332 Sitzung vom 10. ſammlung, an die Mehrheit dieſer Verſammlung. Der Mehrheit dieſer Verſammlung möchte ich in der Tat dringend ans Herz legen, den Widerſtand, den ſie gegen das Genter Syſtem nachdrücklich bekundet hat, fallen zu laſſen. Ich bin auch überzeugt, daß der Wider⸗ ſtand gegen dieſes Syſtem, wenn auch nicht bei den Wortführern der Gegner, geringer werden wird. Das wäre ja wohl zu viel verlangt, einem Manne zuzu⸗ muten, wenn er ſich in eine Gegnerſchaft gegen einen beſtimmten Gedanken hineingearbeitet hat und dieſer Gegnerſchaft mit vollſtem Nachdruck Ausdruck ver⸗ liehen hat, daß er dann bereits in der Friſt knapp eines halben oder Dreivierteljahres ſeine Anſichten ſoll re⸗ vidieren können. Das wird nur in ganz wenigen Aus⸗ nahmefällen bei beſonders großzügig veranlagten Men⸗ ſchen der Fall ſein. (Große Heiterkeit.) — Ja, meine Herren, die Eigenſchaft, eigenes unrich⸗ tiges Verhalten zu erkennen und zuzugeben, dürfte allerdings nicht ſehr verbreitet ſein. Aber bei den⸗ jenigen von der Mehrheit, welche nicht gerade, um mich 13 auszudrücken, Rufer im Streite waren, ſondern die chließlich den Gründen der Rufer im Streite nach⸗ gegeben haben, durch die ſie überzeugt worden ſind, ohne daß ſie ſich ſelbſt nachdrücklich dafür eingelegt haben, — bei dieſen kann man doch wohl eher anneh⸗ men, daß ſie auch nach der kurzen Zeit eines halben bis Dreivierteljahres die veränderten Verhältniſſe auf ſich einwirken laſſen und allmählich in eine andere Stim⸗ mung kommen. Es iſt ja doch nicht das erſtemal, daß etwas Derartiges ſich vollzieht, und es wäre traurig um jede Entwicklung beſtellt, wenn ſich derartiges nicht von Zeit zu Zeit vollziehen würde. Ich habe ſchon früher daran erinnert, wie gerade in dieſem Hauſe das erſte Ausſprechen des Gedankens, ſtädtiſche Gelder auf der Grundlage des Genter Syſtems zu verteilen, mit einem aus dem Herzen kommenden Gelächter aufge⸗ nommen wurde, weil man den Gedanken an ſich für vollkommen abſurd hielt. Nun, in der Beziehung iſt ja eine ſehr gründliche Wandlung mit der Zeit einge⸗ treten. Den Gedanken an ſich hat man durchaus nicht mehr für abſurd gehalten, ſondern man iſt ihm ſehr ernſt nahegetreten in der gemiſchten Deputation, die ja heute wohl auch noch beſteht und die jahrelang über die Verwendung ſtädtiſcher Gelder zur Unterſtützung Arbeitsloſer beraten hatte. In dieſer gemiſchten De⸗ putation iſt der Gedanke ſehr eingehend erörtert wor⸗ den, und die Mehrheit der Deputation hat ſich ſchließ⸗ lich für dieſen Gedanken erklärt, der auch in einer Vor⸗ lage des Magiſtrats zum Ausdruck kam. Leider hat dieſe Vorlage die Mehrheit der Verſammlung nicht gefunden. Wenn man heute den Kollegen Stadthagen hörte, ſo könnte man beinahe glauben: die Vorlage hat darum die Mehrheit nicht gefunden, weil dieſes Genter Syſtem gerade diejenigen Arbeiter nicht erfaßt, die der Unterſtützung am meiſten bedürfen. (Stadtv. Dr. Rothholz: Sehr richtig!) — Ja, Herr Kollege Stadthagen und Herr Kollege Dr Rothholz, der jetzt „Sehr richtig!