326 gegangen, die gute Konjunktur iſt gekommen: aber auch die gute Konjunktur iſt vorbeigegangen, und wir ſtehen wieder vor einer Kriſe und werden viel⸗ leicht das Schauſpiel erleben, daß Sie erneut in ähn⸗ liche Erwägungen eintreten. (Unruhe.) Vorſteher⸗Stellv. Dr Hubatſch: Meine Herren! Ich bitte, ſich doch etwas leiſer zu unterhalten. (Rufe: Gar nicht!) Stadtv. Richter (fortfahrend): Meine Herren! Es nimmt mich durchaus nicht wunder, daß Sie dieſen Ausführungen ſo wenig Intereſſe entgegenbringen. Sie haben ſich ja damals nicht nur bemüht, die wohlbe⸗ gründete Vorlage des Magiſtrats zu kritiſieren und abzulehnen, ſondern haben ſich ſogar nach der Aeuße⸗ rung des Magiſtratsvertreters bemüßigt geſehen, die mühevolle Arbeit des Magiſtrats ins Lächerliche zu ziehen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Unruhe bei den Liberalen.) — Ich zitiere hier ausdrücklich die Worte, die vom Magiſtratstiſch gefallen ſind. — Meine Herren, wenn Sie zur damaligen Zeit eine Angelegenheit, die nicht nur für mich und meine Freunde bitter ernſt iſt, ſon⸗ dern für alle diejenigen, für die ſie beſtimmt war, für die Arbeitsloſen, deren Not anſcheinend nicht zu Ihren Ohren dringt, ins Lächerliche ziehen konnten, dann wundert es mich gar nicht, daß Sie nicht geneigt ſind, neueren Erwägungen darüber Intereſſe entgegenzu⸗ bringen. Trotzdem Sie aber durch Ihr damaliges Verhalten eine ſchwere Schuld gegenüber den Arbeitsloſen auf ſich geladen haben, wollen wir die jetzige Gelegenheit doch nicht vorübergehen laſſen, Ihnen Gelegenheit zu bieten, ſich von dieſer Schuld zu reinigen und das zu tun, was Ihre Pflicht iſt. Meine Freunde ſtehen ja prinzipiell auf dem Standpunkt, daß die Arbeitsloſig⸗ keit eine unabänderliche Begleiterſcheinung der heutigen Geſellſchaftsordnung iſt, und weil die heutige Geſell⸗ ſchaftsordnung ſo ſchlecht iſt, deshalb bekämpfen wir ſie grundſätzlich. Sie, meine Herren, ſtehen nicht auf dem Standpunkt, Sie ſtützen ja die heutige Geſell⸗ ſchaftsordnung mit allen Ihnen zu Gebote ſtehenden Mitteln, wozu Sie ja auch auf Grund Ihrer An⸗ ſchauungen durchaus berechtigt ſind. Aber wenn Sie dies ſchon tun, ſo haben Sie doch auch die Pflicht, die Opfer dieſes Syſtems ebenfalls zu unterſtützen und dafür zu ſorgen, daß ſie nicht ſchutzlos zugrunde gehen. Weil das Ihre Pflicht iſt, darum erſuche ich Sie, un⸗ ſerm Antrage zuzuſtimmen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr Stadthagen: Meine Herren! Auch meine Freunde bedauern es außerordentlich, daß die Arbeitsloſigkeit in der letzten Zeit einen ſo erſchrecken⸗ den Umfang angenommen hat. Wir halten es auch für nötig, daß die Städte zu dieſer Sachlage Stellung nehmen. Wir ſind auch bereit, dem Antrag der An⸗ tragſteller zu 1 zuzuſtimmen, der verlangt, daß alle Arbeiten für das Hoch⸗ und Tiefbauamt, für welche Mittel bereits bewilligt ſind, mit größter Beſchleuni⸗ gung in Angriff genommen werden ſollen. Wir ſetzen Sitzung vom 10. September 1913 auch dabei voraus, daß nicht nur die Arbeiten, die be⸗ willigt worden ſind, mit größter Beſchleunigung in Angriff