212 — Ich freue mich, daß Herr Kollege Hirſch die Tat⸗ ſache anerkennt. Auf die Frage, wer das herbei⸗ geführt hat, glaube ich nicht eingehen zu ſollen. — Die Folge iſt aber auch, daß wir in allen Fraktionen in dem Wunſche übereinſtimmen, das Arrbeits⸗ verhältnis unſerer Arbeiter ſo auszubauen, daß es einen beamtenähnlichen Charakter bekommt. Und ge⸗ rade dieſes Beſtreben ſcheint mir in Widerſpruch zu ſtehen mit den Tendenzen, die ein Kollektivarbeits⸗ vertrag nur verfolgen kann und verfolgen muß. Das Zweite, was ich in den Vordergrund ſtelle, iſt, daß hier nicht Organiſation gegen Organiſation ſteht. Herr Kollege Gebert hat zwar geſagt, daß die Kommune ſelbſt an ſich ſchon eine Organiſation iſt. Das iſt gewiß richtig; aber ſie iſt keine Organiſation etwa im Sinne eines Arbeitgeberverbandes, und es iſt doch auch ganz ausgeſchloſſen, daß ſie einem Arbeitgeberverbande beitritt. Wenn ſie dieſen Weg beſchreiten wollte, dann müßte ſie ſich erſtens nicht einem. ſondern unzähligen Arbeitgeberverbänden an⸗ ſchließen. Zweitens — und darin werden mir die Herren von der äußerſten Linken ſicherlich zuſtimmen — kommen doch die Machtmittel, die die Arbeitgeber⸗ verbände anzuwenden vorſchreiben und die deshalb auch von der Stadt dann angewendet werden müßten, vor allen Dingen die Ausſperrung, für eine Kom⸗ mune als Machtmittel gegenüber ihren Arbeitern überhaupt nicht in Betracht. Hier fehlt alſo die Mög⸗ lichkeit für die Kommune, als eine geſchloſſene Or⸗ ganiſation der ſtädtiſchen Arbeiterſchaft gegenüber⸗ zutreten. Auch das halte ich für ein recht erhebliches Bedenken gegen den Kollektivarbeitsvertrag für die Stadtgemeinde. Des weiteren ſtimme ich darin dem Herrn Bürgermeiſter unbedingt zu: wie es keine Aus⸗ ſperrung für die Kommune gibt, ſo gibt es auch kein Streikrecht der Arbeiter nach der Auffaſſung, die die Stadt ihren Arbeitern gegenüber vertreten muß. Wir müſſen erwarten, daß Streiks innerhalb der ſtädti⸗ ſchen Arbeiterſchaft unterbleiben. Wir befinden uns damit in voller Uebereinſtimmung mit den Beſtre⸗ bungen, die wir gerade verfolgen, indem wir die wichtigſten Verkehrsanlagen, Beleuchtungsmittel und Dergleichen, verſtadtlichen. Dabei iſt eins der wichtig⸗ ſten Momente, daß die Möglichkeit ausgeſchloſſen werden muß, durch eine Arbeitseinſtellung die Ver⸗ ſorgung der Stadt mit Licht und Waſſer oder etwa die Benutzung der Verkehrsmittel zu verhindern. Nun kann ich mir allerdings nicht verſagen, ſelbſt den Einwurf zu machen, daß die Möglichkeit einer Arbeitseinſtellung auch ohne kollektive Arbeits⸗ verträge beſteht. Aber der Unterſchied iſt hier der: die Privatinduſtrie kann ſich auf einen großen Kampf anläßlich des Ablaufs des Tarifvertrages jahrelang vorbereiten, ihr Pulver trocken halten; ſie weiß, was droht, und iſt darauf gerüſtet. Dem Kommunal⸗ betrieb iſt es nicht möglich, Vorbereitungen dieſer Art zu treffen, und infolgedeſſen würde hier eine all⸗ gemeine Arbeitseinſtellung, wie ſie im Falle der Nichterneuerung eines Tarifvertrages zu befürchten iſt, zur Kataſtrophe für die geſamte Oeffentlichkeit. Das ſcheint mir eins der Bedenken zu ſein, die am allerſtärkſten gegen den kollektiven Arbeitsvertrag für die Stadtbetriebe ſprechen. Meine Herren, wenn ich auch alle dieſe Be⸗ denken hier betone, ſo wiederhole ich doch auf der andern Seite, daß der Antrag der ſozialdemokrati⸗ ſchen Fraktion