“ ruft, hat denn die Vorlage des Magiſtrats lediglich das Genter Syſtem enthalten? Hat nicht die Vorlage gerade aus dem Gedanken heraus, daß das Genter Syſtem diejeni⸗ gen Arbeiter nicht erfaßt, die der Unterſtützung am meiſten bedürfen, eine Erweiterung, eine umfaſſende Erweiterung des Genter Syſtems enthalten? Das September 1913 kann alſo nun und nimmer der Grund geweſen ſein, warum die Vorlage des Magiſtrats abgelehnt worden iſt. 2 (Stadtv. Dr. Roth 9 o 1 3: Sie iſtjaangenommen wor⸗ den! — Zurufe bei den Sozialdemokraten: Abgelehnt!) — Meine Herren, ſeien wir alſo philologiſch genau: Aus der Vorlage des Magiſtrats ſind die weſentlichen Beſtimmungen, die eben das Genter Syſtem betreffen, herausgeſtrichen worden; (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) im übrigen iſt dann die Vorlage angenommen worden, und das nennen Sie: Annahme der Vorlage des Ma⸗ giſtrats. Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Meine Freunde können das nur eine Ablehnung nen⸗ nen. Aber wie geſagt, wir können ja mit philologiſcher Genauigkeit verfahren. Jedenfalls hat der Magiſtrat die ſo verſtümmelte Vorlage gar nicht annehmen kön⸗ nen; er hat freilich nachher eine Vorlage gebracht, die im weſentlichen der verſtümmelten Vorlage gleichkam. Dieſe Vorlage haben meine Freunde abgelehnt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Herr Kollege Meyer hat das ja auch hervorgehoben, daß wir ſie in namentlicher Abſtimmung abgelehnt haben. Die Verantwortung für die Ablehnung dieſer Vorlage werden wir allerdings gern und jederzeit vor den Wählern tragen. Meine Herren, wenn der Einwand erhoben wird, eine Arbeitsloſenunterſtützung auf Grundlage des Genter Syſtems erfaſſe nicht diejenigen, die deren am meiſten bedürften, ſo wird es keinem meiner Freunde einfallen, einer ſolchen Behauptung zu widerſtreiten. Meine Freunde ſind auch weit davon entfernt, in der Einführung einer kommunalen Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung auf Grundlage des Genter Syſtems eine ſehr weitgehende Arbeitsloſenfürſorge zu erblicken. Aber meine Freunde ſind nach wie vor der Meinung, daß bisher von allen Formen einer Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung nur die Unterſtützung durch die Gewerkſchaften etwas Poſitives geſchaffen hat und daß von allen For⸗ men einer Inbewegungſetzung öffentlicher Mittel zur Unterſtützung Arbeitsloſer ſich bisher nur die auf Grundlage des ſogenannten Genter Syſtems in irgend⸗ welcher Weiſe bewährt haben. 12744 Es iſt hervorgehoben worden, auch die Ergebniſſe dieſer Unterſtützungen ſeien zweifelhafter Art. Nun, meine Herren, in den Beratungen, die gegenwärtig auf dem internationalen Kongreſſe gepflogen worden ſind, iſt durchaus auch dieſe Meinung zum Ausdruck gekom⸗ men, der ich jetzt eben Ausdruck verliehen habe, daß latſächlich lediglich dieſe Form der Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung durch öffentliche Mittel irgend etwas Poſitives erreicht hat. Wenn Herr Kollege Meyer ſich auf die zweifelhaften Ergebniſſe in Schöneberg beruft, ſo trifft ja einmal das zu, was auch der Herr Bürgermeiſter hervorgehoben hat, daß Schöneberg nur ein kleiner Ausſchnitt aus dem Wirtſchaftsgebiet Groß⸗Berlins iſt; anderſeits aber trifft auch das zu, daß die Schöneberger Unterſtützung eben auch nicht eine reine Unterſtützung nach dem Genter Syſtem iſt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)