Sitzung vom 25. Juni 1913 Ganz anders als Herr Kollege Granitza ſteht die Staatsbehörde zu der Sache. Sie erkennt offenbar die Eriſtenzberechtigung der Privatſchulen zur Zeit noch an, indem ſie z. B. denen, welche den Forderungen der Schulreform bezüglich der höheren Mädchenſchulen entſprechen, eine Berechtigung als höhere Lehranſtalten zuerkennt und ſie direkt dem Provinzialſchulkollegium unterſtellt. Dieſe hiſtoriſche Entwicklung wird Herr Kollege Granitza nicht ändern. Wenn er ferner ſagt, daß die Lehrerinnen an Privatſchulen ausgenutzt würden, ſo mag das ja in manchen Schulen vorgekommen ſein. Wenn er aber weiter ſagt, daß die Klaſſenfrequenz an Privatſchulen zu hoch ſei, ſo beſteht in dieſer Beziehung kein tatſächlicher Unterſchied gegenüber unſeren höheren Schulen; auch in ihnen ſind Klaſſen überfüllt, ſtärker frequentiert, als aus hugieniſchen Gründen wünſchenswert wäre. Auf einem ganz anderen Blatte ſteht es aber, daß wir ſoziale Verpflichtungen gegen die Privat⸗ ſchulen haben; denn durch die Vermehrung der öffentlichen ſtädtiſchen Schulen iſt den Privatſchulen das Waſſer abgegraben worden und infolgedeſſen ſind viele alte Lehrerinnen, die bis dahin ihr Brot hatten, brotlos geworden. Ich kenne ganz vor⸗ treffliche Lehrerinnen, denen es ſo ergangen iſt. Uebrigens hat ſich mit der Entwicklung der öffent⸗ lichen ſtädtiſchen Schulen als merkwürdige Er⸗ ſcheinung gezeigt, daß gerade konfeſſionell gefärbte Schulen — ich will hier keine Namen nennen — eingegangen ſind. Wenn Herr Kollege Jaſtrow die Einſtimmigkeit des Ausſchuſſes betont, ſo hat ihn hierbei offenbar ſein Gedächtnis in Stich gelaſſen; denn Herr Kollege Otto und ich haben energiſch gegen den Mehrheits⸗ beſchluß geſprochen und geſtimmt. Wenn Herr Kollege Jaſtrow von der Verletzung der Gefühle ſpricht, ſo haben wir zwiſchen ſolchen Ge⸗ fühlen zu unterſcheiden, die berechtigt ſind, und den⸗ jenigen, die nicht berechtigt ſind. Es gibt bekanntlich Menſchen, deren Gefühl auch verletzt wird, wenn etwas objektiv Berechtigtes gefordert wird. Würde jemand nachweiſen, daß irgend eine Lehrperſon an einer der in Frage kommenden Schulen antiſemitiſche Tendenzen vertritt, ſo wäre ich als liberaler Mann einer der erſten, der dafür wäre, dieſe Lehrperſon von dem Genuß einer ſolchen aus allgemeinen ſtädti⸗ ſchen Mitteln aufzubringenden Altersverſorgung aus⸗ zuſchließen. DWir haben unter unſeren Kollegen eine ganze Reihe, die zeitweiſe in ihrer pädagogiſchen Laufbahn genötigt geweſen ſind, um Brot zu verdienen, eine Tätigkeit an Privatſchulen zu übernehmen, ohne damit deren Tendenzen, über die ſie ſich ſicherlich meiſt vorher nicht klar waren, zuſtimmen zu wollen. Man kann doch aber nicht dafür beſtraft werden ſollen, daß man auf redliche und bildungfördernde Weiſe ohne jemand zu ſchädigen, ſein Brot erworben hat. Genau ſo liegt es hier. Wenn ſich einer Lehrerin, die vielleicht eine kranke Mutter unterſtützen mußte und ehrlich ihr Brot zu verdienen ſuchte, die Ge⸗ 303 Das iſt der Grund, weswegen ich mich auf den Boden der Magiſtratsvorlage ſtelle. Obgleich ich zu⸗ gebe, daß in dem Antrag Damm der Verſuch gemacht iſt, Entgegenkommen zu zeigen, ſind durch denſelben doch die Lehrerinnen in teiner Weiſe in Schutz