Bravo!) Stadtv. Dr Stadthagen (perſönliche Bemer⸗ kung): Herr Kollege Borchardt hat gegen Aeußerun⸗ gen polemiſiert, die ich überhaupt nicht getan habe. Ich verzichte darauf, ihn zu wiederlegen; denn es 5 ſich ja aus dem Stenogramm das Unrichtige rgeben. (Zuruf: Das Unrichtige Ihrer Aeußerungen!) — Nein, das Unrichtige der Polemik des Herrn Kollegen Borchardt! Wenn aber Herr Kollege Hirſ darauf eingeht, muß ich hier nochmals feſtſtellen, d4 ich abſolut nicht davon geredet habe, daß das Tempo bei den Schulbauten früher hätte langſamer ſein ſollen, und ich habe auch nicht behauptet, daß es jetzt langſamer ſein ſoll, ſondern ich habe geſagt: wenn der Zuzug der Bevölkerung geringer iſt, dann kann naturgemäß auch das Tempo der Schulbauten langſamer werden. Das iſt etwas ganz anderes, als was Herr Kollege Borchardt ge⸗ äußert hat. un An Statv. Dr. Borchardt (perſönliche Bemerkung). Ich nehme gern davon Notiz, daß der Herr Kollege Stadthagen entgegen der Erklärung in ſeinen erſten