genommen werden, ſondern daß auch Beſtellun⸗ gen auf Gegenſtände, auf Geräte uſw. in weiteſtem Umfange effektuiert werden. Außerdem ſetzen wir voraus, daß die Projekte noch nicht bewilligter Arbeiten im Bereiche des Hoch⸗ und Tiefbauamts, die in der Aus⸗ arbeitung begriffen ſind, mit möglich⸗ ſter Beſchleunigung zu Ende geführt und der Stadtverordneten verſamm⸗ lung zur Genehmigung vorgelegt wer⸗ den, damit auch hiermit im Winter möglichſt ein Anfang gemacht werden kann. Dagegen ſind wir nicht in der Lage, dem An⸗ trage zu 2 zuzuſtimmen, der erneut eine Vorlage wünſcht, um Arbeitsloſenunterſtützungen aus ſtädtiſchen Mitteln auf Grund des ſogenannten Genter Syſtems zur Austeilung zu bringen. Meine Herren, wir haben uns über dieſe Frage ja ſo eingehend hier früher unter⸗ halten, daß es kaum nötig iſt, im einzelnen darauf einzugehen. Ich will mich nur darauf beſchränken, einige Worte zu erwähnen, die auf der Tagung der inter⸗ nationalen Vereinigung jetzt von maßgebender Seite efallen ſind. Der bekannte franzöſiſche Sozialpolitiker Fuſter, der das Referat über die Arbeitsloſenverſiche⸗ rung gehalten hat, hat ſich nach einem Zeitungsbericht darüber folgendermaßen geäußert: Er ſchildert die Fortſchritte der Arbeits⸗ loſenverſicherung in den einzelnen Ländern wäh⸗ rend der letzten Jahre. Das Genter Syſtem, das Zuſchüſſe der Gemeinden oder auch des Staates zu den Arbeitsloſenunterſtützungen der Gewerkſchaften vorſieht, hat nicht ausgereicht; es erfaßt nicht alle Riſiken und läßt gerade die Perſonen außerhalb der Fürſorge, die deren am meiſten bedürfen. Meine Herren, ich möchte die letzten Worte unter⸗ ſtreichen. Meine Freunde haben ja mehrfach gerade auf dieſen Punkt hingewieſen. Ich glaube, auch bei derjetzi⸗ gen Kriſe handelt es ſich viel weniger um diejenigen Ar⸗ beiter, die infolge ihrer guten Bezahlung und der meiſt günſtigen Lage ihres Berufs in der Lage geweſen ſind, bereits eine Verſicherung einzugehen und ſich damit zu ſichern, als um diejenigen, die nicht dazu in der Lage waren; und dieſe würden wir durch eine ſolche Vorlage gar nicht treffen. Wir möchten aber dem Magiſtrat anheim geben, was wahrſcheinlich auch im Schoße des Magiſtrats ſchon erwogen wird, doch auch in dieſem Falle wieder eine kleinere Abhilfe in Notſtandsarbeiten zu ſuchen. Wir ſchlagen zu dem Zweck vor, folgenden Antrag an⸗ zunehmen: Für Notſtandsarbeiten wird zunächſt ein Betrag von 50 000 ℳ aus dem Dispoſitions⸗ fonds zur Verfügung geſtellt. Meine Herren, es wird oft gegen die Notſtands⸗ arbeiten eingewandt, daß ſie unrentabel, unzweckmäßig ſind uſw. Erſtens kann man aber gerade mit Not⸗ ſtandsarbeiten das Heer der nicht gelernten Arbeiter erfaſſen, die in ſolchen Zeiten am meiſten unter der Not leiden, die am eheſten auf die Straße geſetzt werden, ſodann kann man auch den gelernten Arbeitern bis zu einem gewiſſen Grade entgegenkommen. Wenn ge⸗ ſagt wird, wir haben keine Gelegenheit dazu, ſo darf ich hier nur das eine oder andere anführenn. Wir haben vor einiger Zeit auf meine Anregung über einen Antrag verhandelt, die noch unbebauten