210 bei wiro all das Für und Wider in dieſer Frage er⸗ örtert werden. Ich möchte weiter noch folgendes hervorheben. Es hat eine Enquete des Städtetags über die Frage ſtattgefunden, ob irgendwo ſchon ein derartiger Tarif⸗ vertrag zwiſchen einer ſtädtiſchen Körperſchaft und der Arbeiterſchaft abgeſchloſſen iſt. Da hat ſich heraus⸗ geſtellt, daß, abgeſehen von zwei oldenburgiſchen Ge⸗ meinden, Rüſtringen und Oſternburg, ſolche Tarif⸗ verträge nicht abgeſchloſſen ſind. Stadtv. Gebert: München!) — Nein, Herr Gebert, in München iſt die Sache ab⸗ gelehnt worden. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Bant bei Wilhelmshaven!) — Nein, meine Herren, nach der Enquete, die mir hier vorliegt, iſt das nicht der Fall. Bezüglich Mün⸗ chens bin ich auch berichtet worden, daß ein ſolcher Vertrag nicht abgeſchloſſen iſt. Alſo das iſt das tatſächliche Material, das ich Ihnen zur Prüfung des Antrags gegenwärtig unter⸗ breiten kann. Ich ſtelle anheim, zu erwägen, ob es zweckmäßiger iſt, ſchon alsbald einen Ausſchuß ein⸗ zuſetzen oder es zunächſt dem Magiſtrat zu über⸗ laſſen, ob und wie er ſeinerſeits zu dieſer Frage Stel⸗ lung nehmen will. Stadtv. Meyer: Meine Herren! Der Herr Bürgermeiſter hat bereits ſo außerordentlich ausführ⸗ lich faſt alle ſachlichen Geſichtspunkte erörtert, daß es kaum möglich iſt, aus den Reihen der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung noch Neues hinzuzufügen. Ich halte es aber dennoch für erforderlich, den Stand⸗ punkt meiner Fraktion zu dieſem Antrage, deſſen Wichtigkeit wir anerkennen, darzulegen, um ſo mehr, als ich der Anſicht des Herrn Bürgermeiſters ent⸗ gegentreten muß, daß die liberale Fraktion auf Grund ihrer allgemeinen politiſchen und ſozialen An⸗ ſchauungen von vornherein für den Abſchluß der Kollektivverträge durch die Gemeinde einzutreten hätte, weil dadurch eine Gleichſtellung der Gemeinde⸗ und der Privatbetriebe als Arbeitgeber herbeigeführt würde. Dieſe Auffaſſung, die der Herr Bürger⸗ meiſter hier angedeutet hat, teilen meine Freunde nicht. Im Gegenteil, wir verkennen, ohne gegen kollektive Arbeitsverträge hier oder dort etwa grund⸗ ſätzlich Stellung zu nehmen, doch nicht von vornherein den großen Unterſchied, der darin beſteht, ob der kollektive Arbeitsvertrag für den Privatbetrieb oder für die Gemeinde in Betracht kommt. Wenn es heute auch noch nicht als völlig geklärt gelten kann, daß für die Privatinduſtrie auf allen Gebieten der Kollektivvertrag nützlich wirkt, ſo gebe ich Herrn Kollegen Gebert immerhin zu, daß der Zug der Zeit hier den Abſchluß kollektiver Arbeitsverträge begünſtigt, und ich perſönlich bin ein Freund derarti⸗ ger Arbeitsverträge. Ich kann das um ſo mehr hier ausfprechen, als ich beim Abſchluß von Tarifver⸗ trägen in großen Induſtrien wiederholt in leitender Stellung mitgewirkt habe. Indes iſt das nicht ohne weiteres maßgeblich für die Beurteilung kollektiver Arbeitsverträge in öffentlichen Betrieben. Vielmehr müſſen wir, um ein Urteil zu gewinnen, zunächſt die Verſchiedenheiten der Sachlage be Im privaten Arbeitsverhältnis ſtehen ſich von Anfang an zwei entgegengeſetzte Intereſſen Sitzung vom 23. April 1913 gegenüber. Gewiß tragen wirtſchaftliche Verhältniſſe und die Geſetzgebung dazu bei, daß die Entſcheidung des Kampfes zwiſchen dieſen beiden