zu ernſt iſt, als daß wir heute in einer Sitzung vom 23. April 1913 Abſtimmung darüber hinweggehen könnten. Ich glaube, nach meinen Ausführungen nicht rechtfertigen zu brauchen, daß wir nicht in der Lage ſind, den Antrag ohne weiteres anzunehmen; aber ich möchte auch für meine Perſon und zugleich für meine ſämtlichen Freunde erklären, daß wir nicht in der Lage ſind, ihn abzulehnen, weil wir die Frage noch für eine offene halten und der Meinung ſind, daß es im Ausſchuß unter Mitwirkung der Magiſtrats⸗ vertreter gelingen wird, einige wichtige Punkte, die weniger als Parteiſache, denn als Sache allgemeinen und öffentlichen Intereſſes und Wohles anzuſehen ſind, zu klären und vielleicht zu einer Uebereinſtim⸗ mung in weſentlichen Dingen zu gelangen. Es kommt hinzu, daß wir auch berückſichtigen müſſen, daß in der Tat eine Reihe angeſehener wiſſenſchaft⸗ licher Gelehrter den Standpunkt vertreten, der von der ſozialdemokratiſchen Fraktion eingenommen wird. Infolgedeſſen halten wir es für notwendig, daß eine Prüfung in einem Ausſchuß erfolgt, den wir mit Rückſicht auf die Wichtigkeit der Sache mit 15 Mit⸗ gliedern der Stadtverordnetenverſammlung zu be⸗ ſetzen bitten. (Bravo! bei den Liberalen.) Stadtv. Zietſch: Da von der Fraktion des Herrn Kollegen Meyer die weitere Beratung unſeres Antrags in einem Ausſchuſſe vorgeſchlagen iſt, ſo glaube ich mich des Eingehens auf die einzelnen Ausführungen des Herrn Kollegen Meyer wie des Herrn Bürgermeiſters enthalten zu können. Meine Freunde ſind ſelbſtverſtändlich gern bereit, dem An⸗ trag auf Ausſchußberatung beizutreten, weil wir da⸗ von überzeugt ſind, daß einmal die Frage an ſich ungemein ſchwierig iſt, daß zum andern aber auch bei den Herren, die ſich bisher mit dieſer Angelegen⸗ heit nicht eingehend genug beſchäftigen konnten, Zweifel und Unklarheiten über die Bedeutung und über die Tragweite des Tarifvertrags vorhanden ſein können. Deshalb ſind wir mit einer Ausſchußbera⸗ tung ohne weiteres einverſtanden. Aber die Möglich⸗ keit, im Ausſchuß auf die Einzelheiten einzugehen, überhebt mich doch nicht der Notwendigkeit, einige Hauptpunkte, die ich aus den Ausführungen des Herrn Bürgermeiſters und des Herrn Kollegen Meyer herausgreife, kurz zu berühren. Es ſcheinen mir doch fundamentale Gegenſätze in der Auffaſſung über den Tarifvertrag zwiſchen Ihnen und uns zu beſtehen, insbeſondere auch in bezug auf die Ein⸗ ſchätzung der Gemeindebetriebe ſowie der Arbeiter⸗ ausſchüſſe die Anſichten weit auseinander zu gehen. Wenn der Herr Bürgermeiſter ſagt: wir haben für unſere ſtädtiſchen Arbeiterausſchüſſe, wir haben auf. Grund der Beſtimmungen des Normalbeſol⸗ dungsetats oder der Arbeitsordnungen für die ſtädtiſchen Arbeiter vieles geſchaffen, was in anderen Gemeinden für die Arbeiter nicht geſchaffen iſt, dann werden wir das, was geleiſtet worden iſt, nicht weg⸗ zuleugnen verſuchen; im Gegenteil, wir erkennen das gern an. Aber damit, daß das, was in den Ordnungen niedergelegt iſt und was durch die Schaffung der Arbeiterausſchüſſe und des Hauptausſchuſſes getan werden konnte, geſchehen iſt, iſt doch das Verlangen der Arbeiter, Tarifabſchlüſſe zu erhalten, nicht erfüllt worden. Da tritt eben der Gegenſatz hervor, der zwiſchen der Meinung des Herrn Bürgermeiſters und unſerer Meinung beſteht. Das iſt ja das Eigen⸗ tümliche bei dieſer Arbeitsordnung und der jetzigen