Sitzung vom 23. April 1913 den kollektiven Arbeitsvertrag geſtimmt ſind, hervor⸗ hebe, ſtehen die Vorteile gegenüber, die auch meiner Ueberzeugung nach ſehr viel ſchwerer in die Wag⸗ ſchale fallen. Der erſte und größte dieſer Vorteile iſt, daß man mit dem Vertragsabſchluß Ruhe für eine qteihe von Jahren ſchafft. Die Ruhe iſt ein großer Faktor auch für die Induſtrie, für die Arbeit⸗ geber, ſo wichtig, daß man ihn auch mit erheblichen Opfern erkauft. Und noch eins: die Induſtrie iſt ſchließlich ja in der Lage, ſich darauf vorzubereiten, daß bei Ablauf eines Tarifvertrages die Kriſis ein⸗ tritt; ſie kann ſich darauf einrichten, daß die neuen Verhandlungen zum Abbruch führen, ſie kann ſich auf den Kampf vorbereiten. Meine Herren, das alles muß man ſich vergegen⸗ wärtigen, um darlegen zu können, wie außerordentlich verſchieden von dem Kollektivvertrag für den Privat⸗ betrieb der Kollektivvertrag im Gemeindebetrieb zu beurteilen iſt. Hier iſt der Kollektivvertrag noch eine Aus⸗ nahmeerſcheinung. Ich möchte dem Herrn Bürger⸗ meiſter allerdings darin widerſprechen, daß nur zwei oder drei oldenburgiſche Gemeinden den Kollektiv⸗ vertrag eingeführt haben. Nach den Ermittelungen des Verbandes der Gemeinde⸗ und Staatsarbeiter, die ich für zutreffend halte, ſind es 16 Gemeinden, die Kollektivverträge für im ganzen 2103 Beſchäftigte abgeſchloſſen haben. Aber wenn Sie dieſe Zahlen hören, dann werden ſie erſt recht erkennen, wie ver⸗ ſchwindend die Kollektivverträge in den Kommunen ſind. Dazu kommt, daß es ſich ausnahmslos um Gemeinden mit ganz geringer Einwohnerzahl han⸗ delt. Die einzige Ausnahme macht, wie Herr Gebert vorhin durch einen Zwiſchenruf andeutete, aber nur in einem Einzelzweige, München, wo in der Tat eine derartige Abmachung zwiſchen dem Gemeinde⸗ arbeiterverband und der Direktion der ſtädtiſchen Straßenbahnen beſteht. Die jetzt verlangte Ver⸗ allgemeinerung, die Einführung des Kollektivvertrags überhaupt, iſt jedoch von den ſtädtiſchen Kollegien in München mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Außerdem wiſſen Sie ja, daß die Berliner Stadt⸗ verordnetenverſammlung ſich in jüngſter Zeit ſowohl im Plenum wie auch in einem Ausſchuſſe ſehr ein⸗ gehend damit beſchäftigt hat und daß auch dort eine Ablehnung das Ergebnis geweſen iſt. Ich habe das nur zuſammengeſtellt, um daraus zu folgern, daß kommunale Erfahrungen mit kollek⸗ tiven Arbeitsverträgen nur in ganz geringem Maße, jedenfalls nicht in einem Umfang, der für uns von Belang iſt, vorliegen. Recht hat Herr Kollege Gebert, daß die nationalökonomiſche Theorie zum großen Teile auf dem Standpunkt ſteht, daß ſich der Kollek⸗ tivarbeitsvertrag auch für die öffentlichen Betriebe eigne. Er 14 ja ſchon Brentano und Berlepſch er⸗ wähnt. Dasſelbe trifft zu auf Francke und Wilbrandt. Aber ſehr intereſſant iſt mir auf der andern Seite, daß einer der fortgeſchrittenſten Kommunalpolitiker, der Stadtrat Fleſch in Frankfurt, von allen, die bei der Enquete, von der Herr Kollege Gebert ſprach, angefragt worden ſind, der einzige war, der ſich in anderem Sinne ausgeſprochen hat, zugleich der ein⸗ zige, der im praktiſchen Dienſt der Kommune, in Dezernaten, die hiermit zuſammenhängen, ſteht. Er