Intereſſen immer in gewiſſen Grenzen auffallen muß. Aber ſowohl die wirtſchaftlichen Verhältniſſe wie die Geſetzgebung laſſen noch ſehr weſentliche Entſcheidungen offen, die letzten Endes als Machtfragen erledigt werden. In Machtfragen iſt die Organiſation erforderlich, iſt ſie auf beiden Seiten erforderlich, auf Seiten der Arbeit⸗ nehmer, um ihre Macht unter Umſtänden durch Ar⸗ beitseinſtellung, durch Streik, zu zeigen, auf Seiten der Arbeitgeber, um gegebenenfalls das Mittel der eibeitsausſperrung anzuwenden. Das ſind Begleit⸗ erſcheinungen des Machtkampfes, die im allgemeinen wirtſchaftlichen Intereſſen ebenſo wie im Intereſſe der Induſtrie und der Arbeiterſchaft unliebſam ſind. Ihnen auf mehrere Jahre vorzubeugen, bietet ſich der kollektive Arbeitsvertrag den Organiſationen als taugliches Mittel. Wenn trotzdem heute noch die Abneigung eines Teils der Induſtrie gegen den kollektiven Arbeits⸗ vertrag beſteht, ſo iſt mir das, obwohl ich ein Freund des Vertrages bin, durchaus nicht unverſtändlich. Ich räume ohne weiteres ein, daß vor dem Ablauf eines jeden ſolchen Arbeitsvertrages eine monatelange Un⸗ ruhe in der Arbeiterſchaft ganz unvermeidlich iſt. Dann kommt eine Schwierigkeit, die von Jahr zu Jahr, wie die Herren von der Linken gewiß ſelbſt zugeben werden, zunimmt, daß nämlich die freien Gewerkſchaften, die, wie die Dinge nun einmal ſind, in den Induſtriegebieten die große Mehrheit der Arbeiterſchaft in der Regel repräſentieren, es ab⸗ lehnen, ſich in gemeinſame Vertragsverhandlungen mit anderen Verbänden einzulaſſen. — Schütteln Sie dazu nicht mit dem Kopf. Wenn Sie Material in entgegengeſetzter Richtung vorzubringen beabſich⸗ tigen, wäre mir das ſehr intereſſant. Ich werde Ihnen dann aus meinen eigenen Erfahrungen über⸗ zeugendes Material für meine Behauptung entgegen⸗ ſtellen können. — Dieſe Schwierigkeit tritt zunächſt ein. Wird ſie nicht gütlich beſeitigt, dann kann die Folge ſein — es iſt mir ſchon in meiner Praxis vor⸗ gekommen, daß dieſe Folge auf das aller ernſthafteſte angedroht wird —, daß die Verhandlungen abge⸗ brochen werden und nun die Gefahr der Arbeitsein⸗ ſtellung und des Kampfes zur Wirklichkeit wird. Ge⸗ lingt es, durch all die Klippen den Abſchluß eines Tarifvertrages hindurch zu retten, dann — das wiſſen wir alle, die in der Praxis des Tarifvertrages ſtehen, — aeſchieht es für die Induſtrie regelmäßig mit ſehr großen Opfern. Von den Arbeitern wird, was ihnen nicht zu verdenken iſt, ſtets verlangt, daß man die vermutlich weiter ſteigende Skala der Lebensmittel und ſonſtigen Bedürfniſſe berückſichtige. Die Lohn⸗ erhöhungen werden in ein Verhältnis gebracht nicht nur zu der gerade herrſchenden Zeit, ſondern auch zu der vermutlich noch ſchlechter werdenden Zeit in den nächſten Jahren. Das iſt für die Induſtrie um ſo unbequemer, als ſie ja mit einer entſprechenden Kurve der Aufbeſſerung der allgemeinen Verhältniſſe niemals rechnen kann, als die Induſtrie im Gegen⸗ teil nicht weiß, wie ſich die Konjunktur ändert, und deshalb darauf gefaßt ſein muß, daß auch bei einer nachteilig veränderten Konjunktur trotzdem die Steigerung der Löhne weiter ihren Fortgang nimmt. Dieſen Nachteilen, die ich hier nur der Voll⸗ tändigkeit halber und aus Gerechtigkeit gegen in⸗ uſtrielle Kreiſe, die im Gegenſatz zu mir noch gegen