ge⸗ nommen, die bisher nur an konfeſſionellen Anſtalten waren, ohne darum deren Tendenzen zu billigen. Ich bin bereit, in jedem Falle, wo antiſemitiſche Ten⸗ denzen nachgewieſen werden, dabei mitzuwirken, daß die in Frage kommenden Perſonen aus allgemeinen ſtädtiſchen Mitteln nicht unterſtützt werden; wo das aber nicht nachgewieſen iſt — (Zurufe.) — ja, meine Herren, die Schuld muß doch bei jedem Angeklagten erſt nachgewieſen werden, ehe man ihn verurteilt; das iſt ein Rechtsgrundſatz, den wir nicht verlaſſen können. Solange das nicht nachgewieſen iſt, halte ich den Standpunkt des Magiſtrats aus ſozialen Rückſichten für berechtigt und werde demgemäß für die Annahme der Magiſtratsvorlage ſtimmen. Vorſteher Dr Frentzel: Herr Kollege Schwarz, Sie haben im Laufe Ihrer Ausführungen Mitteilungen über die Abſtimmung einzelner Ausſchußmitglieder ge⸗ macht. Ich möchte darauf aufmerkſam machen, daß die Abſtimmungen im Ausſchuß Interna des Ausſchuſſes ſind und zu bleiben haben, daß es alſo nicht üblich iſt, hier mitzuteilen, wie die einzelnen Ausſchußmitglieder geſtimmt haben. Für Ihre Perſon haben Sie ſelbſt⸗ verſtändlich das Recht, das zu erklären. (Stadtw. Schwarz: Zur perſönlichen Bemerkung!) 31 Jetzt nicht, Herr Kollege Schwarz, ſpäter! Stadtv. Dr Landsberger: Meine Herren! Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Granitza wollte ich dasſelbe ſagen, was Herr Kollege Schwarz ſchon aus⸗ geführt hat. Man kann vollſtändig der Meinung des Herrn Kollegen Granitza ſein, daß die Privatſchulen vom Uebel ſind; aber es läßt ſich nicht ſo ohne weiteres machen, daß man ſie mit einem Federſtrich beſeitigt oder ihre Exiſtenz überflüſſig macht, namentlich ſo lange die Stadt nicht in der Lage iſt, dem doch vorhandenen Bedürfnis voll durch ſtädtiſche Anſtalten zu ent⸗ ſprechen. Gerade darin liegt ein Motiv für die Vor⸗ lage, die den Leitern der Mädchenſchulen eine Unter⸗ ſtützung ſtädtiſcherſeits geben will; man hat die Emp⸗ findung, daß dieſe Schulen unterſtützungsbedürftig ſind, da ſie ſich einer Aufgabe unterziehen, die eigent⸗ lich die Stadt zu löſen berufen iſt. Das hat auch Herr Kollege Granitza ſelbſt anerkannt. Aber ich meine, des⸗ wegen kann man den Privatſchulen, ſolange ſie nun ein⸗ mal beſtehen müſſen, ihre Exiſtenz nicht erſchweren, ſondern man muß beſtrebt ſein, ſie zu erleichtern. Was nun die Stellungnahme des Magiſtrats zu der Abänderung des Ausſchuſſes betrifft, ſo muß ich ſagen, daß der Magiſtrat eigentlich die Vorlage in der Form, wie er ſie eingebracht hat, nicht bringen konnte, wenn er den Beſchluß der Stadtverordnetenverſamm⸗ legenheit bot, an einer konfeſſionellen Schule zuf lung reſpektieren wollte, der damals mit beſonderer unterrichten — ſie konnte vielleicht nichts anderes finden, war aber nur von Herzensgüte getrieben und nur von Liebe für die Kinder erfüllt —, ſo können wir ſie dafür doch nicht beſtrafen wollen. Ehe ihr eine Schuld nicht nachgewieſen iſt, kann ſie nicht ge⸗ ſtraft werden: In dubio pro reo iſt ein alter Rechts⸗ grundſatz. Kennzeichnung in namentlicher Abſtimmung gerade auf einen beſtimmten Punkt gerichtet war, (Sehr richtigl) und zwar gegen die damalige Vorlage des Magi⸗ ſtrats gerichtet war, die von der ſtädtiſchen Unter⸗