hat, wenn er ſich auch nicht poſitiv dagegen ausge⸗ ſprochen hat, doch erhebliche Bedenken geäußert, was jedenfalls darauf ſchließen läßt, daß die Stadt Frank⸗ 211 furt a. M., die ja mit Recht als eine ſozialpolitiſch fortgeſchrittene gerühmt wird, auf dieſem Gebiete nicht ſehr ſchnell vorzugehen beabſichtigt. Ich gehe davon aus, daß die Kommune als Arbeitgeber in ihrer Struktur völlig verſchieden iſt von dem Privatb triebe als Arbeitgeber, und ich kann mich hier auf Ausführungen beziehen, die auch von den Herren der ſozialdemokratiſchen Fraktion als zutreffend anerkannt werden dürften, nämlich des Organs des Verbandes der Gemeinde⸗ und Staats⸗ arbeiter, „Die Gewerkſchaft“, die in einem Artikel: „Sozialiſierung der Löhne in Gemeindebetrieben“, der allerdings, wie ich nicht verſchweigen will, ſich ſcharf für den kollektiven Arbeitsvertrag in der Stadt⸗ gemeinde ausſpricht, über den Unterſchied zwiſchen Privatbetrieb und Staatsbetrieb in ſehr feiner Weiſe folgendes ausführt: Die Privatbetriebe ſind nicht Selbſtzweck, ſondern Mittel zum Zweck, zur Erhöhung des Profits, der Bereicherung. Ganz anders offen⸗ bart ſich der Charakter der kommunalen Be⸗ triebe. Sie ſind errichtet und werden unter⸗ halten, um die gemeinſamen öffentlichen Be⸗ dürfniſſe der Einwohnerſchaft zu befriedigen. Die Gas⸗ und Elektrizitätswerke liefern der Geſamtheit Licht und Kraft, die Waſſerwerke Waſſer; Kanäle und Kläranlagen uſw. dienen zur Beſeitigung der Fäkalien und Abwäſſer. Nirgends tritt hierbei das kapitaliſtiſche Mo⸗ ment in den Vordergrund. Dazu fehlt auch zunächſt die natürliche Vorausſetzung, der Privatbeſitz der Betriebe. Die Kommunal⸗ betriebe ſind nicht Eigentum eines einzelnen oder eines Konſortiums, ſondern gehören der Geſamtheit der Einwohner, der Zweck, dem ſie dienen, dient wiederum der Geſamtheit. Die darin beſchäftigten Arbeiter dienen eben⸗ falls der Geſamtheit. Meine Herren, ich kann von dieſen Ausführungen im Gegenſatz zu den vorhergehenden und ſpäteren des Artikels nur Wort für Wort unterſchreiben. Aber ich möchte auch noch hinzufügen, daß ein weiterer großer Unterſchied zwiſchen dem Privatbetrieb und dem Kommunalbetrieb der iſt, daß der Privatbetrieb von Intereſſenten der Arbeitgeberpartei geleitet wird, während in der Verwaltung der Kommune auch die ſtädtiſchen Arbeiter ihre Vertretung haben, ihre Ver⸗ tretung — wie ich gleich betone, obwohl ich weiß, daß ich damit Widerſpruch finden werde nicht etwa nur in der ſozialdemokratiſchen Fraktion finden, ſondern daß die Arbeiter von jedem Mitgliede der Stadt⸗ verordnetenverſammlung pflichtgetreu hier vertreten werden. Daraus ergibt ſich: die Vertreter der ſtädti⸗ ſchen Arbeiterſchaft kontrollieren ſelber in der Ver⸗ waltung der Kommune, ob der Arbeiterſchaft das⸗ jenige, was ſie zu beanſpruchen hat, auch zuteil wird. Infolgedeſſen hat auch unſere von Herrn Kollegen Hirſch und ſeinen Freunden ſo heftig angegriffene Mehrheit es zuwege gebracht, daß die Arbeiter unſerer Stadt — wie Herr Kollege Hirſch, wenn der Stenograph es nicht feſthielte, wohl ſelbſt zugeben würde — Vorteile genießen, die im Vergleich zu anderen Betrieben vorbildlich ſind. (Stadtv. Hirſch: Bevor Sie hier das große Wort führten!)