208 Bürgermeiſter Dr Maier: Ich möchte gegen⸗ über den Ausführungen des Herrn Stadtverordneten Gebert darauf hinweiſen, daß es unzutreffend iſt, daß der Magiſtrat überhaupt in dieſer Angelegenheit Stellung genommen hat. Der Magiſtrat hat ſich mit der Frage, die wir hier heute zu erörtern haben, über⸗ haupt noch nicht beſchäftigt. Die Sachlage iſt viel⸗ mehr folgende. 8 Nachdem der Antrag auf Abſchluß eines kollek⸗ tiven Tarifvertrages ſeitens des Arbeiterausſchuſſes des Elektrizitätswerkes geſtellt war, iſt dieſe Ange⸗ legenheit vor den allgemeinen Arbeiterausſchuß ge⸗ bracht worden, um dieſem Gelegenheit zu geben, zu dieſer Frage Stellung zu nehmen. In dem allge⸗ meinen Arbeiterausſchuß iſt der Antrag auf Abſchluß von Kollektivverträgen mit 10 Stimmen angenom⸗ men worden. Nach den Erklärungen der Vertreter der Arbeiterausſchüſſe waren die Arbeiter der Hoch⸗ bauverwaltung und der Straßenreinigung gegen den Abſchluß der Tarifverträge, ebenſo war bei der Park⸗ verwaltung die Mehrheit dagegen, bei den Waſſer⸗ werken etwa die Hälfte. Nur bei dem Elektrizitäts⸗ werk war die überwiegende Mehrheit für den Ab⸗ ſchluß des Tarifvertrages. Für die Gaswerke iſt eine Feſtſtellung über den Standpunkt der Arbeiter nicht getroffen worden. Meine Herren, der Antrag, der hier geſtellt worden iſt, geht davon aus, daß der kollektive Tarif⸗ vertrag nicht mit den ſtädtiſchen Arbeitern als ſol⸗ chen, ſondern mit den Arbeiterorganiſationen abge⸗ ſchloſſen werden ſoll, und zwar werden als Kontra⸗ henten der Verband der Gemeinde⸗ und Staats⸗ arbeiter, Ortsverwaltung Berlin, und ferner der Ortsverband der ſtädtiſchen Gärtner in Ausſicht ge⸗ nommen. Nun iſt hervorzuheben, daß in dieſen Or⸗ ganiſationen ſich nur ein Teil unſerer ſtädtiſchen Ar⸗ beiter befindet, daß ein anderer Teil der Arbeiter überhaupt nicht organiſiert iſt. Das ſind die tat⸗ ſächlichen Verhältniſſe. Ich kann nun heute eine Erklärung namens des Magiſtrats über dieſe Frage nicht abgeben, ſondern kann Ihnen lediglich die tatſächlichen Verhältniſſe zur Prüfung und Entſcheidung darüber unterbreiten, ob dieſe tatſächlichen Verhältniſſe dazu angetan ſind, etwa die Angelegenheit ſeitens der Stadtverordneten⸗ verſammlung in einem Ausſchuß zu erörtern, oder ob Sie davon Abſtand nehmen wollen, nachdem ich Ihnen die Erklärung abgegeben habe, daß der Ma⸗ 1.4 ſich auch noch mit dieſer Frage beſchäftigen muß. Meine Herren, ich perſönlich betrachte die Sache folgendermaßen. Ich ſage, daß unſere bisherige Arbeiter⸗ und Lohnpolitik in unſerer Stadt die Ten⸗ denz verfolgt hat, auch für die privaten Betriebe vor⸗ bildlich zu ſein. Wir haben die Rechtsverhältniſſe der Arbeiter über den Rahmen des rein privatrechtlichen Arbeitsvertrages weit hinaus ausgeſtattet und haben meines Erachtens das Arbeitsverhältnis mit öffent⸗ lich⸗rechtlichen Geſichtspunkten durchſättigt. Zwiſchen der Arbeiterſchaft und der Stadt hat ſich infolgedeſſen nach einem Dafürhalten ein quasi öffentlich⸗recht⸗ liches Verhältnis herausgebildet, das ſeinem Weſen und ſeinen Zielen nach auf die Dauer berechnet iſt. Ich mache darauf aufmerkſam, daß dagegen der Tarifvertrag immer nur auf eine beſtimmte Zeit ab⸗ geſchloſſen werden ſoll. Es iſt der den Gedanken der Dauer zum Aus⸗ druck bringende Begriff der Stadtarbeiterſchaft ge⸗ rade in jüngſter Zeit ganz erheblich erweitert worden. Sitzung vom 23. Avril 1913 Man hat in den Beſtimmungen, die über dieſe Frage beſtehen, neuerdings feſtgeſetzt, daß als Stadtarbeiter aufgenommen werden kann: wer in einem Arbeitsverhältnis beſchäf⸗ tigt wird, deſſen Dauer für einen ununter⸗ brochenen Zeitraum von länger als 9 Monaten in Ausſicht genommen iſt, wenn er eine Pro⸗ bezeit von 6 Monaten mit Erfolg zurückgelegt hat, nach Unterſuchung des Vertrauensarztes für dienſttauglich befunden iſt, nach Auskunft der Regiſterbehörde keine Strafe erlitten hat und nicht unter 18 und über 45 Jahre alt iſt. Es wird der Begriff des Stadtarbeiters alſo ohne weiteres auf alle Arbeiter zur Anwendung ge⸗ bracht, und wo auch nur die Ausſicht beſteht, daß ein derartiges Arbeitsverhältnis ein dauerndes werden kann. Daraus ergibt ſich die von mir behauptete Beziehung, die ſich zwiſchen der Stadtgemeinde und der Arbeiterſchaft bildet und die ſich ganz weſentlich und materiell von dem Rechtsverhältnis unterſcheidet, das zwiſchen einem Arbeiter in einem privaten Be⸗ triebe und dem Unternehmer beſteht. (Stadtv. Wöllmer: Sehr richtig!) In Anſehung der Stadtarbeiter iſt bezüglich der Lohnzahlungen, der Lohnaufrückungen ein Normal⸗ plan vorgeſehen, d. h. wir haben von vornherein die Arbeiterlöhne tarifiert, ſodaß ein jeder in der Lage iſt, von vornherein zu wiſſen, wie ſich ſeine Arbeits⸗ bedingungen und ſein Arbeitsverhältnis bei uns ge⸗ ſtaltet; wir haben ferner eine weitgehende Fürſorge für Arbeiter bei Erkrankungen getroffen, indem wir ihnen die Fortzahlung des Lohnes auf 26 Wochen unter Abzug des Krankengeldes gewähren; daß wir bei kurzen Arbeitsverſäumniſſen keinen Lohnabzug eintreten laſſen; daß bei militäriſchen Uebungen die Fortzahlung des halben Lohnes auf 8 Wochen ſtatt⸗ findet; daß, wenn der Erholungsurlaub auf die Uebungsdauer angerechnet wird, für dieſe Zeit eine Lohnkürzung nicht eintritt. Wir haben die Familien⸗ zulagen bei mehr als drei Kindern beſchloſſen. Wir gewähren Dienſtbekleidung bei gewiſſen Dienſt⸗ betrieben. Wir gewähren Erholungsurlaub bei ge⸗ wiſſer ſtändiger Beſchäftigung unter Fortbezug des Lohnes. Wir geben nach Ablegung einer beſtimmten Zeit ein beſonderes Jubiläumsgeſchenk und gewähren, was beſonders bedeutungsvoll iſt, Ruhelohn nach zehnjähriger Dienſtzeit ſowie Witwen⸗ und Waiſen⸗ geld. Wir gewähren ferner Unfallpenſion auch den⸗ jenigen Angeſtellten und Arbeitern, die nicht in reichsgeſetzlich unfallverſicherungspflichtigen Betrie⸗ ben beſchäftigt ſind, und erhöhen ſowohl für die in als auch für die außerhalb der reichsgeſetzlichen Un⸗ fallverſicherungspflicht ſtehenden Arbeiter die zu zah⸗ lenden Unfall⸗, Witwen⸗ und Waiſenrenten nicht un⸗ erheblich. Wir haben die Gnadenbezüge für die Hinterbliebenen beim Tode eines Arbeiters in der Weiſe geregelt, daß die Lohnzahlung während des Gnadenviertelfahrs an die Hinterbliebenen ſtatt⸗ findet, wenn der betreffende Arbeiter 10 Jahre im ſtädtiſchen Dienſt war. Wir haben eine ſtändige Po⸗ ſition für Unterſtützung von Arbeitern in Fällen der Bedürſtigkeit mit Mitteln des Etats. Ebenſo gewäh⸗ ren wir Unterſtützung an Hinterbliebene von Ar⸗ beitern bei Bedürftigkeit aus der Jubiläumsſtiftung. Sie ſehen alſo, daß das ganze Verhältnis zwiſchen Arbeitern und der Stadt ein ſehr enges iſt, von vorn⸗ herein den Charakter des dauernden in ſich trägt und